Duisburg. Die Mitarbeiter vom Petershof in Marxloh und Ehrenamtler fordern mehr Initiative von der Stadt. Sie sorgen sich um die Wohnungslosen in Duisburg.
„Wir haben Angst vor dem Winter“, sagt Pater Oliver Potschien, der im Petershof in Duisburg-Marxloh Obdachlose beherbergt. Ähnlich geht es Ela Bexte, die mit dem Projekt Herzenswärme Obdachlosen am Schäferturm in der Stadtmitte eine warme Mahlzeit spendiert. Gerade erst haben sie ihr Angebot auch auf das Wochenende ausgeweitet. Krisensitzung im Petershof.
Der Krankenwagen des Vereins „Gemeinsam gegen Kälte“ steht auf dem Platz, die Besatzung versorgt ein paar Verletzungen. Daneben wird aus einem riesigen Topf Essen verteilt. Es regnet in die Teller hinein, also platzieren sich manche der Hungrigen in die Kirche, wo sich der Geruch von Weihrauch mit dem Duft der Linsensuppe mischt.
Die Schlafcontainer für Obdachlose auf dem Petershof in Duisburg sind voll
Die Schlafcontainer neben der Kirche sind voll. Wird ein Platz frei, spricht sich das schnell herum, „dabei ist auch bei uns nicht alles Bullerbü“, sagt Sandra Hankewitsch. Sie ist seit März für die Obdachlosenarbeit beim Georgswerk angestellt. Die Diplom-Pflegewissenschaftlerin kennt schon die meisten Besucher und ihre Lebensgeschichten.
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Deshalb regt sie der sozialpolitische Schlüsselbegriff der „Mitwirkungsbereitschaft“ so auf. Sie bezweifelt, dass die Betroffenen überhaupt mitwirkungsfähig sind. „Das sind Menschen mit komplexen Problemlagen, ohne Vertrauen ins System oder ihre eigenen Fähigkeiten“, beschreibt die 49-Jährige. Nach ihren Erkenntnissen platze das Betreute Wohnen aus allen Nähten, gebe es Wartelisten für andere Notschlafstellen wie das Wolfgang-Eigemann-Haus des Diakoniewerks in Kaßlerfeld.
Und dann ist da noch das Hotel Salm. Schon bei dem Namen verdrehen alle die Augen. Es biete eine reine Unterbringung, keine Gemeinschaftsräume, keine Unterstützung. Ohne Bewilligungsbescheid der Zentralen Anlauf-, Beratungs- und Vermittlungsstelle ZABV darf keiner rein, für die Schwächsten der Wohnungslosen sei schon das ein unüberwindbares Hindernis, sagt Hankewitsch. Die Stadtverwaltung betont aber, dass seit Beginn der Corona-Pandemie Mitarbeiter auch persönlich vorbeikämen.
Zwei Obdachlose erzählen, dass sich die Bewohner nicht gegenseitig besuchen, nicht auf dem Zimmer kochen dürfen. „Es gibt keinen Kühlschrank, dabei leb ich da seit sechs Monaten“, sagt einer.
So profane Dinge wie ein gemeinsam geschautes Fußballspiel: nicht möglich, da es keinen Gemeinschaftsraum gibt, geschweige denn einen Fernseher. Der Unterschied zum Leben auf der Straße sei lediglich das nächtliche Dach über dem Kopf. „Es gibt für uns keine Putzmittel. Ich kann nicht mal die Krümel wegsaugen und Flecken mach ich mit Klopapier weg“, berichtet ein Bewohner.
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Das größte Dilemma sei, dass er keine Wohnung finde, weil er Mietschulden hat. Und während er im Hotel Salm haust, wachse der Schuldenberg weiter, weil er auch für diese Unterbringung zahlen muss, weshalb er weiterhin keine Wohnung bekommen wird.
Die Stadtverwaltung, darauf angesprochen, erklärt, dass die Unterbringung „nur eine überbrückende Lösung“ sei. „Die betroffenen Personen beziehen meistens Sozialleistungen von Leistungsträgern (oder werden aufgefordert, Leistungen zu beantragen), die Kosten für Unterbringung und Ernährung beinhalten“, erklärt ein Stadtsprecher.
