Duisburg-Ruhrort. Minipli, Vokuhila oder Dauerwelle: Der Friseursalon Westerhelweg in Duisburg-Ruhrort hat viele Trends überlebt. Diese Promis waren Kunden.
Der Friseursalon Westerhelweg feiert Geburtstag: Seit 150 Jahren kann man sich in dem Ruhrorter Salon die Haare waschen, schneiden und legen lassen. 150 Jahre bedeuten zahllose Strähnchen, Fassonschnitte und ja, so manche Modesünde – „Vokuhila“, vorne kurz hinten lang etwa, Minipli oder Trapezdauerwelle. Da trugen die Frauen den Scheitel glatt und unten wellig. „War alles Mal Trend. Ich kann mich noch gut an die Krüsselköppe erinnern“, erzählt die Chefin lächelnd. „150 Jahre, dat is’ schon wat. Aber gegen so ein Traditionsunternehmen wie Haniel kommen wir trotzdem nicht an.“
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Doch der Reihe nach. Gegründet wurde der Salon von Heinrich Westerhelweg im Jahr 1872 – damals noch als Barbier- und Rasierstube für Herren. In einer Chronik heißt es über die Anfangsjahre: „Zu den Kunden gehörten Persönlichkeiten, die sowohl die Dienste der Barbiere als auch eine gute Zigarre zu schätzen wussten, wie Wilhelm Lehmbruck und Gustav Heinemann, der auf Staatsreisen die 1. Rasierstube am Platze besuchte, sowie Kunden aus aller Welt.“ Schnurrbart schneiden kostete damals übrigens fünf Pfennig, ein Kurzhaarschnitt 20. Wer musste, ließ sich beim Frisör auch Zähne ziehen. Auch das Schröpfen gehörte zum Service.
Im Salon in Duisburg-Ruhrort ließ sich auch Wilhelm Lehmbruck die Haare machen
Später übergab Gründer-Figaro Heinrich die Geschäfte an seinen Sohn Heinrich-Adolf, der das Angebot um Rauch- und Tabakwaren ergänzte und auch „4711 Kölnisch Wasser“ vertrieb. Als Heinrich-Adolf verstarb, übernahm dessen Sohn Gerd-Adolf zusammen mit seiner Mutter Margarete. „Mein Vater Gerd war der jüngste Meister und brauchte 1953 eine Ausnahmegenehmigung“, erinnert sich Anja Westerhelweg.
Die ersten Jahrzehnte des Betriebs kennt die 57-Jährige natürlich nur aus Erzählungen, und weil sie zum Jubiläum durch alte Kisten mit Fotos stöberte. Dort fand sich auch noch Zubehör – etwa Spucknäpfe für Kautabak. Oder eine Trockenhaube aus den 1950er Jahren. 1956 wurde der Salon nämlich umgebaut und bekam auch eine Abteilung für Damen. „Die Dauerwellen haben früher ganz schön gestunken. Als Kind habe ich immer mit Puppen gespielt und die frisiert. Irgendwann hat mein Papa mir und meiner Schwester mal Perücken für die Puppen gefertigt, wenn wir uns verschnitten hatten.“
Die Geschäfte liefen gut – Filialen entstanden in Homberg und Meiderich
Los war immer was. Die Geschäfte liefen gut. Der Vater kürzte, die Mutter führte die Geschäfte im Hintergrund. Die Ruhrorterin Anita Cleto baute den Damensalon mit auf. Die Damen wünschten eine Farbveränderung oder Locken. Manche Herren kamen zwei Mal pro Woche vorbei, um sich den Bart stutzen zu lassen. „Die Schiffer haben in Ruhrort ihren Einkauf erledigt und sind dann zu uns gekommen.“ Nach und nach kamen weitere Filialen im Stadtteil, aber auch in Homberg und Meiderich dazu. „Unterm Tisch wurden sogar Kondome verkauft. Aber die Privatsphäre wurde stets gewahrt“, erinnert sich Anja Westerhelweg.
Bevor sie ins Friseurgeschäft einstieg, machte sie übrigens eine Ausbildung zur Erzieherin. „Meine Eltern wollten gar nicht, dass ich Friseurin werde.“ Stattdessen überlegte sich die Meisterin, zunächst mit Jugendlichen arbeiten zu wollen. „Es war nur damals sehr schlecht, eine Anstellung zu finden. Und da dachte ich mir, dass Friseur ja ein kreativer Beruf ist.“ Also besuchte sie noch einmal die Schule und bildet sich heute noch in Sachen Trends fort. „Wer Extensions will oder sich die Haare im Balayage-Stil färben lassen will, der sitzt hier schonmal mehrere Stunden. Aber man kann auch nicht aus jedem Kopf jede Frisur machen“, weiß sie. Da ist dann sanfte Beratung gefragt.
Montags geöffnet: Einen Ruhetag gab’s noch nie
Außerdem muss sie die Smalltalk-Themen stets parat haben. Ein bisschen Klatsch und Tratsch aus aller Welt und, noch wichtiger, aus Ruhrort. „Sie gibt gerne weiter, was im Stadtteil los ist, aber mit Kommentaren hält sie sich zurück“, bestätigt Kunde Olaf Reifegerste. Er lässt sich seine grauen Haare am liebsten von der Chefin stutzen. „Am besten so, dass man gar nicht sieht, dass ich beim Friseur war“, verrät er. Und der Gattin muss es natürlich gefallen. Seit 2010 ist der Wahl-Ruhrorter Stammkunde, denn da hat sich Anja Westerhelweg mit verschiedenen Aktionen am Kultur-Hauptstadtjahr beteiligt. Auch den Schnaps „Ruhrorter Stadtgespräch“, den Drogist Lindemann in den frühen 1950er Jahren erfunden hat, kann man exklusiv bei ihr bekommen.
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Aktuell arbeiten zwei Festangestellte bei Westerhelweg sowie einige Aushilfen. Erfahrene Damen, die eigentlich nicht mehr arbeiten müssten. „Aber ich bin froh, dass sie noch aushelfen“, sagt die Inhaberin. Durch Corona sei es zwar ruhiger geworden, aber einen Ruhetag gab’s noch nie in dem Salon. Montags und dienstags öffnet sie von 7.30 bis 18.30 Uhr, mittwochs bis freitags wird von 7.30 bis 19 Uhr frisiert und am Samstag von 7 bis 15 Uhr. „Manchmal stehen die Leute schon auf der Matte, bevor wir auf haben“, weiß sie.
Für die Zukunft wünscht sie sich, dass der Salon noch weiteren Generationen ein Auskommen bietet. Mit ihrer Nichte Ann-Kathrin stünde eventuell eine Nachfolgerin bereit.
>> 380 Friseursalons
Derzeit gibt es laut Kreishandwerkerschaft Duisburg 380 Friseursalons in Duisburg.
Ob Westerhelweg der älteste Betrieb ist, lässt sich allerdings nicht sagen, heißt es vonseiten der Kreishandwerkerschaft. Im Krieg seien viele Unterlagen zerstört worden – bis ins 19. Jahrhundert reichen die Aufzeichnungen nicht zurück.