Duisburg. Die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“ im Stadtmuseum im Duisburger Innenhafen erzählt vom Völkermord – auch an Duisburger Sinti und Roma.

Mit der Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“ erinnert das Zentrum für Erinnerungskultur (ZfE) im Kultur- und Stadthistorischen Museum im Duisburger Innenhafen seit April an den Völkermord an den Sinti und Roma und ihren langen Kampf um Anerkennung. Eine Ausstellung, die wegen der Corona-Pandemie weniger Beachtung gefunden hat als erhofft. Schulklassen, Begleitprogramm – alles weggebrochen.

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Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma hat die Ausstellung mit dem provokanten Titel konzipiert. Dem ZfE ist es gelungen, erstmals die Lebenswege Duisburger Sinti und Roma nachzuzeichnen. 140 Sinti und Roma wurden in der Zeit des Nationalsozialsmus aus Duisburg deportiert, viele in Auschwitz-Birkenau ermordet. Darunter die Tante von Mario Reinhardt, der die Geschichte seiner Familie für die Ausstellung erzählt hat.

Duisburger Sinti und Roma haben ihre Familienalben geöffnet

„Ich bin froh, dass sich die Familie geöffnet hat“, sagt Robin Richterich, dessen Aufgabe seit 2014 am ZfE überwiegend die pädagogische Arbeit, die Vermittlung von Geschichte ist. 2015 hat er den Arbeitskreis Antiziganismus gegründet, dadurch habe es „einen Vertrauensvorschuss“ gegeben. Sogar ihre Familienalben mit vielen Fotografien haben die Nachkommen der Verfolgten geöffnet.

Der Urgroßvater des 1969 geborenen Mario Reinhardt, August Lehmann, war Geigenbauer, die Urgroßmutter hatte ein Haushaltswarengeschäft am Weidenweg in Kaßlerfeld. Sie hatten sieben Kinder, darunter die 1920 geborene Christine, die mit dem Nicht-Sinto Karl Hessel zusammenlebte. Heiraten durften die beiden wegen der Nürnberger Rassegesetze nicht, aber Christine blieb von der ersten großen Deportation 1940 verschont.

Kriminalobersekretär brachte Kinder persönlich nach Auschwitz

Robin Richterich vom Zentrum für Erinnerungskultur hat die Ausstellung kuratiert, die um Duisburger Biographien erweitert wurde.
Robin Richterich vom Zentrum für Erinnerungskultur hat die Ausstellung kuratiert, die um Duisburger Biographien erweitert wurde. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Nachdem das Paar zwei Kinder, Egon und Robert, bekommen hatte, wurde Christine 1943 verhaftet, um „die Reinerhaltung des deutschen Blutes zu gewährleisten“. Sie wurde dann nach Auschwitz deportiert, wo sie 1944 ums Leben kam. Ihre Kinder, fünf und zwei Jahre alt, holte der Duisburger Kriminalobersekretär Wilhelm Helten aus ihrem Versteck und brachte sie als „Zigeunermischlinge“ persönlich in das Vernichtungslager.

Ihre Großmutter väterlicherseits bat vergebens um ihre Freilassung. Die Kinder wurden ermordet. Helten gab nach dem Krieg an, nicht gewusst zu haben, was im Lager passierte.

Christines zwei Jahre jüngerer Bruder Franz überlebte Deportation, Ghetto, Zwangsarbeit, Auschwitz und den Todesmarsch nach Buchenwald. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück, lebte mit seiner Familie bis zu seinem Tod 1992 in Neudorf. Für die fünfjährige Gefangenschaft erhielt er einen Kleinstbetrag als Haftentschädigung. Mario Reinhardt ist sein Enkel.

Graphic Novel illustriert die Geschichte der Schaustellerfamilie Kreutz

Ungewöhnlich: Die Geschichte der Familie Kreutz wird als Graphic Novel illustriert, „weil Zeichnungen oft besser darstellen, was schwer auszudrücken ist“, so Richterich. Sie basiert auf den Erinnerungen von Hildegard Lagrenne (1921-2007). Die Schaustellerfamilie Kreutz – Hildegard war Tänzerin, ihr Bruder spielte Geige – durfte 1939 aufgrund eines „Festsetzungserlasses“ Duisburg nicht mehr verlassen und lebte mit anderen Artisten- und Musikerfamilien an der Koloniestraße.

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„Alles totenstill und leer“ heißt die von Jonas Heidebrecht gezeichnete Leidensgeschichte von Hildegard Lagrenne, die bei der Rückkehr nach Duisburg wieder bei Kriminalobersekretär Wilhelm Helten landete, als sie neue Papiere beantragen wollte. Nach dem Krieg hat sie sich für die Rechte der Sinti und Roma eingesetzt, ab 1981 beim Zentralrat.

Hildegard Lagrenne hat in einem Interview in den 80er Jahren gesagt: „Das Worte ,Zigeuner’ wollen wir heute nicht mehr hören, da stecken zuviel Blut und Tränen drin. Mit dem Wort ,Zigeuner’ sind wir deportiert und vernichtet worden.“

>>BEGLEITPROGRAMM WIRD NACHGEHOLT

  • Die Ausstellung bleibt noch bis zum 6. September im Stadtmuseum (dienstags bis samstags 10 bis 17 Uhr, sonntags 10 bis 18 Uhr, Eintritt Erwachsene 4,50, ermäßigt 2 Euro). Dort ist auch die begleitende Broschüre erhältlich.
  • Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, besichtigt die Ausstellung am Donnerstag, 27. August.
  • Das ausgefallene Begleitprogramm wird 2021 nachgeholt, so Museumssprecherin Natalie Grüber. Darunter ein Vortrag von Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, und ein musikalischer Abend mit Mario Reinhardt, der von seiner Familie erzählt; es spielt das Rosenberg-Quartett.