Duisburg-Buchholz. Mediziner am Duisburger BG Klinikum erforschen, ob sich Demenz verhindern lässt – und wie. Von ihren Erkenntnissen könnten Millionen profitieren.
Demenz ist nicht heilbar – aber kann ein gezieltes Training das Fortschreiten der Krankheit bremsen? Diese Frage erforscht das Projekt go4cognition am BG Klinikum. Mit 1,2 Millionen Euro wird die klinische Studie gefördert. Für Betroffene könnten die Erkenntnisse Gold wert sein.
8, 2, 6, 1, 7. Prägen Sie sich diese Zahlen ein paar Sekunden lang ein. So machen es die Teilnehmer des Forschungsprojekts am BG Klinikum: Zahlen merken und loslaufen, die den Ziffern zugeordneten Feldern auf dem Speedcourt berühren und weiter zum nächsten Feld. Sensoren unter der Matte registrieren jeden richtigen Schritt – und jeden falschen. Auf das Tempo kommt es nicht an, nur auf die Zahlen. Schaffen die Probanden mehr als 75 Prozent korrekt, wird der nächste Durchlauf eine Stufe schwieriger: eine Zahl mehr.
Eine Früherkennung der Krankheit Demenz gibt es nicht
Es ist diese Kombination aus Arbeit von Kopf und Körper, von der sich Dr. Tobias Ohmann viel verspricht. Und nicht nur der Leiter der Forschungsabteilung am BG Klinikum. „Das ist im Moment ein gehyptes Thema in der Wissenschaft“, sagt er. Demenz ist eine Volkskrankheit; wer nur alt genug wird, dessen Chancen, sich selbst zu vergessen, sind erschreckend groß. Eine Früherkennung gibt es nicht; wird die Krankheit diagnostiziert, ist es schon zu spät. Eine wirkungsvolle Prävention könnte Millionen sparen – und den Betroffenen Jahre an Lebensqualität schenken.
Studie am BG Klinikum in Duisburg untersucht Senioren
Zwischen 65 und an die 90 Jahre alt sind die Teilnehmer der Studie am BG Klinikum. Sie leiden nicht an Demenz, doch ohne ihre Teilnahme an der Studie müsste man wohl sagen: noch nicht. Was sie haben, ist eine bestimmte Vorstufe von Demenz: leichte Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit (mild cognitive impairment), die sich im Alltag noch nicht bemerkbar machen. Die die Forscher am BG Klinikum mit einem neuropsychologischen Screening aber erkennen können. Ein kausaler Zusammenhang zum späteren Ausbruch einer Demenz ist nicht nachgewiesen, aber: „Ein sehr großer Prozentsatz solcher Leute entwickelt in den nächsten sechs Jahren eine Demenz“, fasst Ohmann Erkenntnisse der Forschung zusammen.
Eine der Teilnehmerinnen ist Sakine Thomas. Die 81-Jährige trainiert gerne im Athletikum Rhein-Ruhr des Krankenhauses: „Mein Fortschritt macht mir Spaß“, sagt sie. „Mein Gehirn. Das habe ich heute ganz schön gemerkt.“ Bei Stufe 3 hat sie am Morgen angefangen, mit drei verschiedenen Zahlen. Am Ende des 30-minütigen Trainings hat sie es bis auf Stufe 5 geschafft, fünf Zahlen. Und gemerkt: „Wenn es mehr Zahlen werden, wird es schwierig. Dann muss man sich sehr konzentrieren.“ Die Seniorin hält sich sonst mit Wassergymnastik, Schwimmen und Gartenarbeit fit. „Man muss im Alter was tun“, ist sie überzeugt. „Wenn man nichts macht, dann verkümmert man.“
Bei Demenz-Kranken entsteht im Gehirn ein Loch
Ohmann bestätigt das. „Wir werden alle ein bisschen vergesslicher über die Zeit“, sagt der Forscher, das ist normal. Bei Demenzkranken allerdings schreitet der geistige Abbau rasch voran. Das Hirn degeneriert so stark, dass am Ende statt des Hippocampus – dort werden unter anderem neue Erinnerungen gespeichert – ein Loch zurückbleibt. „Die Betroffenen verlieren jeglichen Bezug zum Leben.“
Teilnehmer gesucht
Für die Studie werden noch weitere Teilnehmer gesucht. Die Teilnahme ist freiwillig und kostenlos, für Verpflegung ist gesorgt.
Wer mitmachen möchte oder Fragen zur Studie hat, wendet sich an: Beate van de Leest, 0208/88 25 32 73 oder 0151/14 824 760. Per E-Mail ist sie erreichbar unter b.vandeleest@gutehoffnung-oberhausen.de
Beim Training auf dem Speedcourt kommen Muskeln und Hirnzellen gleichermaßen in Bewegung – und gleichzeitig: „Ich muss mir etwas merken und mich dabei bewegen“, erläutert der Forschungsmanager das Prinzip. Bei den Probanden von go4cognition funktioniert es: „Wir haben fast alle bis auf Stufe 8 gebracht“, sagt Ohmann. „Das sind mehr Ziffern, als eine normale Telefonnummer hat.“ Können Sie sich noch an die fünf Zahlen aus dem zweiten Absatz erinnern?
Die ersten Ergebnisse der Duisburger Studie sind vielversprechend
Was die Studie bisher ergeben hat, will Tobias Ohmann noch nicht verraten, nur so viel: „Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.“ Die Senioren können sich nicht nur die Zahlen besser merken, sie haben sich auch physisch verbessert: „Die Handkraft“, freut sich der Forschungsleiter – sie ist ein Indikator für körperliche Fitness – „nimmt bei allen Personen hier zu – obwohl sie nur laufen.“ Positive Nebenwirkung: Die Studienteilnehmer halten sich nun auch besser über dem eigenen Körperschwerpunkt, statt, wie es bei Senioren häufig der Fall ist, beim Gehen tastend nach rechts und links zu schwanken. Das Anti-Demenz-Training funktioniert auch als Sturzprävention.
Profitieren sollen von den Erkenntnissen von go4cognition weit mehr Menschen als nur die Teilnehmer der Studie: Ontaris, ein am Projekt beteiligtes und auf E-Health spezialisiertes Software-Unternehmen, entwickelt derzeit eine mobile Variante des Speedcourts im BG Klinikum. Das Ziel: Ein preiswertes und schnell aufzubauendes Modul, das in Zukunft in Seniorenheimen und Krankenhäusern zum Einsatz kommen soll. Einen Prototypen gibt es schon.