Wuppertal/Duisburg. Hanhui Huangs Frau starb bei der Loveparade. Einen Teil des Schmerzensgeldes behielt sein damaliger Anwalt. Der muss nun zahlen, kann aber nicht.
Es ist ein Paukenschlag im Komplex um die Duisburger Loveparade-Katastrophe: Ein Hinterbliebenen-Anwalt hat 45.000 Euro vom Schmerzensgeld für einen Hinterbliebenen über zwei Jahre nicht weitergeleitet – sondern für sich als Einnahme gebucht und verwendet. Zahlen könne er „im Moment“ nicht. Er plane, seine Eigentumswohnung zu verkaufen. Erst dann sei wieder Geld da. Im Landgericht an seinem Kanzleisitz in Wuppertal erkannte der Mann am Donnerstag die Forderungen von Kläger Huanhui Huang und dessen Sohn Zhenyu aus China an.
Der 54-jährige Familienvater war persönlich zur Verhandlung erschienen. Er hatte zuletzt am Jahrestag der Katastrophe, am 24. Juli, die Gedenkfeier mit Hinterbliebenen und Geschädigten des Unglücks besucht.
Loveparade: Anwalt hätte Schmerzensgeld unverzüglich weiterleiten müssen
Laut Feststellungen des Gerichts hatten die Angehörigen der Frau 205.000 Euro zugesprochen bekommen. Eine Versicherung des Veranstalters und das Land Nordrhein-Westfalen zahlten im November 2020 und im Februar des folgenden Jahres ihre jeweiligen Anteile auf ein Konto des Wuppertaler Anwalts. Der habe lediglich 150.000 Euro an Huang weitergeleitet. Seither: über Monate nichts mehr. Im August 2022 kam es zum endgültigen Bruch zwischen Anwalt und Mandant.
In der Folge klagte Huangs derzeitiger Anwalt Dirk Grotstollen auf Zahlung. Die Forderung berücksichtigte einen geringen Nachlass von etwa 10.000 Euro: Damit sollten restliche Gebühren des beklagten Anwalts berücksichtigt werden.
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Die Forderungen dürften nach vorläufiger Prüfung berechtigt sein, stellte das Gericht am Donnerstag gleich eingangs der Verhandlung klar: Das fremde Geld hätte der Beklagte „unverzüglich“ nach Beendigung seines Mandats weiterleiten müssen. Eine erste Reaktion in Form eines Briefs drei Monate später habe dafür nicht gereicht. Die Forderungen mit eigenen Forderungen aufzurechnen, dürfte verboten gewesen sein, weil die Rechnung des beklagten Anwalts dazu viel zu spät aufgestellt wurde.
Richterin rügt beklagten Anwalt
Das Fazit der vorsitzenden Richterin, gerichtet an den beklagten Anwalt: „Wenn Sie jetzt sagen, dass Fremdgeld von ihrem Konto nicht mehr da ist, dann können wir Ihnen nur dringend nahe legen, die Forderung anzuerkennen.“ Ansonsten könne sich die Sache verschärfen. Beim nachlässigen Umgang mit Mandantengeld kommt strafbare Untreue in Frage. Die Prüfung würde die Staatsanwaltschaft übernehmen.
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Die Antwort des Anwalts: „Ich will, dass die Scheiße hier endet“, brachte ihm gleich die nächste Rüge der Vorsitzenden ein. Im gemäßigteren Ton fügte der Mann hinzu: „Wenn ich heute anerkenne, habe ich morgen die Zwangsvollstreckung vor der Tür.“ Zahlen könne er voraussichtlich in drei Monaten. Ein Vorschlag, der ins Leere ging. Grotstollen: „Nach dieser ganzen Zeit legen Sie heute eine Gebührenrechnung buchstäblich von gestern auf den Tisch – und ich soll Zugeständnisse machen?“
Zur Lösung einigten sich die Parteien, dass der Beklagte die Verurteilung hinnimmt und er danach über die Abwicklung von Zahlungen reden kann. Die Zwangsvollstreckung werde auf guten Glauben aufgeschoben, so lange die Gespräche vorangehen.
Anwalt Dirk Grotstollen sagte unserer Zeitung nach der Verhandlung, das Resultat sei erwartungsgemäß: „Wir haben gewonnen. Bedauerlich ist, dass er nicht einsieht, dass er unrecht hat. Er hat zu Recht Angst vor der Zwangsvollstreckung.“ Sein Mandant wolle die Sache abschließen.
Für den Witwer Hanhui Huang „eine Frage des Respekts“
Hanhui Huang sagte, er sei 41 Jahre alt gewesen, als seine Frau Jian Liu (damals 38) im Juli 2010 zu Tode kam. Sie sei Kauffrau gewesen und seit einem Jahr in Deutschland, er habe eine Firma geleitet. Das Loveparade-Unglück habe sein Leben erschüttert: „Ich konnte nicht mehr weiter arbeiten. Ich habe mich nur noch mit dieser Sache beschäftigt.“
Der Verlauf des Prozesses gebe ihm Genugtuung: „Ich bin ein Mensch, der auf Prinzipien achtet. Das Gericht hat richtig entschieden.“ Die Frage der Geldzahlung sei für ihn „eine Frage des Respekts“. Bis in den August wolle er in Deutschland bleiben und dann nach China zurückkehren.
„Das ist der einzige Fall, in dem sowas passiert ist“
Ulrike Stender vom Vorstand der Stiftung Duisburg 24.7.2010 begleitete den Prozess. Die Stiftung helfe Personen, die Angehörige bei dem Unglück verloren haben oder anders zu Schaden gekommen sind. Huang und seinen Sohn hätten sie in ihrer Klage unterstützt: „Das ist der einzige Fall, in dem sowas passiert ist“, sagte Stender. Alle sonst hätten ihre Zahlungen problemlos auf ihre Konten erhalten, nachdem die Entscheidungen einmal gefallen waren.
Mit dem Anerkenntnis ist die Forderung von Huang und seinem Sohn vollstreckbar. Der unterlegene Anwalt hat eingewilligt, seinen Gegnern den Grundbucheintrag seiner Immobilie vorzulegen. Voraussichtlich soll er zur Sicherheit eine Hypothek auf die Eigentumswohnung eintragen lassen.
>> Zahlungsunfähige Anwälte / Loveparade-Prozess
- Geld für Mandanten verwahren Anwälte auf eigens eingerichteten Bankkonten. Sie dürfen die Beträge nur unter bestimmten Bedingungen antasten. Wenn sie eigene Forderungen haben, müssen sie diese rechtzeitig geltend machen. Bei Zahlungsunfähigkeit verlieren Anwälte die Zulassung. Es entscheidet die Anwaltskammer.
- Nach der Loveparade-Katastrophe von 2010 mit 21 Todesopfern und mindestens 652 teils schwer Verletzten wurde vier Jahre später Klage erhoben gegen zunächst zehn Beschuldigte, darunter Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters Lopavent. Der Mammutprozess begann 2017. Nach über 180 Verhandlungstagen wurde das Verfahren kurz vor der Verjährung eingestellt.