Duisburg/Essen. Barbara Buchenau war an der UDE vier Jahre lang Prorektorin für Diversität. Ein Amt, das Terrierqualitäten braucht: Ein Interview zum Frauentag.
Stören und Intervenieren ist ihr Geschäft. Professor Barbara Buchenau ist Prorektorin für Gesellschaftliche Verantwortung, Diversität und Internationalität an der Universität Duisburg-Essen. Ein Gespräch zum Internationalen Frauentag – und zum Ende ihrer vierjährigen Amtszeit.
Wie ist es um die Gleichberechtigung an der Uni Duisburg-Essen bestellt?
Wir liegen so ziemlich im Bundesdurchschnitt: 54% des gesamten Hochschulpersonals ist weiblich, ein Viertel der vollen Professuren (also ohne Juniorprofessuren) sind von Frauen besetzt – das ist also noch weit entfernt von einer vergleichbaren Teilhabe der Frauen. Es gibt eine Differenz zwischen Duisburg und Essen, in Duisburg sind unsere Ingenieurwissenschaften vorrangig angesiedelt, eine Disziplin, die noch mehr von Männern vorangetrieben wird. Im Bundesdurchschnitt sind 86% der Professuren in den Ingenieurwissenschaften mit Männern besetzt, von zehn Professuren sind nur ein oder maximal zwei von einer Frau besetzt. An der UDE sind die Ingenieurwissenschaften aber durchlässiger für Frauen als im bundesweiten Schnitt. Hier sind es zwei Frauen zu acht Männern, sollten sich die neuberufenen Juniorprofessorinnen durchsetzen. Bei den Wirtschaftswissenschaften ist der Fall trotz deutlich höherer Beteiligung von Frauen im Studium ähnlich gelagert, wobei es einzelnen Bereichen – etwa der Mercator School of Management in Duisburg – besser gelingt, Frauen zu beteiligen. Wir haben genaue Zahlen darüber, an welchen Punkten Frauen den nächsten Karriereschritt nicht schaffen.
Der Internationale Frauentag betont die sehr ungleiche Verteilung von Teilhabe
Braucht es einen Internationalen Frauentag?
So ein Tag erlaubt natürlich auch, exklusiv nur dann auf das Thema zu schauen und sich ansonsten nicht zu kümmern und abzutauchen. Ich sehe das pragmatisch. Der Internationale Frauentag ermöglicht uns, zu schauen, wo wir trotz aller Anstrengung stehen. Ein Wegfall würde ein völlig falsches Signal senden. Da es keinen Welt-Männer-Tag gibt oder einen Welt-Weißen-Tag, wird mit dem Frauentag noch mal der Ungleichstand betont, die sehr ungleiche Verteilung von Teilhabe bei Entscheidungen und dem Zugang zu Ressourcen.
Wird Gleichberechtigung im Uni-Kosmos schneller umgesetzt?
Nein, wir sind nicht schneller als die Gesellschaft, wir entwickeln nur eher eine Sprache dafür. Während des Studiums und in der Promotion war ich mir aber immer sicher, dass die Uni ein privilegierter Ort ist.
Erleben Sie Diskriminierung, Misogynie in ihrem beruflichen Alltag?
Früher habe ich darüber nicht nachgedacht, je höher ich komme, desto häufiger merke ich das. Die Sensoren sind aufgestellt. Seit vier Jahren bin ich gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten und den vielen Zuständigen in den universitären Einrichtungen für die Thematik verantwortlich und denke mehr über meine Performance nach, auch auf der Bühne. Das macht nachdenklich, selbstkritisch, aber auch ziemlich wütend, weil es immer eine geschlechtliche Komponente hat.
„Ja, ich bin Feministin!“
Bezeichnen Sie sich als Feministin?
Ja, es ist ein wichtiges Label und eine kraftvolle Denktradition.
Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Forschung und Familie aus?
Mittlerweile bekommen Männer, die Kinderbetreuung leisten, viel Aufmerksamkeit. Und umgekehrt haben Frauen nicht mehr so ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich auch um ihre Karriere kümmern. Manche Kollegen blenden zu Beginn einer Online-Vorlesung ihre Kinder ein, um als Role Model dienen zu können. Wenn Männer Kinder betreuen, dann werden sie manchmal als Mr. Mom angesprochen. Das ist bis heute eine Entscheidung, die wenige Menschen treffen – in drei bis fünf Prozent aller Haushalte mit kleinen Kindern ist die Frau die alleinige Verdienerin. Dabei geht die Sonne auf und die Welt nicht unter, wenn Eltern sich wirklich abwechseln bei der Begleitung der Kinder in die Selbstständigkeit.
Wie erleben Sie die Debatte zur gendergerechten Sprache?
Die Diskussion kommt immer wieder in Wellen hoch. Es gibt Disziplinen, in denen Texte nicht gegendert werden. Das wird auch nicht laut gefordert. Es setzt eher langsam im Rahmen der stärkeren Teilhabe von Frauen in diesen Feldern ein. Die Debatten, die öffentlich geführt werden, laufen auch in der Uni-Welt. Wir haben 2018 einen Leitfaden zur gendergerechten Sprache geschrieben, da gab es erhebliche Bedenken, das zentral auszuflaggen. Jetzt arbeiten wir an einer Webseite, auf der wir die Möglichkeiten durchspielen. Die Seite soll Orientierung bieten und wird zugänglich für alle sein. Die UDE war schon immer gut darin, Akzente zu setzen und Polarisierungen zu vermeiden. Es gibt hier keine verbindlichen Regeln, es bleiben Wahlmöglichkeiten.
