Duisburg. Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf Pflegeberufe geworfen. Die Duisburgerin Jenny Berghoff beschreibt Missstände in der Physiotherapie.

Die Corona-Pandemie hat auch ein Schlaglicht auf Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen geworfen. Zum Beispiel auf die niedrigen Gehälter in Pflegeberufen. „Doch was ist mit den schlechten Zuständen in der Physiotherapie?“, macht die Duisburgerin Jenny Berghoff ihrem Ärger Luft.

Die Physiotherapeutin hat sich vor vier Jahren in Duisburg-Bergheim selbstständig gemacht hat und einen Kollegen angestellt. „Wir kommen an unsere Grenzen“, sagt die Betreiberin der Praxis über die finanzielle Situation. Jenny Berghoff hat eine lange, teure Ausbildung mit den von den gesetzlichen Krankenkassen geforderten zertifizierten Fortbildungen absolviert, die habe sie rund 35.000 Euro gekostet.

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Was die gesetzlichen Kassen dann für die Leistung zahlen, rechnet Jenny Berghoff so vor: Für eine Krankengymnastik von 15 bis 25 Minuten Regelbehandlungszeit 26,74 Euro, für eine manuellen Therapie von gleicher Länge 28,92 Euro und für die PNF, eine Therapiemethode unter anderem für Patienten, deren Bewegungsapparat zum Beispiel durch Multiple Sklerose, Parkinson oder Schlaganfall gestört ist, für 25 bis 35 Minuten 38,24 Euro.

Therapeuten leisten bürokratischen Aufwand für die Krankenkassen

Höre sich zunächst nicht wenig an, doch davon muss Berghoff nicht nur die Miete bezahlen, die jetzt erheblich gestiegenen Energie- und Spritkosten, die Kredite für den Praxisaufbau, die Krankenkassenbeiträge und die Altersvorsorge für sich und ihren Angestellten, sondern auch die Kosten für die vorgeschriebenen regelmäßigen Fortbildungen.

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In der von den Krankenkassen bezahlten „Regelbehandlungszeit“ muss die Physiotherapeutin zudem das komplette bürokratische Drumherum erledigen, dazu gehört zuerst, das Rezept zu prüfen. Wie Berghoff sagt, kommen häufiger Fehler vor bei der ärztlichen Verordnung von Heilmitteln. Stimmt der Indikationsschlüssel nicht oder hat der Patient das Kontingent von 18 Behandlungen im Quartal schon ausgeschöpft, kann die – möglicherweise schon erbrachte – Leistung nicht abgerechnet werden.

„Warum muss ich als Therapeut das ganze kontrollieren?“, fragt sich Berghoff. „Dann kann man auch gleich Blankoverordnungen verwenden!“ Zudem müssen Fristen beachtet werden, etwa bis Patienten eine verordnete Therapie begonnen haben müssen. Oft betragen aber die Wartezeiten auf einen Termin beim Physiotherapeuten sechs Wochen. „Bis dahin ist also oft die Verordnung schon verfallen.“ Und die Zuzahlung des Patienten für die Krankenkassen muss der Physiotherapeut auch noch kassieren.

Corona hat schwierige Situation verschärft

Die Kassen zahlten also effektiv nur eine Behandlungszeit von 15 Minuten. Wenig für die Patienten, aber stressig für den Therapeuten: „Alle 15 Minuten ein neues Krankheitsbild“, das sei physisch wie psychisch Knochenarbeit und stelle eine adäquate Behandlung von Patienten in Frage, so Berghoff. „Wir sind die modernen Sklaven der Krankenkassen.“ Jedenfalls der gesetzlichen, denn angemessen sei das Honorar nur bei Privatpatienten, die bis zu 20 Euro mehr für eine Behandlung bezahlen.

Die Pandemie habe die ohnehin prekäre Situation verschärft, denn obwohl Physiotherapie – anders als „körpernahe Dienstleistungen“ wie Massagen – weiter geleistet werden durfte, hätten „schlagartig alle Leute ihre Termine abgesagt“. Sie habe sich allein gelassen gefühlt. „Ich wollte zwischenzeitlich alles hinschmeißen.“

Der schließlich gespannte Rettungsschirm habe zwar geholfen, dennoch blickt Jenny Berghoff nicht gerade zuversichtlich in die Zukunft. Die Inflation und die nächste Nebenkostenabrechnung belaste die Praxen weiter. „Leider sehe ich unseren Beruf langfristig aussterben, obwohl die Menschen sicher nicht gesünder werden.“

>> MANGELBERUF PHYSIOTHERAPEUT

  • Laut Bundesagentur für Arbeit zählen Physiotherapeuten zu den am stärksten betroffenen Mangelberufen. Aktuell kommen rund 2,2 Jobangebote auf einen Bewerber, betonen Berufsverbände. Auch Jenny Berghoff sucht „händeringend“ Mitarbeiter, sie könne aber nicht die Gehälter zahlen wie der öffentliche Dienst.
  • Reformen in der Ausbildung fordert auch die Gewerkschaft Verdi. Die Ausbildung müsse kostenfrei sein und angemessen vergütet werden. Kritisiert wird, dass Bewerber für die Ausbildung in einem Mangelberuf Geld zahlen müssen.