Duisburg. Das schreckliche Ende einer arrangierten Ehe: Ein Mann ersticht 2017 seine Frau. Wie konnte es so weit kommen? Über den Femizid und die Folgen.
Sie starb vor den Augen ihrer Kinder, umgebracht vom Ehemann und Vater, erstochen mit einer 16 Zentimeter langen Klinge. Der Mord an einer 47-jährigen Frau in Duisburg-Neuenkamp war Grundlage einer Diskussionsveranstaltung der Staatsanwaltschaft in Kooperation mit dem Landgericht.
Einerseits wollen sich die Strafverfolger mehr öffnen und ihre Arbeit sichtbarer machen, andererseits ist häusliche Gewalt ein Dauerthema, auf das auch gesellschaftlich intensiver geschaut werden muss, erklärt Oberstaatsanwalt Nils Wille die Motivation. Weitere Aktionen sollen folgen.
Jahrzehntelanges Ehe-Martyrium in Duisburg endet mit einem Femizid
Der Mord an der 47-Jährigen jährt sich am Sonntag zum sechsten Mal. Er beendete ein jahrzehntelanges Ehe-Martyrium. Im Nachgang führte der Fall mit zur Gründung des Netzwerkes Dialoghaus Duisburg, um Opfern als Netzwerk konkret Hilfe vermitteln zu können.
Oberstaatsanwältin Kim Ermiş war damals die Strafverfolgerin dieses „tragischsten Fall“, der ihr nachhaltig in Erinnerung blieb. Die arrangierte Ehe sei für das türkische Paar von Anfang an schwierig gewesen. Eins der vier Kinder sei pflegebedürftig gewesen, die Frau konnte weder Deutsch lernen noch einem Beruf nachgehen. Der Ehemann habe seine Frau mit einem Messer zum Sex gezwungen, sie regelmäßig geschlagen. 2004 wehrte sie sich erstmals, zeigte ihn an. Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. „Da sie glaubte, ihm langfristig nicht die Stirn bieten zu können, hat sie sich dann ausgesöhnt“, erzählt Ermiş.
Der spielsüchtige Mittfünfziger habe ein Möbelhaus im Namen seiner Tochter gegründet. Der Laden ging pleite „und die Tochter hat bis heute mit den Schulden von einer halben Million Euro zu kämpfen. Welcher Vater macht das?“, fragt die Oberstaatsanwältin. Um überhaupt was zu Essen zu haben, eröffnete die Mutter heimlich ein eigenes Konto, worauf dann das Pflegegeld für das behinderte Kind floss. Die Gewaltspirale hörte nie auf. „Um ihrem Mann zu entgehen, schloss sie sich im Schlafzimmer ein und verrichtete da sogar ihre Notdurft“, schildert Ermiş das Leben der Frau, „sie war im eigenen Zuhause gefangen“.
2017 findet die Frau den Mut, sich endgültig zu trennen. Die erwachsenen Kinder sind dabei, doch der Mann und Vater bedroht und beleidigt sie. Dann erst startet der damals 54-Jährige ein Handyvideo, auf dem er sich als Unschuld in Person darstellt. Es endet, als die Frau ihm sagt, er soll gehen. Vor den Augen der Familie soll er dann die Frau geschlagen und schließlich ein Messer mit 16 Zentimeter langer Klinge gezogen haben.
Kampfsportler entwaffnet den mordenden Mann
Ermiş erzählt: Sie rennt raus, er hinterher. Auf offener Straße sticht er auf sie ein, sie kauert sich auf den Boden und er sticht weiter tief in sie hinein. Nachbarn eilen herbei, einem Kampfsportler gelingt die Entwaffnung des Ehemannes. Obwohl unter den Zeugen sogar eine Krankenschwester ist, die Erste Hilfe leistet, stirbt die Frau unmittelbar an den Verletzungen.
Als Strafverfolgerin drängte Ermiş damals darauf, dass es sich nicht „nur“ um Totschlag im Affekt handelte, sondern niedere Beweggründe als Mordmerkmal ersichtlich sind: Hemmungslose Eigensucht, die den Mann nach der angekündigten Trennung in die wütende Aggression trieb. Ein Femizid, kein Ehedrama. „Seither ist das gängige Rechtsprechung am Landgericht Duisburg.“
Der Ehemann wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Prozess habe er noch versucht, forensische Gutachter davon zu überzeugen, dass er psychisch krank sei, „aber seine Geschichten waren erkennbar frei erfunden. Er spielte sich auf als Herrscher über Leben und Tod“, so Ermiş.
