Duisburg. Mit „Antigone“ feiert das Duisburger Theater nach der Corona-Pause die Rückkehr ins große Haus. Tatort-Schauspieler gibt den Kreon.

Derselbe sanfte Teppichboden, derselbe holzige Geruch, dieselben durchgesessenen Sitze: Das Duisburger Stadttheater ist wieder da, doch selbstverständlich ist zur ersten Vorstellung im großen Haus seit dem Lockdown noch längst nicht alles wie immer. Vor nur 100 Zuschauer startete das Theater am Freitag mit Jean Anouilhs Fassung der antiken griechischen Antigone-Tragödie die neue Zeitrechnung. Dramaturg Michael Steindl, Regisseurin Kathrin Sievers und ein großartiges Ensemble boten dem Publikum eine hervorragende Premiere, die sich wie eine kuschelige Decke auf die geschundene Seele legte, die in den vergangenen Monaten so sehr nach der Kunst gelechzt hatte.

Keine Gastronomie und strenge Sitzplatzregeln im Duisburger Theater

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Weniger kuschelig als viel mehr karg geht es vor dem Stück aber im Foyer zu: Getränke und Knabbereien gibt es coronabedingt natürlich nicht. Die Karten sind allesamt personalisiert, eine Abendkasse gibt es zwar, am Freitag sind die 100 Plätze aber schon alle vergeben. Auf dem Weg zum Platz gibt es genaue Anweisungen vom Personal, die Schutzmaske darf erst auf dem Sitzplatz abgenommen werden. Kleiner Coronavorteil: Mit mindestens drei Plätzen Abstand nach links und rechts und ohne Hinter- oder Vordermann fühlt sich jeder Besucher wie in der Ehrenloge.

Brillantes Spiel des gesamten Ensembles

Keinen Platz in der Welt: Antigone (Julia Zupanc) fühlt sich alleingelassen, auch von ihrem Onkel Kreon (Roland Riebeling) – und beschließt, sich zu opfern.
Keinen Platz in der Welt: Antigone (Julia Zupanc) fühlt sich alleingelassen, auch von ihrem Onkel Kreon (Roland Riebeling) – und beschließt, sich zu opfern. © Sascha Kreklau/Theater Duisburg | Sascha Kreklau

Doch zum Stück: Die zentralen Themen der bekannten Tragödie, Einzelinteresse gegen Staatsinteresse, der Mut zum „Nein“ oder das Pflichtbewusstsein zum „Ja“, all das gibt es auch in der Duisburger Inszenierung. Viel wichtiger ist aber Antigones „Coming-of-Age“-Geschichte und die Zerrissenheit König Kreons, der über sein Streben nach Glück und Wohlstand für sein Volk das Leben aus den Augen verloren hat.

Julia Zupanc spielt Antigone und Roland Riebeling, der geneigte Fernsehzuschauer kennt ihn aus dem Tatort, spielt König Kreon, ihr Dialog nimmt den Großteil der knapp zweistündigen Spielzeit ein. Antigone kämpft mit ihrem Erwachsenwerden, findet ihren Widerstand gegen Gesellschaft und Familie, in Personalunion ihres Onkels Kreon, wichtig genug, um dafür in den Tod zu gehen und verzweifelt daran, dass ihr Leben niemals „so schön wird wie meine Kindheit“.

Wer ist der Böse, und wer hat Recht?

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Kreon stellt klar das König zu sein heißt, „zu tun, was man nicht will“ und sagt Antigone, dass er ihr „Glück scheffeln“ wird, auch wenn sie es nicht will. Ob er in seiner Rolle als Onkel oder als König spricht, ist eigentlich egal, sein innerer Kampf ist in beiden Fällen derselbe. Klassischerweise wäre Kreon wohl „der Böse“ der Geschichte, doch oft schwingt sich Antigone in ihrem selbstgerechten Kampf in die Rolle der Antagonistin. Ist der Theaterzuschauer selbst schon zu sehr im Korsett der gesellschaftlichen Normativität gefangen, wenn er die jugendlichen Befreiungsschläge Antigones als albern und nervig abtut oder spielt Riebeling den Kreon einfach zu nachvollziehbar?

Nuanciertes Spiel aller Darsteller

Die Duisburger „Antigone“ ist ein vielschichtiges Stück, geizt nicht Ausflügen in diverse Metaebenen und ist eine Leinwand für das Spiel, den gewalttätigen Kampf des Erwachsenwerdens, der Selbstfindung und der Abnabelung – von der Familie, aber auch von einer Gesellschaft, der man längst entwachsen ist.

So komplex das alles klingen mag, so einfach und klar stellt das Ensemble all diese Dinge dar. Nicht nur Roland Riebeling, der grandios nuanciert, mit Mikromimik und - Gestik und feinen Tönen, spielt, auch der Rest der Schauspieler gibt alles. Das Duisburger Eigengewächs Adrian Hildebrandt als simpler Wächter, Lorenz Grabow als verantwortungsvoller Lebemann Hämon – alle Künstler schaffen gemeinsam eine filigrane Parabel über die großen Fragen des Lebens. Das ist ein großes Glück für die Zuschauer – und auch für das Ensemble, deren glückselige Gesichter beim minutenlangen Premierenapplaus verraten, wie sehr auch ihnen Bühne und Publikum gefehlt haben.

Nur 100 Karten für die nächsten Antigone-Termine

Die Duisburger „Antigone“ geht noch zwei Mal über die Bühne des großen Hauses: Am Samstag, 20. Juni, und am Freitag, 26. Juni, jeweils um 19.30 Uhr.

Mehr Informationen und Karten gibt es auf der Internetseite des Stadttheaters, wegen der Coronaregelungen ist das Kontingent auf lediglich 100 Tickets pro Aufführung beschränkt. Wenn Karten übrig sind, gibt es eine Abendkasse.

Familien und Mitglieder häuslicher Lebensgemeinschaften dürfen zwei Plätze nebeneinander reservieren. Alle anderen sitzen mit dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nach vorne, hinten und zu den Seiten.