Duisburg. Das Spielwarengeschäft Roskothen hat am Sonnenwall seinen Aufstieg und manche Niederlagen erlebt. Wie der Traditionsladen sich behaupten konnte.
Ob Boris Roskothen die Erfahrung als ‘Gamer’ oder als Pädagoge nutzte, als sich 2013 scheinbar das Ende seines Traditionsgeschäftes Roskothen ankündigte? Es war wohl beides: Die richtige Strategie in einer sich wandelnden Einzelhandelslandschaft und ein enormes Fachwissen haben dazu geführt, dass Roskothen heute ein rundes 140-jähriges Bestehen feiern kann.
Den Wandel kann man heute beim Gang durch das Geschäft am Sonnenwall deutlich sehen: Einen guten Teil der Ladenfläche nehmen Porzellan, Emaille-Töpfe von Riess, Möbel und Deko ein. „Zielgruppenorientiert“, nennt Boris Roskothen, der vor 22 Jahren das Geschäft seines Vaters übernahm und dafür den Lehrer und eine gesicherte Laufbahn als Beamter auf Los setzte, die Mischung. Eine Art Spieltheorie des Gleichgewichts angesichts unvollständiger Informationen über die Zukunft.
Einzelhandel in Duisburg punktet mit Emotionen gegen Internet-Versand
Anstelle des hoch spezialisierten Fachgeschäfts hat Boris Roskothen seinen Kunden im Blick, der wegen des Spiels kommt und außerdem noch mit was Dekorativem geht – oder umgekehrt. „Der Einzelhandel hat gegen den Online-Versand nur noch die Chance, mit Emotionen erfolgreich zu sein“, sagt der Geschäftsmann. So setzt Roskothen in der ersten Etage auf Aufenthaltsqualität. Hier gibt es Rückzugsecken, einen Tisch, Wasser, Kaffee. Und Spiele-Events mit den Kunden.
Und natürlich gibt es immer noch jede Menge Spiele. Nach 140 Jahren aber geht das Spielwarenhaus eben auch ein Stück zurück zu den Wurzeln: 1879 hatte Gründer Heinrich Roskothen noch kein Spielzeug im Sinn, als er zunächst in Hattingen die Korbmöbel-Handlung eröffnete. „Durch ausgesuchte schöne Waaren, verbunden mit den billigsten Preisen, hoffe ich, mir die Zufriedenheit meiner werthen Gönner und Abnehmer zu erwerben“, schrieb dieser in die Anzeige.
Drei Jahre später ging Ururgroßvater Heinrich jedoch nach Duisburg und zunächst an die Beekstraße, 1884 schließlich war das Geschäftshaus am Sonnenwall bezugsfertig. Zu den Korbmöbeln – und vor allem der Korbkinder und -puppenwagen – gesellte sich ganz naheliegend das Spielzeug: Puppen, Schaukelpferde, Stühlchen, Kaufladen und anderes – wie ein Blick in das Schaufenster von 1929 zeigt. Heinrich der Zweite führt da seit 1908 die Regie.
1942: Die Menschen stehen hunderte Meter Schlange vor dem Spielwarengeschäft
60 Reichsmark kostete 1933 die Lok, „eine halbe Wohnungsmiete“, ordnet Boris Roskothen ein. Und das kostet sie auch heute noch – also, die halbe Miete… Die Bomben vom Juni 1941 hatten vom Spielzeugwarengeschäft nur noch wenig hinterlassen. Die Maschinerie der Nazis sorgte zwar für einen schnellen Wiederaufbau, so dass 1942 von „einigen hundert Meter langen Käuferschlangen“ berichtet wurde, die von acht Polizeibeamten beaufsichtigt werden mussten.
Doch schon ein Jahr später zerstörten abermals Bomben das Geschäft vollständig, der Wiederaufbau aber wurde im kriegsgeprägten Deutschland schwierig. 1947 schrieb Heinrichs (II) Sohn Willy an den Direktor der August-Thyssen-Hütte in Hamborn: „Für meinen Bau benötige ich dringend an Material wie folgt: 420 qm Dachzementplatten, für die Zwischenwände ca. 85 qm. Bimsplatten, für den Schaufenstersockel ca. 1100 Stück rote Verblendsteine.“ Die Nachkriegszeit brachte dann den Aufschwung ins Spielwarengeschäft.
Adel kutschierte im Kinderwagen von Roskothen
Selbst der nahe Adel – die künftige Königin der Niederlande Beatrix – kutschierte in einem (Kinder)Wagen von Roskothen aus Duisburg umher. Roskothen durfte sich zurecht „Hoflieferant“ nennen.
Für Liebhaber von Steif, Käthe-Kruse-Puppen sowie der Figuren von Puppenkünstlerin Hildegard Günzel wurde die „Basarstraße Sonnenwall“ in den Nachkriegsjahren eine Pilgerstätte.
Mehr Infos zu Aktionen und der Geschichte Roskothens unter: diekunstzuspielen.de
Die Umbrüche – schmal taillierte Barbies, klobige Roboter und piepsende Computer im Kinderzimmer – konterte Roskothen in den 1970er Jahren mit pädagogisch wertvollem Holzspielzeug. Klaus Roskothen, Vater des heutigen Chefs Boris, setzte bewusst auf Gegentrends. Auch Pädagoge Boris Roskothen hat sich bis heute den kritischen Blick auf den Markt bewahrt: Statt Lego-Bausteinen bietet er Holzbauklötze an, die es eben auch zulassen, mit der Schwerkraft zu experimentieren, weil sie sich nicht einfach zusammenstecken lassen.
Computerspiele? Es gibt nichts, was Brettspiele nicht können
Statt aber ideologisch zu argumentieren, nimmt sich der Chef heute lieber Zeit für Beratung in einem hoch spezialisierten Spielemarkt: „Ich brauche etwa 20 Minuten, in denen ich verschiedene Vorlieben abfrage“, dann zieht Boris Roskothen das passende Spiel heraus. Da merkt man den Pädagogen und den Nerd, der heute immer noch selbst gern bei den Nachspiel-Abenden im Geschäft mitmischt.
Und was ist mit Computerspielen? Hier zumindest Fehlanzeige – Roskothen zieht einen weiteren Karton hervor: „Civilization. Das war erst ein Strategie-Brettspiel, dann ein Computerspiel, heute als Neuauflage wieder ein Brettspiel – es gibt nichts, was Brettspiele nicht können.“