Auch wenn sich dieser Fall in einer türkischen Familie abspielte, betont sie: „Es gibt bei Femiziden kein Übergewicht an Tätern nicht-deutscher Herkunft.“
Gibt es Hilfe für Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind?
Karin Bartl, Leiterin des Frauenhauses Duisburg, hat täglich mit solchen Dramen zu tun: „Die Weltgesundheitsorganisation hat festgestellt, dass häusliche Gewalt das größte Gesundheitsrisiko für Frauen ist, noch vor Krebs oder HIV.“ Die Männer seien oft spielsüchtig, verschuldet. Dass sie Verträge auf den Namen der Frau oder der Kinder abschließen, sei auch eine Form von Gewalt.
Es gebe Hilfsangebote, aber nicht genug: Die beiden Frauenhäuser bieten 23 Plätze für Frauen und ihre Kinder. „Wir bräuchten über 50“, sagt Bartl, jährlich müsse allein sie über 200 Anfragen ablehnen. Der beschriebene Fall zeige, dass es in den Jahren bis zum Mord viele Versäumnisse gab. Was sie nicht überrascht: „Statistisch müssen sich Kinder 14-mal an Erwachsene wenden, bis sie Hilfe bekommen.“
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Robert Timm vom Amtsgericht glaubt, dass es im konkreten Fall massives Versagen auf vielen Seiten gegeben habe. Bei so viel Gewalt in der Familie sei das Kindeswohl gefährdet. Hier hätten Angehörige, Nachbarn, Menschen in Kindergarten oder Schule „die Courage haben müssen, hinzugucken. „Das ist kein Denunziantentum“, ergänzt Ermiş, „das ist ein Schutz!“
Gewalttätige Männer könne das Gericht bis zu sechs Monate des Hauses verweisen, „auch wenn es ihr Eigentum ist“, betont Timm.
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100 Fälle häuslicher Gewalt pro Monat in Duisburg
Gewaltopfern würde das nicht immer helfen, relativiert Bartl vom Frauenhaus. „Die Täter wissen dann ja, wo die Frauen sind. Da steht keine Security vor der Tür!“ Kriminalhauptkommissar Jörg Bialon vom Opferschutz der Polizei sagt, dass bei den polizeilich ausgesprochenen Wohnungsverweisen für zehn Tage durchaus kontrolliert werde, ob sich der Aggressor daran halte. Bezirksbeamte kämen vorbei, Streifenwagen würden den Ort auf ihre Route nehmen. „In Hochrisikofällen helfen wir auch bei der Suche nach einer anderen Wohnung.“
Im Schnitt gebe es 100 Fälle häuslicher Gewalt in Duisburg – pro Monat. Tendenz steigend, so Bialon. Es gebe auch mehr Fälle von Männern, die Opfer werden. Vergleichsweise sei das aber selten.
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Zur Wahrheit gehört, dass 70 bis 80 Prozent der Frauen nach einem Polizeieinsatz weitere Hilfe zunächst nicht annehmen, so Bialon. Weil sie Angst haben, mittellos zu werden, auf der Straße zu stehen, ihre Kinder zu verlieren – oder weil sie den Beteuerungen der Männer Glauben schenken, dass ab jetzt alles anders werde.
Umfangreiche Aufklärung und gesamtgesellschaftliche Achtsamkeit seien die einzigen Mittel gegen weitere Morde an Frauen, war sich die Runde im Schwurgerichtssaal einig. Denn „wahre Gleichberechtigung“ ist laut Bartl „erst in 132 Jahren umgesetzt“.
>>HILFSANGEBOTE FÜR OPFER VON GEWALT – UND TÄTER
- Bei akuter Bedrohung sollte die Polizei alarmiert werden über die 110.
- Von häuslicher Gewalt bedrohte oder betroffene Personen können sich rund um die Uhr an das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ wenden. Unter Tel. 08000 116016 bekommen sie in 15 Sprachen anonym und kostenlos Unterstützung.
- In Duisburg gibt es die Webseite Dialoghaus Duisburg als erste Anlaufstelle für Opfer von Gewalt.
- Es gibt auch ein Hilfetelefon Gewalt an Männern (Tel. 0800 1239900), die Webseite informiert unter https://www.maennerhilfetelefon.de/
- Auch für Täter gibt es Beratungsangebote, etwa auf der Webseite www.taeterarbeit.de, bei der Täterhotline Euline und der Diakonie.