Duisburg. Das Coronavirus hat den Wochenmarkt in Hamborn fest im Griff: Verkäufer verdienen weniger Geld, Besucher tragen Mundschutz.Ein Stimmungsbericht.
Besucher des Wochenmarktes in Duisburg-Hamborn begrüßen sich, indem sie ihre Ellenbogen gegeneinander stoßen, Verkäufer beklagen Verluste von über 80 Prozent, einige sprechen von Krieg. Das Coronavirus hat den Wochenmarkt fest im Griff.
Es ist Dienstagvormittag, die Sonne scheint kräftig nach dem vielen Regen. Doch das lockt die Bürger Duisburgs nicht auf den größten Wochenmarkt Nordrhein-Westfalens. Zu groß ist die Angst vor einer Ansteckung mit Coronaviren.
Armin Schlichting — Dreitagebart, Brille und grauer Kapuzenpullover — verkauft auf dem Wochenmarkt Schulranzen, Notizblöcke und Malkästen. Ein Schulranzen kostet 35 Euro, ein Sonderpreis. „Die Leute sind wegen Corona verunsichert“, sagt der 62 Jahre alte Verkäufer. Ihm fehlen Kunden. „Wir Kleinen haben die Arschkarte. Wer zahlt Miete, Krankenkasse, und und und?“
Verkäufer: Hamsterkäufe schaden dem Wochenmarkt in Duisburg-Hamborn
Er glaubt, Hamsterkäufe seien für den Wochenmarkt schädlich. „Wenn die Leute alles horten aus den Supermärkten und dort 300 Euro in die Kasse knallen – die können die Kohle nur einmal ausgeben.“ Die Verkäufer des Wochenmarktes hätten das Nachsehen. Es sei eine Scheißzeit: „Erst die Winterflaute, jetzt Corona.“
Günstige Kredite vom Staat, KfW-Kredite, helfen ihm seiner Ansicht nach überhaupt nicht. Er müsse „so oder so“ die laufenden Kosten decken. „Ob der Staat mir jetzt die Kohle aus dem Hintern zieht oder später, die haben doch einen Spaten im Kopf.“ Er zuckt mit den Schultern: „Iss leider so.“
Eine Frau, die Gemüse verkauft, sagt: „Corona bestimmt unser Dasein.“ Sie stellt fest, dass kaum etwas los ist auf dem Wochenmarkt: „So extrem leer war es lange nicht.“ Seit vier Monaten hat sie ihren Stand schon in Hamborn. Selbst letzte Woche, als das Wetter schlechter war, sei mehr los gewesen. Für sie ist die Angst nicht nachvollziehbar. „Draußen verbreitet sich das Virus ja nicht so.“ Grund für die Leere seien die Hamster-Käufe. „Die Leute rennen inne Discounter und rasten aus. Klar, dass dann kein Geld mehr fürn Markt übrig ist.“
Gemüsestand führt Lieferservice für Kunden ein
Sie hat Sorgen, was nach dem Coronavirus kommt. „Das ist ja auch eine finanzielle Sache“, sagt sie. „Geschäfte müssen dann schließen, Angestellte kriegen ihr Geld nicht. Das ist schlimm. Alles wegen der Panikmache.“
Der Gemüsestand von Reinhold Küllenberg wappnet sich für den Ernstfall. Die Betreiber befürchten, dass der nächste Wochenmarkt am Donnerstag, 18. März, wegen des Coronavirus abgesagt wird. Sie nehmen ab sofort auch Bestellungen über das Telefon an und liefern das Gemüse zum Kunden. „Anders können wir nicht über die Runden kommen, wir müssen ja auch leben“, sagt eine Angestellte. Bisher gehen sie aber davon aus, dass der Wochenmarkt auch am Donnerstag öffnet.
Eine Frau mit langen schwarzen Haaren wundert sich, dass so viele ohne Schutz einkaufen gehen: „Die Leute sind unvernünftig, laufen hier rum als wär’ nichts.“ Ihr Hausarzt hat ihr gesagt, das Coronavirus sei „eine Seuche“. Sie nimmt das sehr ernst. 17 Jahre hat sie als Putzfrau im Johannes-Hospital in Alt-Hamborn gearbeitet, jetzt ist sie Rentnerin und weiß, wie sie sich vor Viren schützen kann. Sie trägt einen Mundschutz und Einweg-Handschuhe.
"Hauptsache kein Kontakt mit Corona"
Auf dem Wochenmarkt kauft sie heute nichts. „Ich bin hier nur gucken wegen die Hemden.“ Um sich vor dem Coronavirus zu schützen, hält sie Abstand zu anderen Kunden. Der Besuch auf dem Wochenmarkt ist eine Ausnahme, viel gehe sie nicht mehr aus dem Haus. Kleidung könne sie ja über den Fernseher bestellen. „Bei 1-2-3-tv sind die Klamotten günstiger wie in der Boutique.“
Zwei ältere Frauen, beide schwarz gefärbte Haare und dunkle Kleidung, sitzen auf Steinstufen und rauchen. Sie drücken selbstgedrehte Zigaretten in einem Aschenbecher aus, den man zuklappen kann, um ihn in die Tasche zu stecken.
Die Frauen tragen Einweghandschuhe aus Plastik, die an der Haut kleben. „Die Hände fangen richtig an zu schwitzen, aber das ist nicht schlimm“, sagt eine. „Hauptsache kein Kontakt mit Corona.“ Die Berichte in den Medien verunsichern die Frauen. „Was im Fernsehen läuft, macht mir Angst.“
"Das ist wie Krieg"
Krystyna Würdig trägt eine große Sonnenbrille und roten Lippenstift. Die 67-Jährige findet, die Gesellschaft macht wegen der Coronaviren zu viel Panik. Was ihr fehlt: „Vernunft und Besonnenheit.“
Sie empfindet die Einschränkungen, die ihr auferlegt werden als Zumutung. „Zwei Bekannte von mir haben ganz schlimme Krebserkrankungen und ich darf sie nicht im Krankenhaus besuchen“, beklagt sie. „Das tut mir weh.“
Ihre beiden Reisen nach Italien und Mallorca kann sie nicht antreten. Die Konfirmation ihrer Enkeltochter in Neumühl findet nicht statt. Viele Supermärkte sind ausverkauft. „Das ist wie Krieg“, sagt sie.
„Jeden Tag ein Pinnchen — deswegen bin ich schon so alt“
Günther Balzer ist 88 Jahre alt und hat auf dem Wochenmarkt eine Flasche Rotwein gekauft — ein Dornfelder aus der Pfalz sowie einen Rotbarsch, denn dienstags und freitags kocht er mit seiner Frau immer Fisch. 42 Jahre hat er in der Neubauabteilung eines Hüttenwerks gearbeitet und musste Baustellen beaufsichtigen.
Nun fürchtet er sich vor Covid-19. „Das Virus ist eine Krüppelei“, sagt er. Letzte Woche hätten er und seine Frau so viel eingekauft im Supermarkt, dass es für die nächste Zeit reiche. „Das war ein richtiger Hamsterkauf, der Kühlschrank ist voll, davon leben wir jetzt.“ Raus geht er nur noch, wenn es sein muss. Zum Beispiel, wenn der Rotwein knapp wird.
Um sich fit zu halten, achtet er auf regelmäßiges Händewaschen. Mindestens genauso wichtig ist es ihm, seinen geliebten Gebirgskräuter-Schnaps zu trinken. „Jeden Tag ein Pinnchen — deswegen bin ich schon so alt“, sagt er und lacht.