Duisburg. In 378 Familien musste das Duisburger Jugendamt im vergangenen Jahr wegen Kindeswohlgefährdung eingreifen. Warum die Fallzahlen gesunken sind.
Körperliche und psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt, Vernachlässigung – das Kindeswohl kann auf vielfältige Art gefährdet werden. In Duisburg zählte das Jugendamt im vergangenen Jahr 1416 Verfahren zur Einschätzung, 2019 waren es 1930.
Die Hinweise kommen von Schulen, Kitas, Verwandten, Bekannten, Polizei, Gericht und auch etwa Nachbarn. „Das Jugendamt Duisburg überprüft Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung und führt gemäß dem gesetzlichen Auftrag und der fachlichen Standards eine Gefährdungseinschätzung durch“, erklärt Stadtsprecher Falko Firlus.
Duisburg: Weniger Inobhutnahmen als im Vorjahr
In 146 Fällen wurden die Fachleute daraufhin wegen akuter Gefährdung tätig sowie in 232 Fällen latenter Gefährdung, ein Hilfebedarf wurde in 456 Fällen erkannt.
Dies geschehe unter Beteiligung der Kinder, Jugendlichen und sorgeberechtigten Eltern. „Je nach Bedarf der Familie wird ein Hilfekonzept erstellt und den Eltern angeboten“, so Firlus.
Kinderheime in Duisburg – ein Jahr im Pandemie-ModusNachdem die Zahl der Inobhutnahmen im vergangenen Jahr auf 300 angestiegen war, hat sie sich im ersten Jahr der Corona-Pandemie fast halbiert auf 175 Fälle. Sie seien ohnehin das letzte Mittel der Wahl in dramatischen Fällen, verdeutlicht Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke.
Der Rückgang der Fallzahlen hat nach seiner Einschätzung zwei Gründe: Das Meldeverhalten sei durch Corona etwas zurückgegangen. Den Hauptgrund sieht er aber im verminderten Zuzug unbegleiteter Minderjähriger im vergangenen Jahr. Denn sie werden automatisch vom Jugendamt in Obhut genommen und beeinflussen die Statistik.
„Präventionsketten lassen Kindeswohlgefährdung oft gar nicht erst entstehen“
In Duisburg könne man „auf ein hervorragendes Netzwerk zurückgreifen, mit Präventionsketten, die bei den Frühen Hilfen anfangen“. Es gebe eine gute Kooperation unter den freien Trägern und die Prophylaxe-Maßnahmen „sorgen dafür, dass Kindeswohlgefährdung gar nicht erst entsteht“.
Die Stadt sei im Notfall aber auch während der Pandemie handlungssicher gewesen, da ein Träger bereit war, Corona positive Kinder aufzunehmen.
[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]
Köpcke ist wichtig, zu betonen, dass Kindeswohlgefährdung nichts ist, was nur in ärmeren Familien vorkommt. Sexueller Missbrauch, psychische Misshandlung, all das sei auch in gutbürgerlichen Familien anzutreffen.
Wo es beengte Wohnverhältnisse gibt, Spielplätze und Jugendzentren pandemiebedingt geschlossen sind, könnten allerdings mehr Konflikte entstehen. Dem müsse man mit rechtzeitigen Hilfsangeboten entgegenwirken. „Da geht es nicht immer sofort um Kindeswohlgefährdung“, warnt Köpcke vor falschen Schlüssen.
Angebote für Familien in prekären Situationen
Die Jugendhilfe sei insbesondere in den nördlichen Stadtteilen verstärkt unterwegs gewesen. Die Corona-Schutzverordnung habe es möglich gemacht, Kinder aus prekären Familiensituationen Angebote zu machen: „Sie konnten weiter in die Kita gehen, auch die Schulen waren sehr aktiv“, lobt Köpcke.
Der Familienvater lobt die Leistung der Eltern in den vergangenen anderthalb Jahren. „Sie waren hochbelastet und haben eine ganze Menge geleistet.“ Dennoch habe vielfach die Fröhlichkeit der Kinder gelitten, der Kontakt zu anderen Kindern, der für ein gesundes Aufwachsen wichtig sei, habe gefehlt. Welchen Einfluss das auf die weitere Entwicklung der Kinder hat, bleibe abzuwarten.
Hinweise auf Verdachtsfälle nimmt der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamtes entgegen. Der ASD ist unter 0203/94000 zu erreichen und behandelt Informationen vertraulich. Die zuständigen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die einzelnen Bezirke sind auf dieser Webseite verzeichnet: https://www.duisburg.de/vv/produkte/pro_du/dez_ii/51/asd.php
>>> NRW-WEIT 9,3 PROZENT MEHR VERDACHTSFÄLLE
- Die NRW-Jugendämter haben 2020 in Nordrhein-Westfalen im Rahmen ihres Schutzauftrags in 54.347 Fällen eine Einschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorgenommen. Das waren 9,3 Prozent mehr als im Jahr 2019 (49.707). Jugendamtsleiter Köpcke betont, dass es regional sehr starke Unterschiede gibt. Im Regierungsbezirk Düsseldorf, wozu Duisburg zählt, liege der Anstieg der Fälle bei 5,2 Prozent. In Münster und Arnsberg sei die Zahl der Kindeswohlgefährdungen aber im zweistelligen Prozentbereich angestiegen.
- Alle Zahlen zum Thema Kindeswohlgefährdung im landesweiten Vergleich finden Sie auf der Webseite von IT.NRW: https://www.it.nrw/2020-wurden-nrw-93-prozent-mehr-faelle-zur-einschaetzung-bei-verdacht-auf-kindeswohlgefaehrdung