Duisburg. Zwei prominente Sportler sind von Belarus nach Duisburg geflohen. Land setzt regimekritische Sportler unter Druck. So gehts für das Paar weiter.

Andrei Krauchanka galt in Belarus lange als Held. Bei den olympischen Spielen in Peking holte der Sportler im Zehnkampf die Silbermedaille. 13 Jahre nach dem Erfolg ist der Athlet aus seiner Heimat geflohen. Geflüchtet vor dem autoritären Staatsapparat von Machthaber Alexander Lukaschenko, sucht er seine Freiheit in Duisburg.

„Ich hatte Angst um meine Familie. In Belarus werden diejenigen, die die Wahrheit sagen, hinter Gitter gebracht“, sagt der 35-Jährige, während er auf einer Bank vor dem Rathaus sitzt. Der 1,91-Meter-Hüne ist mit seiner Frau Yana Maksimava, ebenfalls Sportlerin mit internationalen Erfolgen im Sieben- und Fünfkampf, sowie der Tochter, in Sicherheit. Eine Sicherheit, die der Familienvater in seiner Heimat bedroht sah.

Sportler fliehen von Belarus nach Duisburg – aus Angst vor Machthaber Lukaschenko

Denn für den regierenden Staatschef Alexander Lukaschenko habe Andrei Krauchanka seinen Heldenstatus eingebüßt. Der Athlet, der öffentlich die Zustände in Belarus anprangert, sei eine Gefahr für die staatliche Ordnung. Er gelte als Staatsfeind, weil der 35-Jährige nicht schweigt.

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Er gehört zu jenen Sportlern, die einen offenen Brief unterschrieben haben, in dem Neuwahlen und die Freilassung politischer Gefangener gefordert werden. Die Zeilen werfen ein Schlaglicht auf die zerrütteten Zustände im Land – zum Missfallen des oft als letzten Diktators Europas bezeichneten Machthabers.

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Bei den Wahlen im August 2020 hatte sich Lukaschenko mit 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Zweifel am Ergebnis – die EU erkennt das umstrittene Votum nicht an – mündeten in Massenprotesten. Das Regime Lukaschenkos schlug mit Gewalt zurück. Der Druck auf unabhängige Medien, Journalisten und Journalistinnen und Personen des öffentlichen Lebens, die sich etwa in sozialen Medien gegen Lukaschenko aussprechen, ist nach wie vor hoch.

„Wir gehören zu den Menschen, die nicht schweigen können“

„Wir gehören zu den Menschen, die nicht schweigen können“, sagt Yana Maksimava. Sie hatte Bilder exzessiver Polizeigewalt in sozialen Netzwerken verbreitet – anschließend flog sie aus der Sportförderung des Landes. Als Machtinstrument Lukaschenkos gelte Einschüchterung, erzählt das Paar. „Ich wurde heimlich beim Training gefilmt“, sagt die Sportlerin. Ständig soll das Paar beobachtet worden sein. „Wenn du in dein Auto steigst, prüfst du alle Reifen“, beschreibt Krauchanka das Gefühl der Unsicherheit.

Ein hochrangiger Politiker in Begleitung zweier Wachmänner soll eines Abends vor Krauchankas Tür gestanden haben. „Ihr sollt aufhören. Denk an dein Kind und deine Frau“, soll er gesagt haben. Neben der Warnung folgte für Krauchanka der Ausschluss aus der Nationalmannschaft und die Kündigung beim KGB, dem staatlichen Geheimdienst.

Andrei Krauchanka war zehn Tage in Haft

Im November 2020 wurde der Sportler bei einem Straßenprotest verhaftet. An jenem Tag trug er einen dunkelblauen Pullover – den er auch beim Gespräch auf dem Burgplatz in Duisburg trägt. Die Kordel an der Kapuze fehlt noch immer. Auch aus den Schuhen hatten die Beamten zur Suizidprävention die Senkel entfernt, erzählt er.

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Krauchanka erinnert sich an die seelischen Verletzungen. „16 Stunden waren wir in Polizeigewahrsam. Es war nicht erlaubt, sich hinzusetzen.“ Zehn Tage blieb er anschließend in Haft. 20 Männer seien in einer Zelle für vier Personen untergebracht worden. „Wir haben auf dem Boden geschlafen oder im Stehen. Die Betten waren aus Metall, es gab keine Matratzen. Eine Lampe hat immer geleuchtet. Wir wurden mürbe gemacht“, sagt der Sportler.

All die Erlebnisse, die Verhaftungen von Freunden, die sie als Augenzeugen miterlebt haben, Berichte über Folter, zuletzt der Umgang mit der belarussischen Olympionikin Kristina Timanowskaja, ließen in dem Paar die Hoffnung schwinden, dass sie in Belarus noch in Sicherheit sind.

Neuanfang in Duisburg: Hoffnung auf Olympia 2024

Ein befreundeter Leichtathlet half ihnen deshalb, nach Deutschland zu flüchten. „Ich lerne gerade Deutsch und möchte gerne als Trainer arbeiten“, sagt Krauchanka. „Ich würde aber auch Lkw entladen. Ich mache alles für meine Familie.“ Derzeit lebt er mit Frau und Kind in einer Wohnung in Nähe der Innenstadt.

Yana Maksimava sieht ihre Zukunft im Sport. „Ich trainiere jeden Tag“, sagt die 31-Jährige motiviert. Noch ist sie ohne Verein, Laufeinheiten und tägliche Besuche im Fitnessstudio sollen sie fit halten. „Ich hoffe sehr, dass meine Sportkarriere weitergeht.“ Ihr Traum: Die Teilnahme an den olympischen Spielen 2024 – am liebsten unter der weiß-rot-weißen Nationalflagge, die für ein Belarus ohne Lukaschenko steht. „Wir werden dafür bis zum Ende kämpfen“, sagt die Sportlerin.

Andrei Krauchanka und Yana Maksimava zusammen mit der Tochter am Mercatorbrunnen vor dem Rathaus. „Wir bleiben nicht ruhig“, sagt der Leichtathlet und möchte weiter für ein freies Belarus kämpfen.
Andrei Krauchanka und Yana Maksimava zusammen mit der Tochter am Mercatorbrunnen vor dem Rathaus. „Wir bleiben nicht ruhig“, sagt der Leichtathlet und möchte weiter für ein freies Belarus kämpfen. © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

>> BELARUS: LUKASCHENKO UND DER SPORT

  • Der Sport habe für Lukaschenko eine große Bedeutung und werde für Propagandazwecke genutzt. Auf der Bühne des Sports könne er Seite an Seite mit anderen Präsidenten stehen, erzeuge so das Bild eines legitimierten Staatsoberhauptes, erklärt Krauchanka.
  • Lukaschenko sagte 2018 in einem Interview: „Dank Siegen der belarussischen Athleten wird das Ansehen des Staates gebildet und werden Menschen zum Patriotismus erzogen.“
  • Bei den olympischen Spielen in Tokio konnte sich der Machthaber nicht im Glanz der Erfolge seiner Sportler sonnen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte ihn im Vorfeld der Spiele von allen olympischen Aktivitäten ausgeschlossen. Das Land habe seine Athleten nicht ausreichend vor politischer Diskriminierung geschützt, teilte das IOC mit.
  • Der belarussische Sportminister soll offenbar Athleten seines Landes verboten haben, an internationalen Wettbewerben und Trainingscamps teilzunehmen und das Land zu verlassen, teilte Andrei Krauchanka jüngst auf seinem Instagram-Account mit. Der Leichtathlet bezieht sich auf Infos eines ehemaligen Sportkameraden in Belarus.