Duisburg/Koper. Familienvater Ismet Kilic ist in Haft, weil die Türkei nach ihm fahnden ließ. In einem emotionalen Brief kritisiert er auch die Bundesregierung.

„Genau vor zwei Monaten wurden mir meine Frau, meine Kinder, meine Freunde, meine Arbeit weggenommen – in Kürze werde ich mein Taxiunternehmen auflösen. Das ist nicht auszuhalten.“ Es sind die Worte eines einsam Verzweifelnden, der in seiner Hilflosigkeit so vieles nicht verstehen kann: Der Duisburger Ismet Kilic, 54, wendet sich mit einem Brief aus der Untersuchungshaft in Slowenien an unsere Leser. Seit dem 26. Juli ist der Deutsche dort in Gefangenschaft, weil die Türkei nach ihm mit einem internationalen Haftbefehl fahnden ließ.

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Seine Ehefrau Nurgül Gülsen Kilic hat unserer Redaktion das handschriftliche Schreiben übermittelt. Darin äußert sich Kilic zu den Vorwürfen der Türkei und kritisiert Slowenien sowie das Gericht in Koper. Er schreibt darin aber auch, dass er sich von der deutschen Regierung allein gelassen fühlt. Die emotionalsten Sätze aber sind seiner Frau und seinen „türkischen, kurdischen und deutschen Freunden“ gewidmet, „die sich für mich monatelang eingesetzt haben. Weil nur sie mir das Licht der Hoffnung senden und mir die Kraft geben.“

Hier veröffentlichen wir Ismet Kilics Brief (formal, jedoch nicht inhaltlich bearbeitet):

„Hat die deutsche Regierung mich hier vergessen? Warum?“

„Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mittlerweile sind viele darüber informiert, dass ich seit zwei Monaten zu Unrecht in Slowenien in der U-Haft bin. Ich fasse kurz zusammen:

In den 90er-Jahren war ich in der Türkei als Veterinär bei der Stadtverwaltung Ankara berufstätig. Gleichzeitig habe ich mich eingesetzt für das Recht der Beamten, eine Gewerkschaft zu gründen. Ich war Menschenrechtler und gegen den dreckigen Krieg, der viele Kurden- und Soldatenleben kostete. Dies kann man sogar beim Interpol-Schreiben der Türkei lesen. Ich wurde vom Staatssicherheitsgericht Ankara zu 15 Jahren Haft verurteilt. In diesem Gericht befand sich damals auch ein Militärrichter.

Nachdem ich im Jahr 1997 die Türkei verlassen habe, hat Deutschland mir Schutz gewährt, seit 2008 habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit. In Europa bin ich in viele Länder gereist. Jetzt bin ich zum ersten Mal in Slowenien gewesen und bin festgenommen worden, um der Türkei ausgeliefert zu werden. Die Türken wurden über meine Festnahme informiert. Nach der Anforderung der Akte der Türkei, die zwei Wochen später hier ankam, verlangte das Gericht zum zweiten Mal eine ausführliche Information. Der Inhalt war genauso wie beim ersten. Die 9 Sätze waren sogar gleich. Nur noch zwei Aussagen gegen mich, die unter dem Polizeigewahrsam genommen worden sind.

Obwohl alle Beschuldigten Aussagen bei der Gerichtsverhandlung abgelehnt haben, hat das Staatssicherheitsgericht sie als Beweismittel angenommen. Eine Aussage ist absurd. Damit beschuldigte das türkische Gericht mich, eine Person beeinflusst zu haben, mit einer illegalen Organisation zu sympathisieren. Beweise? Keine Beweise. Er habe angeblich von mir den Auftrag bekommen, Gewerkschaftsflyer und illegale Flyer zu verteilen. Als Beweis wird sogar angeführt, Einladungen für eine Demo am 1. Mai von der Beamten-Gewerkschaft zu verteilen. Ich war damals Präsident der Gewerkschaft und meine eigenen Gewerkschaftsplakate sah das Gericht als Beweismittel an, mich zu beschuldigen. Das ist keine Ironie.

Aber trotzdem musste ich mich in Slowenien nach 24 Jahren bei der U-Haftrichterin gegen die damaligen Vorwürfe verteidigen. Ich dachte, dass ich in der Türkei wäre. Wie kann ein Gericht in einem demokratischen Land mich wegen der damaligen polizeilichen Aussagen zur Rechenschaft ziehen? Das kann ich immer noch nicht nachvollziehen. Wenn das sein muss, sollte das in meiner zweiten Heimat Deutschland passieren, nicht in Slowenien. Aber die Verantwortlichen und die Richterin in Slowenien wollen das nicht verstehen. Im Gegenteil: Sie wollen mich monate-, jahrelang hier in U-Haft haben. Die U-Haftrichterin hat der Türkei mittlerweile dreimal Zeit gegeben, neue Akten, neue Beweise zu senden.

Warum? Wer steckt dahinter? Läuft hier ein Deal unter dem Tisch?

Wenn die Slowenen die Türkei als demokratisches Land sehen, dann sollten sie ihre Stimme für den EU-Beitritt der EU abgeben oder ihre Grenze für sie öffnen. Sie tun das nicht, weil sie ganz genau wissen, dass Zehntausende Menschen gerade in der Türkei wegen ihrer politischen Einstellungen inhaftiert sind. Ebenso die Parlamentarier oder Bürgermeister, die wegen der Zugehörigkeit zum kurdischen Volk inhaftiert oder benachteiligt werden.

Auf der anderen Seite verstehe ich auch nicht, warum Deutschland für eigene Staatsbürger nicht aktiv handelt. Hat die deutsche Regierung mich hier vergessen? Warum? Betrachtet die Regierung die Türkei als demokratisch?

Genau vor zwei Monaten wurden mir meine Frau, meine Kinder, meine Freunde, meine Arbeit weggenommen – in Kürze werde ich mein Taxiunternehmen auflösen. Das ist nicht auszuhalten. Auch nicht auszuhalten ist es, am Tag 22 Stunden in einem Zimmer, das für drei Personen 18 bis 20 qm Platz hat, zu sein.

Wir haben in Duisburg hinter dem Haus einen Garten, in dem ich und meine Frau Obstbäume angepflanzt haben. Ich weiß nicht, ob ich sie abpflücken werde. Ob ich das Lied „Heute hier, morgen dort“ spielen werde.

In einem Buch habe ich hier im Gefängnis ein Gedicht von Ernst Jandl gelesen: „Deine Arme / halten mehr als ich bin / deine Arme halten, was ich bin / wenn ich bei dir liege und deine Arme mich halten.“ Wie lange können die Hände meiner Frau mich halten, obwohl sie so viel Last auf ihren Schultern hat?

Bevor ich mit meinem Schreiben schließe, möchte ich mich ganz herzlich bedanken bei meinen türkischen, kurdischen und deutschen Freunden, die sich für mich monatelang eingesetzt haben. Weil nur sie mir das Licht der Hoffnung senden und mir die Kraft geben.

Ich möchte mich auch bei Ihnen, bei den Journalisten bedanken, die meinen Fall mehrmals berichtet und verbreitet haben.

Ismet Kilic