Duisburg-Wanheimerort. Christine Furgol aus Gera verließ die DDR am Tag nach dem Mauerfall. Was sie damals fühlte und wie sie ihr Glück in Duisburg fand.

Für Christine Furgol, Sekretärin und gute Seele der Duisburger Lokalredaktion, ist der 9. November ein ganz besonderer Tag: Am 9. November vor 30 Jahren saß sie mit ihrer Familie in ihrer kleinen Wohnung im thüringischen Gera vor dem Fernseher und sah dem Mauerfall zu. „Wir haben geweint vor Freude“, erinnert sich die 60-Jährige, die heute in Wanheimerort lebt. Und doch verspürte sie auch große Unsicherheit.

Viel zu unwirklich wirkte das alles, was da auf der Mattscheibe flimmerte, erinnert sich Furgol: „Wir fragten uns: ,Kann man jetzt wirklich überall hingehen?’“ Ja: Sie, ihr Mann und ihr kleiner Sohn, damals neun Jahre alt, konnten. Und sie taten es. Sie zogen nach Duisburg. Und sind dort bis heute glücklich.

Die Mauer muss weg: Christine Furgols Sohn Sebastian 1990 mit Hammer und Meißel an der Mauer in Berlin.
Die Mauer muss weg: Christine Furgols Sohn Sebastian 1990 mit Hammer und Meißel an der Mauer in Berlin. © Foto: privat

Etwa ein Jahr vor dem Mauerfall hatte Familie Furgol einen Antrag auf Ausreise gestellt. „Im Sommer 1989 fragte ich nach, ob wir bald das Land verlassen dürfen. Aus wirtschaftlichen, privaten und politischen Gründen. Wir hatten eine Zusage, spätestens Ende des Jahres das Land verlassen zu dürfen. Dass die Mauer fallen würde, hätte ich nie gedacht“, erzählt sie. „Jedenfalls saßen wir schon auf gepackten Koffern, konnten aber nicht glauben, was wir da im Fernsehen sahen.“

Obwohl sich die Familie nichts sehnlicher wünschte, als die DDR zu verlassen, setzte eine Art Schockstarre ein. „Wir wussten nicht, ob die Grenze tatsächlich offen bleibt.“

Nach dem Mauerfall blieb es auf den Straßen in Gera ganz ruhig

Die Familie stürmte also nicht auf die Straße und machte sich auf zur Grenze. Ebenso wenig wie die Nachbarn. „Es war ruhig auf den Straßen. Sicher standen alle unter Schock und wussten nicht recht, was sie machen sollten.“

Schließlich ging Christine Furgol doch aus der Wohnung und rannte los – zur Telefonzelle. „Ich rief meinen Bruder in Westberlin an, fragte, was wir tun sollten.“

„Wir fuhren einfach raus aus der DDR“

Einen Tag später packte Furgol dann mit ihrem Mann das ganze Hab und Gut aus der spärlich möblierten Wohnung in den Trabant vor der Tür. „Wir machten uns auf in die Freiheit. Denn das war es für uns. Ich konnte es kaum erwarten, endlich meine Meinung laut zu sagen, keine Angst mehr vor der Stasi haben zu müssen.“

In der Nacht des 10. November tuckerte die junge Familie, Furgol war damals 30 Jahre alt, in einer bitter kalten Nacht unter schneegefüllten Wolken über die Grenze. „Alles war ganz ruhig, wir fuhren einfach raus aus der DDR.“

Christine Furgol mit ihrem Ehemann Waldemar und Sohn Sebastian auf Jeep-Safari kurz nach der Wende. Die ersten Urlaube führten die reiselustige Familie nach Mallorca, in die Türkei und nach Kuba.
Christine Furgol mit ihrem Ehemann Waldemar und Sohn Sebastian auf Jeep-Safari kurz nach der Wende. Die ersten Urlaube führten die reiselustige Familie nach Mallorca, in die Türkei und nach Kuba. © Foto: privat

Ein Unfall mit dem Trabi in Schnee und Eis ganz kurz vor dem Ziel

Ihr erstes Ziel: das Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Dort kamen sie in den frühen Morgenstunden an, allerdings ohne den geliebten Trabant. Auf der gefrorenen Straße war ein Pkw in das Auto gerutscht. „Uns ist zum Glück nichts passiert, der Trabi war aber völlig kaputt.“

Die Familie kam in einer Turnhalle und anschließend bei Furgols Bruder in West-Berlin unter. „Obwohl wir zu den Wenigen gehörten, die schon einen Ausreiseantrag gestellt hatten, konnten wir nicht in West-Berlin unterkommen“, erinnert sich Furgol. „Dort war man mit der Situation überfordert, konnte keinen mehr aufnehmen, und so mussten wir in ein anderes Bundesland.“

Die Familie entschied sich, nach Nordrhein-Westfalen zu gehen, nach Duisburg. „Mein Vater stammte aus Duisburg.“ Die Familie ließ sich in Wanheimerort nieder.

„Unsere Erwartungen waren aber nicht so überhöht“

Die Furgols machten nach der Wende häufiger Familienurlaub im Allgäu. Im Bild: Christine und Sebastian.
Die Furgols machten nach der Wende häufiger Familienurlaub im Allgäu. Im Bild: Christine und Sebastian. © Foto: privat

Das Gefühl von Freiheit stellte sich sofort ein und auch sonst war viele anders: „Unsere Erwartungen waren aber nicht so überhöht wie von einigen anderen. Dass man im Westen auch arbeiten muss, um Südfrüchte zu genießen, war uns klar“, scherzt Furgol heute.

Ihr Mann fand Arbeit bei der Post, sie selbst führten ihre Wege schließlich zu unserer Mediengruppe: zunächst nach Rheinhausen, dann nach Marxloh in die Nord-Redaktion – und schließlich ins Medienhaus am Harry-Epstein-Platz. Auf die beruflichen Erfolge ihres Sohnes Sebastian sind die Furgols besonders stolz: Der Restaurant-Fachmann wurde 2003 Deutscher Jugendmeister im Bereich Gastronomie. Der glückliche Familienvater ist Duisburg und Wanheimerort ebenfalls bis heute treu geblieben.