Duisburg. Kinder von suchtkranken Eltern sind gefährdet, selbst süchtig zu werden. Der Suchthilfeverbund Duisburg steuert gegen. Erfahrungen einer Mutter.

Jedes dritte Kind, das in einer Familie mit Suchtkranken aufwächst, entwickelt selbst eine Suchtkrankheit. In Duisburg steuert der Suchthilfeverbund seit fünf Jahren mit dem Programm Fitkids gegen. Die Eltern von insgesamt 250 Kindern, die derzeit in der Beratung sind, nehmen an den Angeboten teil. Eine Mutter erzählt ihre Geschichte.

Annette Kalscheur (links) und Frank Günther vom Suchthilfeverband Duisburg im Gespräch mit einer Klientin. Ihre Kinder nehmen an dem Projekt Fit Kids teil.
Annette Kalscheur (links) und Frank Günther vom Suchthilfeverband Duisburg im Gespräch mit einer Klientin. Ihre Kinder nehmen an dem Projekt Fit Kids teil. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Patrizia (Name geändert) ist mit ihren drei Kindern jedes Mal dabei: Ausflüge in Freizeitparks könnte sich die Alleinerziehende nie leisten. Solche Touren seien das Highlight des Jahres. „Und ich muss mich nicht verstellen“, erklärt die 39-Jährige. Mit anderen Betroffenen offen reden können, verstanden werden, spüren, dass man nicht allein ist, das mache die Fitkids-Angebote für sie aus.

Familiäre Schicksalsschläge führten in die Sucht

Jeder, der mitfährt, hat seine Geschichte, seine Suchterfahrung, seine Probleme, kommt so mal raus aus der Isolation. Die junge Mutter fühlt sich beim Suchthilfeverbund und ihrem zuständigen Sozialarbeiter Frank Günther „total gut aufgefangen“. Er habe sie angenommen, bestärkt und auf ihrem Weg aus der Sucht begleitet.

Reingerutscht sei sie nach mehreren Schicksalsschlägen in der Familie. Erst habe sie versucht, den Clown zu spielen, um gute Laune zu verbreiten. Das sei irgendwann nur noch mit Amphetaminen gegangen, dann Ecstasy, schließlich Heroin. Zwei akute Psychosen später sei sie nur noch wie ein Roboter gewesen, ohne Selbstbewusstsein oder Willen. Erst die Schwangerschaft sei ein Weckruf gewesen. Für die Kinder sei sie zur Löwenmutter geworden, habe alle ihr Kräfte gebündelt, eine lange Therapie gemacht.

Den Kindern ein Vorbild sein wollen

Wie erfolgreich die war, merkte sie beim Heimkommen. „Vor der Tür stand der alte Dealer, ich hab ihm nur die Hand geschüttelt und bin dann rein. Meine Hand roch noch in der Wohnung nach Cannabis.“ Doch sie widerstand,

2,6 Millionen Kinder leben bei suchtkranken Eltern

Duisburg beteiligt sich an der bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien. In Deutschland leben nach Schätzungen etwa 2,65 Millionen Kinder bei suchtkranken Eltern.

Anfang Februar gibt es für pädagogische Fachkräfte aus Schulen, Kitas und Jugendeinrichtungen eine Fortbildung „Fitkids - Aufwachsen mit suchtbelasteten Eltern“. Für Eltern und Kinder ist ein Ausflug in eine Boulderhalle geplant.

Weitere Infos zu den Aktionen gibt es auf der Webseite www.coa-aktionswoche.de.

Der Suchthilfeverbund Duisburg informiert unter www.suchthilfeverbund-duisburg.de über seine Angebote. Infos gibt es auch in den Drogenberatungsstellen an der Beekstr. 45 b in Stadtmitte und an der Kaiser-Wilhelm-Str. 304 in Marxloh, Tel.: 0203/71890660

Seither kämpft sie sich Schritt für Schritt in ein neues Leben. Den Führerschein hat sie gemacht, steckt in einer Qualifizierungsmaßnahme für alleinerziehende Mütter, danach will sie eine Ausbildung machen, am liebsten im sozialen Bereich. „Ich will meinen Kindern ein Vorbild sein.“

Eine Botschaft hat sie für andere Betroffene: Die Angst, die sie selbst vor Behörden wie dem Jugendamt hatte, sei völlig unbegründet. Viele würden dem Jugendamt unterstellen, es wolle Eltern die Kinder wegnehmen. Sie habe aber genau das Gegenteil erlebt: „Wenn man etwas ändern will, hat man alle Optionen offen, bekommt Hilfe. Die wollen einem was Gutes!“ lernte Patrizia.

Neue Kinderschutzbeauftragte beim Suchthilfeverbund

Die Kinder von Menschen wie Patrizia nimmt Christin Baumeister in den Blick. Sie ist beim Suchthilfeverbund die neue Kinderschutzbeauftragte für Fitkids. Die 35-Jährige bietet gezielt Aktionen an, die Eltern und ihre Kinder zusammenbringen. So will sie positive Gemeinschaftserlebnisse schaffen, „der Fokus liegt dann mal für ein paar Stunden auf dem Kind“.

In Suchtfamilien würden Kinder oft mehr Verantwortung übernehmen, als es ihrem Alter angemessen ist. Zusätzlich zu den Ausflügen will sie künftig auch jahreszeitlich passende kleinere Angebote vor Ort machen, Mal- und Bastel-Aktionen etwa. Damit könnten Eltern lernen, mit ihren Kindern „Rituale zu pflegen wie in einer normalen Familie“, sagt Baumeister. Sie wolle wiederbeleben, was durch die Suchterkrankung verloren gegangen ist.

In Duisburg haben in fünf Jahren Fitkids mehr als 500 Kinder und ihre Eltern an rund 30 Aktionen teilgenommen, berichtet der Suchthilfeverbund. Baumeister coacht die Nikolausburg in Ruhrort sowie die Suchthilfe in Wesel, weil auch sie Fitkid-Standorte werden wollen.