Duisburg. Beleidigungen gegen Rettungskräfte sind keine Ausnahme, teilweise kommt es zu körperlicher Gewalt. Ein neues Meldesystem soll nun helfen.

Der Schlag in den Nacken kam wie aus dem Nichts. Als der Duisburger Feuerwehrmann Valentino Tagliafierro vor einigen Jahren bei einem Einsatz körperlich angegriffen wurde, ahnte er noch nicht, wie kompliziert es danach werden würde. „Wir haben die Polizei gerufen und Anzeige erstattet“, erinnert sich der 44 Jährige. „Danach gab es ein komplettes Wirrwarr beim Meldevorgang, niemand wusste so recht, wer was machen sollte.“

Das Melden eines solchen Vorfalls sei bis vor Kurzem noch sehr kompliziert gewesen, die Betroffenen hätten sich oft im Stich gelassen gefühlt. Strafanzeigen seien auf Grund dessen oft fallen gelassen worden, berichtet Tagliafierro, der auch Vorsitzender des Fachbereiches Feuerwehr und Rettungsdienst der Komba Gewerkschaft NRW sowie auf Bundesebene ist. Verbesserung soll nun das Innovative Melde- und Erfassungssystem Gewaltübergriffe (IMEG) bringen.

[Berichte über Einsätze von Polizei und Feuerwehr in Duisburg finden Sie auf unserer Blaulicht-Spezialseite]

Das System ist ein Baustein des 2019 vorgestellten Aktionsplans „Gemeinsam gegen Gewalt“, das vom NRW-Innenministerium und Gesundheitsministerium, der Komba Gewerkschaft NRW sowie zahlreichen weiteren Institutionen initiiert worden war. Die Initiatoren wollen mit IMEG ein breiteres Bewusstsein für den Umgang mit gewaltsamen Angriffen gegen die Feuerwehr und Rettungskräfte schaffen. Dafür sind in den ersten 18 Monaten die Leit- und Dienststellen der kreisfreien Städte Bochum, Krefeld, Hamm, Duisburg und Düsseldorf sowie die Kreise Herford, Mettmann, Lippe, Minden-Lübbecke, Warendorf und die Städteregion Aachen am Pilotprojekt beteiligt. Die Kosten trägt in der Pilotphase das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Duisburger erklärt: So funktioniert das neue Meldesystem IMEG

Stolz präsentiert Valentino Tagliafierro im Büro des Komba-Ortsverbandes Duisburg ander Schwanenstraße das neue Melde- und Erfassungssystem. „Statt umständlich auf Meldebögen, können betroffene Einsatzkräfte den Vorfall online mit Hilfe eines QR-Codes melden“, erklärt er. „Jetzt muss man nur noch Kästchen ankreuzen, je nach Schwere des Delikts wird das Rechtsamt eingeschaltet und gegebenenfalls sofort eine Strafanzeige gestellt.“

Das System ergänze bereits bestehende Prozesse zur Unterstützung von Einsatzkräften nach entsprechenden Vorfällen um konkrete Maßnahmen, wie psychosoziale Nachbereitung, Unfallanzeige und Strafanträge. Gleichzeitig sollen die erfassten Daten mit der Zeit an Aussagekraft gewinnen und als Grundlage für zukünftige Präventivmaßnahmen dienen.

Bis es zum Start des Pilotprojekts am 10. Januar kam, mussten einige Steine ins Rollen gebracht werden. Seit dem Jahr 2018 hatte eine Arbeitsgruppe daran gearbeitet, ein niederschwelliges und freiwilliges Meldeangebot zu schaffen, um umfänglich körperliche, verbale und nonverbale Übergriffe sowie Sachbeschädigungen möglichst einfach und effektiv digital zu erfassen. „Ungefähr ab den Jahren 2014 und 2015 war uns klar: Wir müssen den Meldeprozess vereinfachen und die Bürokratie abbauen“, sast Tagliafierro. „Wichtig ist, dass wir die Kollegen vom Sinn des Meldens von Gewaltvorfällen überzeugen, der Schutz unserer Arbeit ist schließlich das höchste Gut.“

Angriffe auf Retter sind keine Ausnahme

Und dieses Gut ist gefährdet: Duisburgs Feuerwehrchef Oliver Tittmann berichtete schon im Herbst 2019, dass Behinderungen, Eingriffe und Respektlosigkeiten während Einsätzen „keine Ausnahme“ seien

Laut einer Studie des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum aus dem Januar 2018, in der 4500 Einsatzkräfte befragt worden waren, seien 26 Prozent der Rettungskräfte und zwei Prozent der Feuerwehrkräfte im Jahr 2017 Opfer von körperlicher Gewalt im Einsatz geworden.

Deutlich höher liegt mit 92 Prozent (Rettungsdienst) und 36 Prozent (Feuerwehr) die Zahl der verbalen und mit 75 Prozent (Rettungsdienst) und 29 Prozent (Feuerwehr) der nonverbalen Übergriffe. Besorgniserregend für die Beamtengewerkschaft Komba: Etwa 80 Prozent der Einsatzkräfte meldeten solche nonverbalen und verbalen Ausbrüche erst gar nicht.

Übergriffe auf Rettungskräfte: „Irgendwann reicht es“

Für Valentino Tagliafierro sind die Gründe für ein solches Verhalten gegenüber der Feuerwehr nur schwer nachzuvollziehen: „Die Leute sind in Ausnahmesituationen am Telefon natürlich nervös und da haben wir in der Leitstelle natürlich auch Verständnis für – aber irgendwann reicht es.“ Oft seien auch Alkohol oder andere Drogen im Spiel. Hinter jeder Einsatzkraft stecke ein Mensch „und nicht jeder kann einen Angriff gut verarbeiten.“

Dass Retter bei Einsätzen Beleidigungen und Angriffe erleben, ist keine Ausnahme.
Dass Retter bei Einsätzen Beleidigungen und Angriffe erleben, ist keine Ausnahme. © Unbekannt | Marius Fuhrmann

Gespannt blickt der 44-Jährige auf die kommenden 18 Monate. Zum Ende der Pilotphase wird er sich mit seinen Gewerkschaftskollegen zusammensetzen und eine „hoffentlich positive Bilanz ziehen.“ Er hofft, dass IMEG in diesem Fall zukünftig auch in anderen Städte außerhalb Nordrhein-Westfalens genutzt werden kann. Schließlich hätten bereits andere Feuerwehren ihr Interesse bekundet.

>>Zahl der Fälle gestiegen

  • Die körperliche Gewalt gegen Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst ist auch in Duisburg angestiegen.
  • Wurden im Jahr 2020 noch fünf Einsatzkräfte Opfer körperlicher Gewalt, stieg die Zahl im Jahr 2021 auf sieben Fälle an.