Duisburg. Warum die Grillo-Gesamtschule in Marxloh froh ist über einen Fleischermeister im Kollegium. Und warum ein Schauspieler ihn wunderbar ergänzt.

Sie sind Fleischermeister und Schauspieler – und trotzdem Teil des Lehrerkollegiums der Herbert-Grillo-Gesamtschule in Duisburg-Marxloh. Warum sich die Schule über diese besondere Verstärkung besonders freut.

Ludger Vlaswinkel, der Fleischermeister, und Schauspieler Martin Müllerhöltgen gehören als Lehrkräfte zum multiprofessionellen Team, das sich um die berufliche Zukunft der Kinder kümmert. Sie beginnen mit der Unterstützung bei der Berufsorientierung, sobald sie in der achten Klasse im Lehrplan auftaucht. „Wir begleiten sie dann kontinuierlich bis zur zehnten Klasse, lernen die Schüler gut kennen“, erklären die beiden.

Schüler bei der Berufsfelderkundung unterstützen

Ob es um die Potenzialanalyse in der Klasse acht geht, Berufsfelderkundungen oder Berufspraktika in der Neun und Zehn – sie sind dicht an den Kindern. Das „Bo-Team“ hält auch während der Zeit in den Betrieben Kontakt, besucht die Schüler vor Ort, spricht mit den Ausbildern. „Für die Schüler ist das eine Riesenchance, sich zu zeigen“, sagt Müllerhöltgen. Solche Praktikumsstellen zu suchen, sei zeitaufwendig und für Lehrer nebenbei nicht zu leisten.

Schauspieler Martin Müllerhöltgen (links) und Fleischermeister Ludger Vlaswinkel arbeiten an der Herbert-Grillo-Gesamtschule in Duisburg im multiprofessionellen Team im Bereich der Berufsorientierung.
Schauspieler Martin Müllerhöltgen (links) und Fleischermeister Ludger Vlaswinkel arbeiten an der Herbert-Grillo-Gesamtschule in Duisburg im multiprofessionellen Team im Bereich der Berufsorientierung. © FUNKE Foto Services | Stefan Arend

Gerade bei den Langzeit-Praktika, wo ein Schüler einmal wöchentlich im Betrieb ist, würden Zeugnisnoten in den Hintergrund treten, wenn sie mit praktischer Arbeit überzeugen. „Für manche Kinder ist Schule einfach nichts, die wollen was mit den Händen schaffen“, weiß auch Schulleiter Thomas Zander. Zuletzt seien über das Langzeit-Praktikum sechs Schüler in die Ausbildung übernommen worden, erzählen sie stolz.

Buntes Team nach dem Schulmotto „Vielfalt ist unsere Stärke“

Das „Bo-Team“ koordiniert auch die Angebote im Rahmen des Landesprogramms „Kein Abschluss ohne Anschluss“, unterstützt im Fach Wirtschaftslehre. Eng kooperieren Martin Müllerhöltgen und Ludger Vlaswinkel mit dem Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit.

Und wie kommt man jetzt als Metzger in die Schule? Vlaswinkel hatte 16 Jahre lang einen eigenen Betrieb, schuftete 80 Stunden die Woche, bildete fortwährend aus. Als sich ein Nachfolger fand, der sein Team übernimmt, nutzte er die Chance. „Eigentlich ist das jetzt der geilste Job meines Lebens“, erzählt der 56-Jährige begeistert. Auch seine Hobbys wie Skifahren und Klettern kann er erlebnispädagogisch einbringen.

Ähnlich begeistert klingt Müllerhöltgen (54), der Theaterpädagoge kann seine schauspielerische Expertise etwa bei Rollenspielen zu Bewerbungsgesprächen oder bei Trainings zur Körpersprache zur Geltung bringen. Thomas Zander freut sich über die Chance, die die Landesregierung ihm bot, als Ganztagsschule und in Zeiten des Lehrermangels andere Berufsgruppen ins Team zu holen, „passend zum Schulmotto: Vielfalt ist unsere Stärke!“

Schüler lernen, pünktlich und zuverlässig zu sein

Die Unterstützung, die sie leisten, ist bei manchen Kindern auch ein bisschen „Elternhausersatz“, sagen sie. Die Schüler daran zu erinnern, dass sie in den Betrieben Botschafter der Schule sind, dass sie pünktlich und zuverlässig sein müssen, all das gehört zum Auftrag des Teams.

Manche Schüler müssen auch den Blick weiten, um über Marxloh hinaus zu kommen. Müllerhöltgen nennt es das „47169-Syndrom: Fünf Haltestellen weiter ist für sie eine andere Welt.“ In Marxloh sei die Zahl der Betriebe mit Lehrbefähigung aber limitiert. Um einen Ausbildungsplatz zu bekommen, müssten die Jugendlichen lernen, weiter zu schauen. Da ist das Bo-Team streng, selbst Praktika werden in Betrieben ohne Ausbildungschance nicht gestattet, zu groß ist die Sorge, dass die Schüler da als billige Hilfsarbeiter hängen bleiben.

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An der Schule gibt es 60 AGs, von denen ein Drittel berufsorientiert ist – es gibt Angebote für Kosmetik, Elektro, Holz, aber auch die Arbeit an einem Pflegebett, erzählt Müllerhöltgen. Ohne diese Horizonterweiterung werde die Hälfte der Jungs Kfz-Mechaniker.

Obwohl beide sagen, dass sie in ihrem Traumjob gelandet sind, hat das Engagement an der Schule einen Haken: „Wir wurden von der Bezirksregierung eingestellt, weil wir billige Arbeitskräfte sind“, sagt Vlaswinkel. Als Metzgermeister verdiente er mehr – und seine vierköpfige Familie könne er nur finanzieren, weil sein Heim abbezahlt und keine Miete mehr fällig ist. So mancher Lehrer verdiene das Dreifache. „Als 30-Jähriger hätte ich hier nicht anfangen können“, sagt er bedauernd, „jetzt ist es okay“.

>>> KEIN ABSCHLUSS OHNE ANSCHLUSS

  • Die Landesregierung gestaltet mit der frühen Berufsorientierung den Übergang von der Schule zu Studium oder Beruf.
  • Mit jedem Kind wird eine individuelle Anschlussperspektive erarbeitet.
  • Die Praktika in diesem Schuljahr konnten an der Schule kurz vor dem Herbst-Lockdown durchgeführt werden. Seither ist das Team der Berufsorientierung vor allem per Video und Telefon mit den Schülern verbunden.

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