An Rhein und Ruhr. In den vergangenen Wochen gab es für Hunderttausende Grundschüler Distanzunterricht. Die Erfahrungen könnten unterschiedlicher kaum sein.
Am Montag endet für Sabine Krosse und Haris Kondza eine nervenaufreibende und mühselige Zeit. Die beiden leiten eine Grundschule. Krosse in Wissel, einem Dorf am Niederrhein, Kondza in Duisburg-Marxloh. Bei der Rückschau auf die vergangenen Wochen zeigt sich: Sie arbeiten in verschiedenen Welten. Was sie verbindet ist die Erleichterung darüber, dass die Grundschulen am 22. Februar wieder öffnen.
Rund ein Drittel der etwa zwei Millionen Schüler in NRW besucht eine Grundschule. Häufig sind das kleine Schulen wie die St-Luthard-Grundschule an der Dorfstraße in Wissel, einem 2000-Einwohner-Dorf bei Kalkar. Sabine Kross, ihre Kolleginnen und ein Kollege unterrichten dort 183 Schüler.
Die Wege im Dorf sind kurz, man kennt sich
In den vergangenen Wochen kopierten und schnürten sie Lernpakete, verschickten sonntags Arbeitspläne, hielten mehrmals täglich Videokonferenzen mit Kleingruppen von Schülern ab. „Es war deutlich mehr zu tun als sonst“, erzählt die Schulleiterin.
Aber: Es gab in Wissel so gut wie keine Probleme. Die Wege im Dorf sind kurz, man kennt sich. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern funktioniert sehr gut“, betont Krosse. Wenn mal ein „einzelnes Kind“ seine Arbeitspapiere nicht ausgefüllt hatte oder nicht in einer Videokonferenz erschien, „dann haben wir hinterhertelefoniert“.
Was die Kinder nachholen müssen, wird sich zeigen
Fast als ein Drittel der Schüler war ohnehin ab und an in der Notbetreuung, fast immer, weil die Eltern berufstätig sind. Wer Nachholbedarf hatte, der konnte „mal am Fenster eine Frage stellen“ – das Gebäude der Grundschule ist ebenerdig. Was die Kinder nach den mehr als zwei Monaten der Ferien und des Distanzunterrichtes nachholen müssen, das „wird sich in der nächsten Zeit herauskristallisieren“, sagt die Schulleiterin, und sie klingt entspannt.
Diejenigen, bei denen sich schon jetzt Lücken gezeigt haben, hat sie bereits jetzt in die Schule eingeladen, sie kommen für zwei Stunden täglich. Jetzt sei sie zunächst einmal „sehr froh, dass es wieder losgeht“. Ab Montag, im Wechselunterricht, und mit ausreichender Vorbereitungszeit, was erwähnenswert ist, weil das Landesschulministerium die Schulen in der Vergangenheit viel zu häufig mit kurzfristigen Maßnahmen überrascht und überfordert hat.
Marxloh: 380 Kinder, nur ein Drittel spricht Deutsch
Rund 60 Kilometer entfernt von Wissel freut sich auch Haris Kondza über den Start am 22. Februar. Anders als seine Kollegin Krosse waren er und sein Kollegium jedoch in der Zeit des Distanz-Unterrichts mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Kondza ist Leiter der Grundschule Regenbogen in Duisburg-Marxloh. 380 Kinder von denen 95 Prozent einen Migrationshintergrund haben, rund 250 sind erst in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen. Nur etwa ein Drittel spricht Deutsch.
Anfangs, erinnert sich Kondza, hätten sie bis 25 Prozent der Kinder überhaupt nicht erreichen können. „Wir haben massiv nachgesteuert und jede Familie zu Hause besucht.“ Zusammen mit Mitarbeitern des Jugendamtes oder dem Kommunalen Integrationszentrum, mit Dolmetschern und Elternberatern. Immer wieder die dringende Bitte, doch die Unterrichtsmaterialien abzuholen. Etliche Eltern seien wegen der Corona-Krise verunsichert gewesen, hätten sich nicht nach draußen getraut. Wer kein oder nur schlecht Deutsch spricht, hat Probleme, die Informationen einzuordnen, die jeden Tag verbreitet werden.
Kondza: Die Pause war fatal für unsere Schüler
Kondza und seine Kolleginnen und Kollegen machten Angebote, warben damit, dass in der Schule Schreibtische in einem warmen Raum stehen. Viele Menschen in Marxloh leben in beengten Wohnverhältnissen, haben keinen Internetzugang und ein sehr begrenztes Datenvolumen auf den Telefonen. Die Maßnahmen erzielten Erfolge, in der Spitze kamen 32 Kinder zu Betreuung in die Regenbogenschule. Rund 20 Kinder fielen trotzdem während der gesamten Zeit durchs Raster. „Das stellt uns natürlich vor große Schwierigkeiten.“
Kondza gibt sich keinen Illusionen hin. „Die Pause war fatal für unsere Schüler.“ Übergang in eine weiterführende Schule nach vier Jahren? „Wir sehen nicht, wie das funktionieren soll“, sagt der Schulleiter. Mehr als die Hälfte seiner Schüler werde mehr als die vier Jahre brauchen, manche fünf, andere möglicherweise auch sechs. Am Montag werden die Lehrenden an der Regenbogenschule mit den Erstklässlern im Grund genommen wieder ganz von vorne anfangen müssen.
Es wird dauern, bis die Kinder wieder auftauen
Und das Kollegium? Hatte eine harte Zeit. „Eigentlich leben wir von Routinen. Aber die Routinen sind uns weggebrochen.“ Weil sie an der Regenbogenschule Bildungserfolge für ihre Schüler erreichen wollen, waren die Lehrerinnen und Lehrer durchgehend für Eltern ansprechbar, erzählt Kondza. Die Folge: Viele Anrufe, auch Sonntagabends.
Die Arbeit wird an den Grundschulen wird jetzt erst richtig anfangen, befürchtet Christiane Mika. Sie ist Leiterin einer Grundschule in Dortmund und Landesvorsitzende des Grundschulverbandes. „Schon nach dem ersten Lockdown waren viele Kinder wie paralysiert.“ Im zweiten Lockdown in der kalten Jahreszeit seien viele kaum draußen gewesen. „Es wird dauern, bis sie sozial und emotional wieder aufgetaut sind“, glaubt Mika.