Duisburg. Der Doku-Film „Marxlohland“ nimmt die Menschen im Stadtteil und ihre Probleme unter die Lupe. Das sind die Eindrücke nach der ersten Vorführung.

Nach langer Ankündigung hebt sich jetzt der Vorhang. Rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauer warten am Sonntagnachmittag auf die Vorpremiere des Films „Marxlohland“. Die Dokumentation von TV-Journalistin Stephanie Hajdamowicz will zeigen, „wie Marxloh wirklich ist“. Im Petershof findet diese erste Vorführung statt, an einem Ort, mit dem viele der Protagonisten verbunden sind. Über Jahre hat Hajdamowicz diese Menschen begleitet, und lässt sie jetzt den Film ganz allein erzählen.

„Mein Bild von Marxloh war schon vor den Dreharbeiten recht klar“, sagt Hajdamowicz. Als Zeitungsredakteurin sei sie vor vielen Jahren zum ersten Mal dorthin gekommen. Ihr Eindruck damals: „Ein bunter Stadtteil mit vielen Menschen, die aus der Türkei eingewandert waren und oft in der Stahlindustrie oder im Bergbau arbeiteten.“

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Dokumentarfilm „Marxlohland“ kommentiert und bewertet nicht

Das Marxloh heute sei ein anderes: „Das Viertel hat sich über Jahre verändert. Die Probleme der Menschen sind teilweise geblieben.“ Es gebe arme Menschen, aber auch gut situierte, die auf der Brautmodenmeile Geschäfte machen. Mit dem Zuzug von Menschen aus Bulgarien und Rumänien habe sich „vor allem in der medialen Betrachtung“ etwas verändert: „Plötzlich hieß es, hier gibt es nur Lärm und Müll. Den gibt es, aber nicht nur. Und dann gab es plötzlich das Stigma der No-go-Area, was dem Ruf des Stadtteils geschadet hat. Dabei ist er ganz anders. Bunt, lebendig, geschäftstüchtig.“

Stephanie Hajdamowicz hat jahrelang an „Marxlohland“ gearbeitet.
Stephanie Hajdamowicz hat jahrelang an „Marxlohland“ gearbeitet. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Marxlohland gibt es überall“, betont Hajdamowicz, „in Berlin, München, Köln, Dortmund, wo auch immer“. Es sei ein Viertel mit Problemen, „aber nichts Besonderes“. Und schon gar keine No-go-Area. Der Film entmystifiziert diesen Stadtteil, indem er einfach dessen Bewohnerinnen und Bewohner sprechen lässt – ohne Kommentar, um einen ungefilterten Blick zu ermöglichen: „Ein Dokumentarfilm kommentiert nicht“, sagt Hajdamowicz, „er bewertet nicht. Er zeigt Momentaufnahmen. Menschen, die mit Marxloh verwurzelt sind.“

Die Probleme der Menschen, die sind in Marxloh oft groß und grundlegend. Da sind der Rumäne Octavian und seine Familie, die zu Beginn des Films in einer völlig kaputten Wohnung einer sogenannten Schrottimmobilie leben. Seine Kinder können von Spielzeug nur träumen. Und da sind die arbeitslosen Jugendlichen, oft libanesischer Abstammung, die bei Pater Oliver am Petershof stranden. „Wer aus Marxloh kommt, hat weniger Chancen“, sagt der Ordensbruder. Gleichwohl prägt er den jungen Menschen ein: „Marxloh ist nicht Schuld an eurer Situation. Nehmt euer Leben selbst in die Hand!“

„Marxlohland“ stellt den Optimisten die Hoffnungslosen gegenüber

Pater Oliver, seine Mitarbeiterin Sylvia Brennemann oder der Bezirkspolitiker Claus Lindner kämpfen unermüdlich für ihre Mitmenschen in Marxloh; ihren Optimismus scheinen sie nie zu verlieren. Der Film stellt ihnen die Menschen gegenüber, die sich fremd fühlen und sämtliche Hoffnung längst verloren haben. Für Rentnerin Frau Thiel sind die Südosteuropäer in ihrer Nachbarschaft „Schweine, und keine Menschen“. In ihrem Haus kann sie sich mit niemandem verständigen, der Müll auf der Straße macht sie wütend. Einen Umzug traut sie sich in ihrem Alter nicht mehr zu, von den Kosten ganz zu schweigen.

Viele der Protagonisten und Protagonistinnen kennt Hajdamowicz schon mehrere Jahre lang.
Viele der Protagonisten und Protagonistinnen kennt Hajdamowicz schon mehrere Jahre lang. © Oliver Müller / FUNKE Foto Services

Viele dieser Personen kannte Stephanie Hajdamowicz schon lange. Entsprechend leicht sei ihr die Auswahl der Protagonisten gefallen. „Schon vor den Dreharbeiten bin ich oft nach der Arbeit zum Beispiel zu Pater Oliver in den Petershof gefahren. Habe mit ihm und seinen Leuten geredet, zugeschaut, was da so passiert, wer dort hinkommt, wem geholfen wird. Beispielsweise die vielen Menschen ohne Krankenversicherung.“

Dadurch hat sie es nah an die Menschen herangeschafft. „Marxlohland“ fesselt und bewegt. Bedenken, der Film könne den Stadtteil verklären, bestätigen sich nicht – die Dokumentation umfasst so viele Perspektiven, dass kein Problem unausgesprochen bleibt.

„Motor für Duisburg“: Diese Perspektive sieht Stephanie Hajdamowicz

Was ihren eigenen Blick auf Marxloh angeht, gehört Stephanie Hajdamowicz zu den Optimisten. „Marxloh wird sich positiv weiterentwickeln“, ist die Journalistin überzeugt. „Wenn ich sehe, was für moderne Restaurants dort aufmachen. Das kann locker mit Düsseldorf konkurrieren.“

Sie denke dabei auch an Menschen wie Mahir Can, ebenfalls ein Protagonist in „Marxlohland“. „Ein erfolgreicher junger Unternehmer, der inzwischen mehrere Läden hat, wo er Männermode für festliche Anlässe verkauft. Er schafft Arbeitsplätze, macht Geschäfte. Das ist zukunftsweisend. Und sicher ein Motor für Duisburg. Und für andere Geschäftsleute hier.“

Auch interessant

„MARXLOHLAND“: LOW-BUDGET-PRODUKTION SOLL IN DIE KINOS

„Marxlohland“ ist eine Low-Budget-Produktion. Trotz der Hilfe mehrerer Sponsoren und einer Crowdfunding-Kampagne haben Stephanie Hajdamowicz und ihr Team viele Stunden unbezahlte Arbeit in das Projekt investiert. „Und ich brauche noch immer etwas Geld, um alles zahlen können.“ Zum Team gehören unter anderem Kamerafrau Kathrin Hartmann und Cutterin Jana Teuchert.

Die Dreharbeiten wurden durch die Pandemie erheblich erschwert. „Corona hat meinen Dokumentarfilm gestoppt. Wir haben Nachdrehs gemacht, um ihn aktuell zu halten. Auch der Schnitt musste warten.“

Nach der Vorpremiere will Stephanie Hajdamowicz den Film in ausgewählte Kinos bringen, zum Beispiel ins Filmforum, aber auch in andere Städte. Schulen aus Marxloh hätten zudem bereits angefragt; sie wollen den Film zeigen und mit den Schülerinnen und Schülern dann über das Viertel diskutieren. „Und dann versuche ich, den Film einem Sender anzubieten. Denn das meiste Publikum erreicht man immer noch übers TV.“