Duisburg/Oberhausen/Moers. Das Café hilft jungen Flüchtlingen bei der Integration. Es ist ein Weg, zu dem Hürden, Ängste und auch Erfolgsgeschichten wie bei Fouad gehören.
Als Fouad den Garten vom AWO-Bauspielplatz in Duisburg betritt, ist die Freude groß: Seine Freunde Ruslan und Vika fallen ihm um den Hals, auch die Mitarbeiter der Johanniter stehen Schlange, um dem 22-Jährigen zu gratulieren. Denn dass Fouad heute später zum Gruppentreff vom Café Hier kommt, hat einen besonderen Grund. Der gebürtige Algerier hat vor kurzem seinen Integrationskurs beendet – und kommt gerade von seiner Abschlussfeier.
„Endlich geschafft“, sagt er. Und die Erleichterung darüber ist ihm anzumerken. Schließlich liegen nervenaufreibende Monate hinter ihm. Dass er nun in Deutschland voraussichtlich eine Ausbildung zum Bäcker machen kann, ist nicht selbstverständlich. Denn ursprünglich sollte er im Mai nach Algerien abgeschoben werden.
Café Hier bewahrt jungen Algerier in Duisburg vor der Abschiebung aus Deutschland
Fouad ist ein sogenannter Drittstaatler. Als Kind erlebte er einen Terrorangriff in der Nähe des Hauses, in dem er mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern wohnte, hautnah mit. Und entschied sich mit 18 wegen der anhaltenden Terrorgefahr alleine in die Ukraine zu fliehen – um dort Elektrotechnik zu studieren. Doch dann brach der Krieg aus. Fouad kam im Mai 2022 über Polen nach Deutschland – Düsseldorf, Mönchengladbach und schließlich Duisburg.
Hier lernte er das Café Hier kennen und bekam die dringend benötigte Hilfe. „Er hat uns im Dezember erzählt, dass er fünf Monate später nach Algerien abgeschoben werden soll“, erinnert sich Renate Ballauf, die das Projekt gemeinsam mit Felix Hamkens leitet. „Da begann für uns ein Wettlauf gegen die Zeit.“ Gemeinsam mit der Ausländerbehörde fand das Team einen Weg, wie Fouad in Deutschland bleiben kann. „Die Bäckereiinnung bietet vorbereitende Integrationskurse an, nach denen die Teilnehmer eine Ausbildung anfangen können – so wie hoffentlich bald auch Fouad“, sagt Ballauf.
Vertrauen zueinander aufzubauen, dauerte ein halbes Jahr
Bis die Jugendlichen, die sie betreut, ihr soweit vertrauen, dass sie ihr so schwerwiegende Probleme anvertrauen, sei es aber ein „weiter Weg“, weiß die 53-Jährige mittlerweile aus Erfahrung. „Anfangs wollten sie nicht mit uns reden und haben nur unseren Dolmetscherinnen vertraut.“ Dass Renate Ballauf und ihr Kollege Felix Hamkens die Jugendlichen nicht nach deren Geschichten fragten, sondern von ihnen wissen wollten, worauf sie Lust haben, war ein entscheidender Schritt, dass sich die Jugendlichen auch bei ihnen wohl fühlten.