Stichwort Gendern: Der Sprachgebrauch kann in die Wertung von Arbeiten eingehen
Es soll passieren, dass Arbeiten, in denen nicht gegendert wird, eine Note herabgestuft werden.
Wenn es in der Hausarbeit um Geschlechtergewalt geht und der Text gar nicht die eigene Sprachwahl reflektiert, ist das schon möglich. Wer zu Rassismus schreibt und dann rassistische Sprache benutzt, wird ebenfalls damit rechnen dürfen, dass dieser Sprachgebrauch in die Bewertung eingeht. Ich habe aber noch nie von einer ingenieur-wissenschaftlichen oder medizinischen Arbeit gehört, bei der dieser Aspekt Konsequenzen für die Bewertung hatte. Die UDE überlässt Studierenden und Beschäftigten viel Raum für eigene Verantwortung.
Wie überzeugen Sie die Menschen an der Uni für mehr Diversität?
In Gesprächen mit Senatorinnen und Senatoren oder Kommissionsvorsitzenden setze ich auf den Perspektivwechsel, um ein Bewusstsein für Reibungspunkte zu stärken. Manche sind unbelehrbar und machen ihre Witze. Andere lassen sich von Argumenten überzeugen. Für manche ist gendergerechte Sprache, die Gleichberechtigung insgesamt eine Gefahr, ein Angriff auf ihr Selbstverständnis, auf die Ordnung der Welt. Ich komme aus einer konservativen Familie und weiß, wie sehr sich Menschen gefährdet fühlen, die eine männliche Sprache für neutral halten.
Für die Vereinbarkeit braucht es eine echte Revolution
Sollte ihr Amt auch mal von einem Mann übernommen werden?
Es wäre wichtig, wenn die Aufgaben der Fürsorge und des Erkämpfens von Zugängen und Erfolgen gleichermaßen von allen übernommen werden. Für die Vereinbarkeit braucht es eine echte Revolution.
Ihr Amt ist in dem Zuschnitt schon besonders.
Die UDE war 2008 deutschlandweit die erste, die es eingerichtet hat. Inzwischen haben ein Drittel aller Unis solche Ämter. Wer künftig Forschungsgelder bekommen will, braucht eine Diversitätsstrategie - und damit wird das Amt zum Standard, es wird aufgewertet. Überall wo Menschen sind, kämpfen sie um knappe Ressourcen und solange wird es immer neu produzierte Ungleichheiten geben. Es braucht im Personalmanagement den kritischen Blick darauf, wer aufsteigt und wer rausfällt.
Es gibt viele verschiedene Slogans zum Frauentag: „Break the bias“ (Für eine Welt frei von Vorfestlegungen), die Vereinten Nationen fordern „Each for Equal“ (Jede/r für Gleichberechtigung), der DGB proklamiert „Wandel ist weiblich“. Was trifft es?
Das Bild, das die Gewerkschaften erzeugen, geht für meinen Geschmack zu sehr in Richtung weiche indirekte Macht der Frauen. „Break the bias“ trifft es, weil es die größte Herausforderung ist, zu mehr Erwartungsoffenheit zu gelangen. „Each for equal“ ist cool, weil es auf die Solidarität abzielt. Wir müssen zu einem solidarischen Streiten um Zugang zu Ressourcen und Teilhabe kommen.
Der Weg zur geschlechtergerechten Gesellschaft ist keine Party
Das klingt, als sei der Weg hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft schmerzhaft.
Ja das ist ein Kampf, keine Party. Niemand gibt seine Ressourcen gerne ab. Das muss aber passieren, wir sagen das inzwischen auch ganz offen. Wir sind die Interventionsleute. Wir stören euch! Seither geht es besser, etwa in Berufungsverfahren. Die Leute, die wir stören, benehmen sich besser. Gleichstellung ist disruptiv.
Sind sie – als Feministin, als Prorektorin – ein kämpferischer Mensch?
Auf jeden Fall, das Amt fordert meine Terrier-Qualitäten. Lockerlassen geht selten. Es braucht Freundlichkeit, aber frau darf sich nicht verunsichern oder wegscheuchen lassen.
>>GESCHLECHTERVERHÄLTNIS AN DER UDE
- Das Geschlechterverhältnis ist bei den 41.740 Studierenden halbe-halbe, sagt Professorin Barbara Buchenau. Bei den Studierenden liegt der Frauenanteil bei 49 Prozent. In den technischen Fächern sind noch mehr Männer eingeschrieben, in den Reflexionswissenschaften studieren mehr Frauen. Insgesamt schließen derzeit auch mehr Frauen ihr Studium ab: knapp 60 Prozent.
- Bei den Promovierenden liegt der Frauenanteil bei 47 Prozent. Zwischen 2010 und 2015 gab es eine Zunahme von einem Prozent oder mehr bei den Frauen in Professuren. „Bei den teuersten Professuren ist jede zweite an eine Frau gegangen“, berichtet Buchenau, „leider wurden es gleichzeitig in anderen Bereichen weniger Frauen“. Insgesamt liegt das Verhältnis bei 26 Prozent – jede vierte Professur geht an eine Frau. Bei den Juniorprofessuren gehen 45 Prozent an Frauen.
- Nachfolgerin im Amt der Prorektorin für Gesellschaftliche Verantwortung, Diversität und Internationalität ist die Duisburgerin Karen Shire, Direktorin des Essener Kollegs für Geschlechterforschung.