Die Eltern sind völlig verzweifelt: Seit einem halben Jahr ist die kleine Michaela nicht mehr ansprechbar. Das Kind liegt im Koma. Michaela, die morgen vier Jahre alt wird, leidet an den Spätfolgen einer Masern-Infektion.
Sie ist erkrankt an einer tödlichen Gehirnentzündung. „Es gibt keine Therapie”, sagt Chefarzt Dr. Peter Seiffert. In der Kinderklinik im St. Johannes-Hospital in Hamborn wird Michaela betreut.
Für die kleine Michaela und ihre Eltern ist nichts mehr so, wie es einmal war. Das Kind hatte sich als Säugling im Alter von vier Monaten mit dem Masernvirus infiziert. Es hatte sich 2006 angesteckt während der großen Masernepidemie, die in Duisburg begann und dann ganz Nordrhein-Westfalen erfasste. Mehr als 1700 Kinder und Jugendliche infizierten sich mit dem gefährlichen Virus. Zwei Kinder starben bisher an den Folgen.
„Dieser neue Fall ist besonders tragisch, weil die Kleine zum Zeitpunkt des Ausbruchs erst vier Monate alt war und gar nicht geimpft werden konnte. Das Immunsystem ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, die Impfung aufzunehmen”, erklärt Dr. Seiffert. „Die Entzündung des Gehirns, SSPE genannt, verläuft chronisch und tritt erst Jahre nach einer Maserninfektion auf. Je jünger die Kinder bei einer Masernerkrankung sind, desto höher ist das Risiko, an dieser schweren Spätfolge zu erkranken.”
Mit etwa zweieinhalb Jahren fing Michaela an, plötzlich zu stolpern und zu stürzen. Sie vergaß Erlerntes, verlor die Sprache und fiel ins Wachkoma. Ihre Nahrung erhält sie über eine Magensonde, sie bekommt Medikamente gegen epileptische Anfälle und Infektionen.
Nach Angaben des Landesinstitutes für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen (LIGA NRW) hatten sich über 100 Säuglinge während des Ausbruchs 2006 mit Masernviren infiziert. „Wir wissen nicht, weshalb bei manchen Menschen diese Erkrankung ausbricht und bei anderen nicht. Jungen scheinen häufiger betroffen zu sein als Mädchen. Zwischen Infektion und dem Ausbruch der ersten Symptome liegen oft mehrere Jahre. Wir können nur hoffen, dass keine weiteren Fälle auftreten“, sagt Peter Seiffert.
Die fortschreitende Zerstörung des Gehirns durch die Masernviren führt bei den betroffenen Kindern zum Verlust von nahezu allen Fähigkeiten. „Aufgefallen ist uns, dass Michaela öfter hinfiel. Später kamen immer mehr Probleme dazu – sie konnte nicht mehr richtig greifen und hatte große Sprachlücken. Gegenwärtig wissen wir nicht, was sie noch mitbekommt – es ist furchtbar“, klagt Mutter Sonja (30), Hausfrau und Mutter eines weiteren Kindes. „Wir konnten unsere Tochter nicht impfen, sie war noch zu klein.“
Chefarzt Dr. Peter Seiffert wünscht sich, keine Kinder mehr mit einer chronischen Gehirnentzündung behandeln zu müssen. Sein Appell: „Es müssen alle geimpft sein. Denn Masern übertragen sich ausschließlich von Mensch zu Mensch.” Er setzt große Hoffnung auf die Impfung, denn „auch die Pocken konnten durch konsequentes Impfen ausgerottet werden”. Kinder- und Jugendärzte fordern schon lange einen Impfschutz als Voraussetzung für den Besuch von Kitas und Schulen.