Ela Bexte und Sandra Hankewitsch fassen das unter die „Mitwirkungspflicht“. Viele ihrer Gäste seien psychisch jedoch nicht in der Lage, solche Behördengänge zu erledigen.
Die Wohnungslosen brauchen Zeit, anzukommen und Vertrauen aufzubauen
Hankewitsch setzt bei ihren Gästen auf Zeit, um sie ankommen zu lassen und dann in Ruhe zu schauen, welche Schritte zurück in die Gesellschaft führen können. Die sind so unterschiedlich wie die Wohnungslosen selbst. Neben der Gruppe der Leistungsbezieher gibt es jene mit ungeklärtem Leistungsbezug, die viel Unterstützung benötigen beim Ausfüllen von Anträgen, beim Beschaffen von Formularen. „Sie haben kein Telefon und online Termine zu vereinbaren ist ein frommer Wunsch bei Menschen, die noch nie eine E-Mail-Adresse hatten“, sagt Hankewitsch. Das sei nicht niederschwellig gedacht.
Zur dritten Gruppe gehören polnische Wanderarbeiter sowie jene über rumänische Schlepperbanden hier gestrandeten Menschen, denen inklusive Pass alles abgenommen wurde. Zwar bezahle die Fachstelle für Wohnungsnotfälle die Rückreise, „aber da ist noch Luft nach oben“, findet Hankewitsch und erzählt von dem Rumänen, der nur noch heim wollte, aber keinen Pass hatte, kein Deutsch sprach und mittellos war. „Er wurde in einen Zug nach Berlin gesetzt. Da sollte er sich dann selbst zur Botschaft durchschlagen.“ Solche Aktionen erwecken bei ihr den Eindruck, dass es darum geht, „die Leute loszuwerden“.
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Pflegeplätze und Krankenzimmer für Obdachlose gibt es nicht
Die Mitarbeiter vom Petershof sorgen sich auch um die Gäste, die da bleiben: „Die werden nicht alle über den Winter kommen“, befürchtet Hankewitsch. Einige seien sehr krank. Die Container-Schläfer würden sich gegenseitig helfen, da gebe es richtige „Kümmerer“. Aber wohin mit den Menschen, wenn sie nicht mehr allein aufs Klo können?, fragt die Betreuerin.
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Dazu erklärt die Stadt, dass „ein ständiger fachlicher Austausch mit den beteiligten Institutionen des Hilfesystems“ stattfinde. Alle Erkenntnisse „sollen in die Überlegungen zur Weiterentwicklung des Fachstellenkonzeptes einfließen. Das nächste Arbeitsgespräch findet bereits im Oktober statt.“
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Verein Herzenswärme will zum Aufwärmen einen Linienbus bereitstellen
Über solche Ankündigungen kann Ela Bexte nur lachen. Mit dem Verein Herzenswärme verteilt sie regelmäßig über 50 warme Mahlzeiten. Jahrelang habe sie vergeblich bei der Stadt um Räumlichkeiten gebeten, die man zwei Stunden täglich für die Essensausgabe und zum Aufwärmen nutzen kann.
Stattdessen habe sie mit ihrem Mann nun einen Linienbus gekauft, der dafür aufbereitet wird. Hoffnung mache ihr auch der in Arbeit befindliche MoWaBu, ein Bus, in dem Obdachlose ihre Wäsche waschen und trocknen können.
Obdachlose werden am Hauptbahnhof vom Ordnungsamt weggeschickt
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Nach Angaben der Stadt kontrolliert der Außendienst des Bürger- und Ordnungsamtes aufgrund von Beschwerden aktuell mehrfach täglich das Umfeld des Duisburger Hauptbahnhofs. Dort habe sich in den letzten Wochen eine Gruppe von obdachlosen Personen etabliert, „die vor Ort lagert, lärmt und den Bereich vermüllt“.
Da die in solchen Fällen ausgesprochenen Verwarnungsgelder von dem Personenkreis selten beglichen werden können, gebe es nur die Aussprache eines Platzverweises. „Jedoch kehren die betroffenen Personen am nächsten Tag oftmals zu den Örtlichkeiten zurück“, erklärt ein Pressesprecher der Stadt.