Duisburg. Wer so viel liest wie Christiane Bays als Lektorin der Duisburger Stadtbibliothek, weiß was ins Urlaubsgepäck passt: sechs persönliche Buchtipps.
Wer in diesem Sommer nicht verreist, kann mit den Buchtipps von Christiane Bays, Lektorin der Duisburger Stadtbibliothek, ferne Länder entdecken und in vergangene Zeiten eintauchen. Wer in den Urlaub fährt und entspannte Tage erlebt, kann lesend Abenteuer erleben – handfeste wie in „Der Fluss“, wenn in aus einer idyllischen Tour ein Horrortrip wird, aber auch Seelen-Abenteuer, wenn wie in „Wir holen alles nach“ der Familienalltag aus den Fugen gerät. Ein Buchtitel, der wie gemacht scheint für die Corona-Zeit, aber über die Befindlichkeiten in der Gegenwart erzählt.
Téa Obreht: Herzland, Rowohlt, 24 Euro
Arizona um 1890: Von der Ostküste aus macht sich Lurie, Sohn osmanischer Einwanderer, mit einem Kamel auf den abenteuerlichen Weg in das Herz Amerikas. Unterdessen kämpft die Farmersfrau Nora, deren Mann verschollen ist, allein gegen die Dürre und mächtige Viehzüchter, die ihre Farm und ihre Familie bedrohen. – Welche Konflikte im Einwandererland USA schwelten, welche Entbehrungen die Siedler in Arizona aushalten mussten und welche Opfer die ansässigen Navajos zu verzeichnen hatten, davon berichtet Obreht bildgewaltig und humorvoll und bietet damit ein sehr aktuelles Lesevergnügen.
Katya Apekina: Je tiefer das Wasser, Suhrkamp, 24 Euro
Nach dem Suizidversuch ihrer Mutter ziehen die beiden Schwestern Edie (16 ) und Mae (14) zur dem ihnen beinahe unbekannten Vater nach New York. Dennis Lomack ist ein charismatischer Schriftsteller, der vorrangig mit sich und seinen Liebschaften beschäftigt ist. Die Schwestern verkraften die neue Situation sehr unterschiedlich. Während Edie nur in ihr altes Leben zurück will, gerät Mae in eine ungesunde Abhängigkeit zum Vater, was schließlich zum Bruch zwischen den Schwestern führt. Ein psychologisches Puzzle, das den Leser von der ersten Seite in den Bann dieser vielschichtigen Geschichte zieht.
Holger Carsten Schmidt: Die Toten von Marnow, Kiepenheuer&Witsch, 16 Euro
In einer Rostocker Plattenbausiedlung wird ein Toter gefunden. Was zunächst wie ein klarer Fall erscheint entpuppt sich als falsche Fährte und als Beginn einer Mordserie mit politischem Hintergrund, der es in sich hat. Mächtige Strippenzieher führen das Ermittler-Duo auch an moralische Grenzen. Bei all ihren Fehltritten drückt man den beiden die Daumen und wird zum Komplizen. Lona Mendt und Frank Elling könnten unterschiedlicher kaum sein: während Lona in einem Wohnwagen lebt, führt Frank ein beschauliches Familienleben. Doch der Schein trügt auch hier.
Benjamin Myers: Offene See, Dumont, 20 Euro
Nordengland 1946: Der 16-jährige Robert hat die Schule beendet und soll wie der Vater Bergmann werden. Dies ist dem naturverbundenen Jungen ein Graus und er begibt sich auf eine mehrmonatige Wanderung in Richtung Süden – ans Meer. An der Küste von Yorkshire begegnet er der älteren, ungewöhnlichen Dulcie, die hier in einem Cottage alleine mit ihrem Hund lebt. Sie lädt Robert auf einen Tee ein, und er bietet seine Hilfe an. Schließlich bleibt er den ganzen Sommer bei der unkonventionellen Frau, die ihm aus ihrem sehr bewegten Leben erzählt und ihm hilft, einen eigenen Lebensplan zu entwickeln. Ein sehr positives, anrührendes Buch über Werte, Selbstfindung und Freundschaft mit viel Sommeratmosphäre.
Peter Heller: Der Fluss, Nagel & Kimche, 22 Euro
Die Freunde Jack und Wynn sind grundverschieden, teilen aber ihre Liebe zur Natur und dem Kajakfahren. Im Norden Kanadas begeben sie sich auf eine wochenlange Tour, die idyllisch beginnt, sich aber zunehmend in einen Horrortrip verwandelt. Sie begegnen nicht nur einer schwer verletzten Frau, deren Mann keine Zeugen braucht, sondern auch einem Waldbrand, der sich unweigerlich auf sie zubewegt. Die Spannung steigert sich unaufhörlich. Stark ist der Roman aber auch in den ruhigen Passagen, in denen die Freunde über ihr Leben nachsinnen und die Natur genießen. Ein wahrhaftiger Abenteuerroman!
Martina Borger: Wir holen alles nach, Diogenes, 22 Euro
Es gibt sie einfach, diese Tage, an denen alles schief geht. Die alleinerziehende Sina erlebt einen solchen Tag nicht zum ersten Mal: der Arbeitsplatz ist bedroht, der Ex-Mann sagt mal wieder die Ferienbetreuung ab für ihren siebenjährigen Sohn Elvis, der es schon aufgrund seines Namens nicht leicht hat in der Schule. Und irgendetwas stimmt nicht mit Torsten, ihrem Lebensgefährten… Zum Glück findet sie in der Rentnerin Ellen eine liebevolle Betreuerin für Elvis, doch auch hier kommt es zu Unstimmigkeiten. Elvis geschieht etwas Schlimmes, über das er nicht sprechen mag. So entstehen Verdächtigungen und Vorurteile, die den mühsam konstruierten Alltag der Familie ins Wanken bringt. Die Autorin schreibt allerdings keine Shut-Down-Geschichte, aber einen sehr empathischen Roman über unsere Gegenwartsgesellschaft und ihre Befindlichkeiten.
[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Duisburg. Den Duisburg-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]