Duisburg/Iberá. 2019 wurde das in Duisburg geborene Riesenotterweibchen Alondra in Argentinien ausgewildert. Hier ist ihre bewegende Geschichte.
Diese Geschichte hat jetzt alle Qualitäten, die ein erfolgreicher Disney-Film bräuchte: umwerfende Hauptfiguren, Spannung, Dramatik, und sie geht ans Herz. Das Beste daran ist aber, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt. Und sie beginnt in Duisburg.
Im Zoo am Kaiserberg, der damals sehr erfolgreich die südamerikanischen Riesenotter nachzüchtet, bekommt das Paar Maldito und Amana am 4. Juli 2011 Nachwuchs. Da ahnt noch niemand, welchen Weg das Schicksal für das junge Weibchen vorgesehen hat, das den Namen Alondra erhält. Auch nicht Maik Peschke, der 2013 in dem Revier anfängt und sich fortan auch um die in ihrem nassen Element pfeilschnellen Raubtiere kümmert. „Damals durften nur spezielle Leute die Otter pflegen“, erklärt Peschke. „Das Ziel war ja, diese stark gefährdete Tierart zu erhalten und geschützt eine Population aufzubauen. Und wer junge Riesenotter haben will, muss für die Ruhe sorgen, die diese Tier brauchen.“
Wuselige Familie
Das gelang dem Zoo Duisburg offensichtlich gut, denn Maik Peschke berichtet, dass zu Hochzeiten zwölf Otter durch das Gehege wuselten. Doch die höchst lautstarke und agile Familie konnte auf Dauer nicht zusammenbleiben. „Wenn der Nachwuchs mit zweieinhalb, drei Jahren geschlechtsreif wird, ist es Zeit zu gehen“, sagt Peschke. Das gelte auch in freier Wildbahn, aber umso mehr in Tiergärten, die nur begrenzten Platz zur Verfügung haben. Während in ihrem natürlichen Lebensraum die Eltern den Jungen sozusagen „die Tür“ weisen, übernimmt bei den Tierparks das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP) diese Aufgabe. Und das empfahl für Alondra einen Umzug in den Zoo von Budapest.
Maik Peschke trainierte 2014 zwei Wochen lang mit dem jungen Riesenotterweibchen für den Transport nach Ungarn. „Ich hab sie in und hinter der Transportkiste gefüttert, damit sie sich an die Kiste gewöhnt. Als sie dann im September nach Ungarn gebracht wurde, hat sie sich ganz entspannt in die ihr vertraute Kiste gelegt“, erinnert sich Peschke. Aus den Augen, aus dem Sinn könnte man jetzt sagen.
Auserwählt für Argentinien
Weil die Aufmerksamkeit natürlich all den anderen Bewohnern der Kaiserberg-Arche gelten musste, hat die nächsten Jahre wohl niemand mehr im Zoo Duisburg an Alondra gedacht. Bis im Dezember 2019 der damalige zoologische Leiter Johannes Pfleiderer von einem aufregenden Projekt berichtete: In Nordosten Argentiniens wolle die nicht staatliche Naturschutzorganisation Fundación Rewilding Argentina, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die ursprüngliche Fauna in Argentinien wieder anzusiedeln, Riesenotter auswildern. Jene „Wölfe der Flüsse“ (Lobos del Rio), wie sie dort genannt werden, die Mitte des 20. Jahrhundert aus der argentinischen Wildnis verschwanden, weil der Mensch sie gnadenlos gejagt und ihren Lebensraum zerstört hat. Und als Pfleiderer dann noch erzählte, dass das erste Tier für dieses Auswilderungsprojekt aus Budapest kommen soll, waren alle im Zoo Duisburg elektrisiert.
Konnte es sein, dass ein Riesenotterweibchen aus Duisburg möglicherweise die Stamm-Mutter einer neuen Population in dem ursprünglichen argentinischen Verbreitungsgebiet dieser hochbedrohten Tierart werden sollte? So war es! Der Name des Tieres, Alondra, ließ kaum einen Zweifel. Als dann aber die ersten Bilder von der Fundación Rewilding Argentina eintrafen, die das Otterweibchen beim Schwimmen in der Lagune von Paraná zeigen, war für Maik Peschke sofort klar: Das ist unser Duisburger Mädel. „Die hat die gleiche Rumsnase wie ihr Vater“, meint er liebevoll.
Nach zwei Jahren Vorbereitung, der Überwindung etlicher bürokratischer Hürden, der Investition einer beachtlichen Menge Geldes und dem Transport von Unmassen an Material flog Alondra in ihrer Transportkiste im März 2019 in Argentinien ein und eroberte sich schnell und geschickt ihr neues Territorium im Nationalpark Iberá – ein 800 Quadratmeter großes abgetrenntes Gehege mit Land- und Wasserzugängen. Wenig später folgte der für sie vom EEP ausgesuchte Partner Coco, ein Riesenotter aus Dänemark. Ob die beiden allerdings miteinander klarkommen würden, stand noch in den Sternen.
