Duisburg. Beim Festival „Eigenzeit“ für neue Kammermusik soll es „verträumt und verspielt“ zugehen. So war der Auftakt der Philharmoniker im Theaterfoyer.
Das neueste Projekt der Duisburger Philharmoniker, das Festival für neue Kammermusik „Eigenzeit“, könnte sich als nahezu ebenbürtige Antwort auf die traditionsreichen „Wittener Tage für neue Kammermusik“ etablieren. Das betrifft vor allem die Einbindung lokaler Aufführungsstätten und Künstler in Programme von internationaler Vielfalt, die Einblicke in den Stand der aktuellen kammermusikalischen Avantgarde erlauben. Allerdings, wie der diesjährige Kurator des Festivals, der in Duisburg geborene Komponist Hauke Berheide verspricht, soll es „fröhlich, verträumt und verspielt“ zugehen, was man von den Wittener Tagen nicht behaupten kann. Auch verzichtet man in Duisburg weitgehend auf auswärtige Interpreten, sondern nutzt die Spielfreude und Neugier der Duisburger Philharmoniker, um sich dieses Terrain in größerem Umfang zu bedienen.
An Spielfreude mangelte es der Auftaktveranstaltung im gut besuchten Theaterfoyer auch nicht im Geringsten. Für die Philharmoniker, von denen sich bisher bereits viele mit neuer und neuester Musik beschäftigt haben, bietet sich eine Plattform, mit Uraufführungen aufwendiger Arbeiten renommierter Tonschöpfer neue Publikumsschichten zu erreichen. Die Unterstützung durch das Förderprogramm „Neue Wege“ des Landes NRW bietet Freiräume für größere Projekte.
Schlagzeuger Kersten Stahlbaum: viel Feingefühl an einer akustischen Waage
Den spielerischen Aspekt des Festivals löste Berheide in der Auftaktveranstaltung durch eine Folge von sechs Kompositionen, darunter drei Uraufführungen, eine, die „Unerhörte Kammermusik, Klangskulpturen, Spieluhren, Motörchen“ versprach.
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Am Aufwendigsten wurde dem Anspruch die kolumbianische Komponistin Violeta Cruz in ihrem fünfsätzigen Werk „The Cricket and the Snail“ („Die Grille und die Schnecke“) gerecht. Besetzt für Schlagzeug, akustische Waage und Streichquartett, präsentiert sich die Musik als diffizile Klanginstallation, für die Leo Lescop eine akustische Waage herstellte, mit der Gewicht in Zeit transformiert werden soll.
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Von Satz zu Satz behängt die Komponistin die Waage mit immer leichteren Gewichten, die der Schlagzeuger Kersten Stahlbaum mit Sand, Steinen und viel Feingefühl in immer kürzeren Zeiten ins Gleichgewicht bringen muss, untermalt von teils auskomponierten, teils spontan improvisierten Klängen des Streichquartetts. Schade, dass die eigentlich zentrale Waage optisch in den Hintergrund gedrängt wurde. Denn der Gehalt der Musik mit ihren recht willkürlich anmutenden Geräuschklängen fällt eher bescheiden aus.
Abschiedsgeschenk für den scheidenden Intendanten Prof. Alfred Wendel
Dass allerdings technischer Aufwand und musikalischer Gehalt nicht immer durch Ausgewogenheit bestechen, scheint für etliche Bereiche der Neuen Musik nicht untypisch zu sein. So verspricht „Zucker“ von Lisa Streich „für motorisiertes Ensemble“ spektakulärere Resultate als die leisen Kratz- und Zirpgeräusche hergeben können, die auf der Gitarre oder dem Violoncello auch ohne Motoreneinsatz realisierbar wären.
Bescheideneren Aufwand betreibt Hauke Berheide in seinem „Epilog II“ für Schlagzeug, Streichquartett und programmierbare 32-Ton-Spieluhr. Eine Spieluhr, mit der Berheide an Klischees gemütlicher alter Zeiten erinnern möchte, die er aber durch fulminante Steigerungen zu katastrophischen Höhepunkten führt. Wobei die programmierte Spieluhr ohne Substanzverlust durch ein Glockenspiel ersetzt werden könnte.
Die beiden neuen Stücke von Jérôme Combier und Missy Mazzoli bieten den Duisburger Philharmonikern reiche Chancen, die Klangmöglichkeiten ihrer Instrumente auszureizen. Wobei die Absicht des Franzosen wie der Amerikanerin, akustische Grenzbereiche der Instrumente auszuloten, streckenweise verkrampft wirken. Schließlich sind die Möglichkeiten begrenzt, auch wenn man, wie seit vielen Jahren, Klaviere präpariert, mit dem Bogen am Steg kratzt oder auf der Klarinette mit der Zunge schnalzt. Der Blick auf die kompositorische Substanz wird eher versperrt.
Ein langer, interessanter Abend und zugleich ein schönes Abschiedsgeschenk für den scheidenden Intendanten der Duisburger Philharmoniker, Prof. Alfred Wendel, der sich freuen darf, dass sich das ambitionierte Projekt seines Orchesters doch noch realisieren lässt. Und das vor leibhaftigem Publikum.
>> EIGENZEIT: FORTSETZUNGEN AM 29. AUGUST UND 15. SEPTEMBER
• Fortgesetzt wird „Eigenzeit“ am 29. August im Theaterfoyer mit „Listen, Listen!“, einer Liedertafel mit Lyrik in neuen Vertonungen. Es folgt mit „Phantasmagorie“ ein „Spektakel-Konzert“ am 15. September in der Liebfrauenkirche.
• Die Klangwerkstatt „Fundsache“ wird ihre Resultate im Lehmbruck-Museum präsentieren. Der Aufführungstermin steht aber noch nicht fest.
• Infos: www.duisburger-philharmoniker.de