Bis die Gruppe harmonierte und den Organisatoren vom Café Hier vertraute, dauerte es rund ein halbes Jahr. „Im Winter begann unsere Arbeit dann eigentlich erst so richtig, weil die Jugendlichen da langsam realisiert haben, dass der Krieg wohl länger dauern wird“, sagt die 53-Jährige. „Ab dem Zeitpunkt haben die Kinder uns ihre Probleme anvertraut, die uns davor nicht bewusst waren.“
Kein Geld, um sich eine Winterjacke zu kaufen, vom Krieg traumatisierte Eltern, die zuhause sitzen und nicht ansprechbar sind oder auch der fehlende Schulplatz – die Probleme sind vielfältig. „Mittlerweile sind wir eine Art Vermittler zwischen den Jugendlichen und den deutschen Behörden“, fasst es Felix Hamkens zusammen. „Ähnlich wie Streetworker.“
Präventionskurse sollen Jugendlichen Umgangsformen in Deutschland näher bringen
Ganz problemlos läuft die Arbeit mit den Jugendlichen aber auch beim Café Hier nicht. „Anfangs waren die Kinder patriotisch, dann wütend und mit der Zeit waren sie auch mal traurig“, sagt Renate Ballauf. Auch die kulturelle Aufklärung sei eine wichtige Aufgabe, wie die Projektleiterin erklärt. „Wir haben ihnen anfangs erklärt, dass wir weder Nazis sind noch die russische Politik unterstützen“, so Ballauf.
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Auch gibt es klare Regeln im Projekt: „Alkohol und Drogen sind tabu. Bei Mobbing greifen wir ebenfalls direkt durch und schließen Jugendliche, die sich daran nicht halten, zur Not auch vom Projekt aus“, betont Ballauf. Inzwischen organisiert das Café Hier Präventionskurse, um den Geflüchteten die gesellschaftlichen Normen in Deutschland zu erklären.
Gemeinsam mit der Polizei Oberhausen gab es zuletzt einen Kurs zum Umgang mit Frauen. „Da ging es darum, wo Gewalt anfängt, wie man fremde Frauen und Mädchen anspricht und was Blicke und Gesten beim Gegenüber für ein Gefühl auslösen“, erklärt Renate Ballauf, die die Idee zu den Kursen hatte: „Als ich die Berichte rund um die Silvesterkrawalle in Berlin und anderen Städten gesehen habe, wo es viel um nicht integrierte Jugendliche ging, war mir klar – da müssen wir vorbeugen.“
Sportvereine als Anlaufstelle für neue Kontakte
Die meiste Zeit laufe es aber in der Zusammenarbeit mit den Kindern sehr gut. „Wir erfahren eine enorme Dankbarkeit von ihnen“, sagt Felix Hamkens. Besonders erfolgreich sind die Sportangebote, die das Team gemeinsam mit dem Stadtsportspund organisiert – wie zuletzt ein Tenniscamp beim TC Eintracht Duisburg.
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Der Verein bietet den Teilnehmern in den Sommerferien nicht nur wöchentliche Trainingsstunden an, sondern stellt ihnen auch die Sportkleidung und Tennisschläger zur Verfügung. „Es geht darum, dass die Jugendlichen hier in Deutschland nicht nur neue Hobbies finden, sondern sich über den Sport auch ihr eigenes Netzwerk aufbauen“, sagt Renate Ballauf. „Denn nicht nur unter sich zu bleiben, ist der entscheidende Schritt, um sich zu integrieren.“
Geflüchteter Drittstaatler möchte in Deutschland eine Ausbildung beginnen
Fouad ist dabei auf einem guten Weg. Er macht in den kommenden Wochen ein Praktikum bei einem Duisburger Bäcker. „Das Backen macht mir Spaß, ich kann mir gut vorstellen, das dauerhaft beruflich zu machen“, sagt er teilweise auf Deutsch, teilweise auf Englisch. Dass er in Deutschland bleiben möchte, steht für den 22-Jährigen fest – auch wenn seine Familie noch immer in Algerien lebt. „Ich muss nur in die Nähe unseres Hauses kommen, wo damals der Terroranschlag passiert ist und habe die Bilder wieder im Kopf. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dort noch einmal zu leben.“
In Duisburg fühlt er sich dagegen inzwischen heimisch, besonders bei seinen Freunden vom Café Hier. „Wir sind hier einfach wie eine große Familie.“
Das Café Hier ist ein Projekt der Johanniter, welches ausschließlich über Spenden finanziert wird. Wofür diese gebraucht werden, lesen Sie hier.