Sie kamen. Und das von Anfang an, wie Rewilding Argentina berichtete. Monat um Monat wuchs die anfängliche Sympathie zur Harmonie, mit zunächst traurigen Folgen, denn Alondra hatte zwei Totgeburten. Das sei bei jungen Otterpaaren auch in freier Wildbahn keine Seltenheit, erklärt Rewilding Argentina. Betrübt waren die Naturschützer dennoch. Doch dann kam die beruhigende und berührende Nachricht, auf die alle sehnsüchtig gewartet hatten: Am 26. Mai dieses Jahres teilte die argentinische Naturschutzorganisation, die mit dem Duisburger Zoo in lockerem Austausch ist, mit, dass am 19. Mai drei junge Riesenotter im Park Iberá geboren wurden. Alondra und Coco würden sich vorbildlich um ihren Nachwuchs kümmern. Was Maik Peschke nicht weiter wundert: „Alondra hat sich auch bei uns schon immer um ihre jüngeren Geschwister gekümmert. Da hat sie viel gelernt.“
Unter dieser doppelten Fürsorge – auch Coco kümmert sich hingebungsvoll um die wuselige Kinderschar – sind die drei Kleinen inzwischen aus dem Gröbsten raus. Sie haben auch den etwas ruppigen Schwimmunterricht ihrer Eltern schadlos überstanden und sind im Wasser fast schon so schnell wie die Alttiere. Regelmäßig veröffentlicht Rewilding Argentina kleine Videos der Riesenotterfamilie auf Facebook. Dort konnten auch die Menschen über die Namen für die drei kleinen Wonneproppen – zwei Männchen und ein Weibchen – mitentscheiden: Ipegua (ein guter Schwimmer), Yvera (leuchtende Gewässer) und Chiru (ein treuer Begleiter) heißen nun die drei von der Rasselbande. Ihre Namen stammen aus der Sprache der Guarani, der indigenen Ureinwohner Argentiniens.
Immer wieder Gänsehaut-Momente
Im Zoo Duisburg sorgen diese Nachrichten aus Argentinien immer wieder für Gänsehaut-Momente. „Wir haben die Tiere gezüchtet, sie bewahrt und nun schließt sich der Kreis mit der Auswilderung. Das ist für uns alle hier bewegend“, sagt Zoo-Sprecher Christian Schreiner. Und Maik Peschke ergänzt: „Auswilderung ist ja das, was man sich für die Tiere wünscht. Unsere Aufgabe als Zoo ist es, Arten zu erhalten und stabile Reservepopulationen aufzubauen.“ Damit könnten dann wildlebende Bestände einer Tierart gestärkt werden, oder sogar wie in diesem Fall ausgerottete Populationen wieder aufgebaut werden. „Allerdings muss dazu auch der politische Wille da sein, wie in Argentinien“, betont Maik Peschke.
So ist nun tatsächlich ein „Duisburger Mädchen“ die Stamm-Mutter einer neuen Population von Riesenottern in Argentinien geworden. Alondra und Coco werden ihr neues Territorium, in dem sie noch geringen Kontakt zu Menschen haben, nicht mehr verlassen. Aber ihren Jungen werden dort abwandern und die erste neue wildlebende Generation begründen.
Um eine mögliche Inzucht zu vermeiden, sind die nächsten Schritte schon getan. Nach dem Erfolg mit Alondra und Coco wurde ein weiteres Ottermännchen nach Argentinien gebracht. Seit dem 15. Mai lebt auch Nanay aus dem schwedischen Eskilstuna Zoo im Park Iberá. Dort wartet er auf ein Weibchen, das ihm bald folgen soll.
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Mit einer Länge von bis zu 1,80 Metern (davon 70 cm Schwanz) ist der Riesenotter der größte im Süßwasser lebende Otter. Die Tiere können bis zu 24 Kilogramm schwer und bis zu 15 Jahre alt werden.
Otterpaare bleiben in der Regel bis an ihr Lebensende zusammen.
Groß ist auch der Zusammenhalt in einer Riesenotter-Familie, deren Mitglieder sich untereinander durch 20 verschiedene Laute verständigen. Den Familien wird nachgesagt, dass sie gemeinsam selbst Kaimane und Jaguare in die Flucht schlagen.
Otter sind auch ganz groß im Kuscheln. Ob Paare oder Familien – eng zusammenliegen und sich aneinander schmiegen ist typische Otterart.