Duisburg. Christina aus Duisburg leidet an sozialer Phobie. Ängste schränken sie stark ein. Mit einer Selbsthilfegruppe kämpft sie sich zurück ins Leben.

In ihrem geblümten Kleid sitzt Christina auf einer der Sitzbänke vor dem Duisburger Hauptbahnhof. Ein Ort, an dem für die 30-Jährige die Angst in den letzten Jahren die Regie übernommen hat. Überfüllte Züge, hektisches Gedränge und Menschenmassen – all das löst bei der jungen Frau Panik aus. Die Duisburgerin leidet an sozialer Phobie. Mit einer Selbsthilfegruppe und viel Mut kämpft sie sich zurück ins Leben.

„Oft habe ich das Gefühl, dass mich alle anstarren“, sagt Christina. Über Jahre vermeidet sie Situationen, die in ihr Angst auslösen: Mit Fremden sprechen, banale Dinge wie Einkaufen oder Bus fahren – für Christina sind das nur schwer zu überwindende Hürden. „In Gruppengesprächen verstumme ich.“ Sie ist dann freiwillig die stille graue Maus, obwohl sie es gar nicht will. Aber ihr „Schatten“, wie sie ihre Angst auch nennt, zwingt sie.

Sozial Phobie: Duisburgerin entwickelt Verfolgungswahn

„Ich fühle mich zum Teil wie eine Gefangene, als wäre meine Persönlichkeit in Ketten gelegt.“ Weil sie keinen Ausweg sieht, zieht sich Christina zurück. Sie flüchtet sich in die Welt der Bücher, fängt an eigene Geschichten zu schreiben. Irgendwann kommt es aber zu einer Verzerrung der Realität.

Christina bildet sich ein, verfolgt zu werden. „Es ist das Gefühl permanent auf der Hut zu sein vor potenziellen Gefahren.“ Selbst in der Wohnung findet sie keine Ruhe und läuft in ihrer schlimmsten Phase auf und ab. Ihr Schatten treibt sie an. „Im metaphorischen Sinn hab ich Angst vor dem vermeintlichen Heckenschützen.“

Blick in die Vergangenheit


Woher die Ängste kommen? Ganz genau kann Christina das nicht sagen. Aber schon in ihrer frühen Kindheit werden persönliche Grenzen überschritten. Leid, das eine hochsensible Kinderseele nicht einfach so verkraftet und die weitere Entwicklung beeinflusst.

Zu ihrer Stiefmutter hatte sie etwa ein schwieriges Verhältnis. „Sie sprach mich nur mit dem Namen ‚Mädchen‘ an“, sagt Christina. Nur einer der eher harmlosen Beispiele, die die emotionale Vernachlässigung in ihrer Kindheit verdeutlichen.

Therapeutin hilft ihr ins Leben zurück

Schon während der Schulzeit macht Christina ihre erste Therapie. Ihre Therapeutin wird zum „Licht in der Dunkelheit“ und ein Orientierungspunkt. Mit der Stabilisierung schafft Christina das Abitur. Obwohl sie von einem Studium träumt, beginnt sie eine Ausbildung im medizinischen Bereich. Sie muss Geld verdienen, damit sie auf eigenen Beinen stehen kann.

Doch die vergangenen zwölf Jahre waren hart und mit Rückschlägen verbunden. „Ich zog von Stadt zu Stadt wie eine Nomadin.“ Vier Mal zieht sie insgesamt um. Flüchtet vor ihren Problemen und der sozialen Phobie. Ihrem Job kann sie aufgrund der Angst nicht mehr nachgehen.

Neustart in Duisburg – Selbsthilfegruppe

Im vergangenen Jahr kommt sie nach Duisburg. Hier lebt ihre leibliche Mutter, die für die 30-Jährige zu einer Stütze geworden ist. In Duisburg fühlt sich Christina wohler. Das liegt auch an der Größe der Stadt und der Anonymität. Sie nimmt ihr Leben in die Hand, beginnt mit Leichtathletik. Zweimal die Woche nimmt sie an einem Lauftraining teil.

Sie besucht einen Philosophiekurs bei der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft in Duisburg. Übungsfelder, um soziale Kontakte zu knüpfen und die Ängste zu konfrontieren. Eine gute Freundin hat sie bereits gefunden. „Wir stützen und unterstützen uns gegenseitig, sie ist eine Seele von Mensch.“

Warten auf einen Therapieplatz

Den Austausch sucht sie auch bei einer neu formierten Selbsthilfegruppe gegen Soziale Phobie. Die Teilnehmer tauschen sich virtuell mit Hilfe einer kostenlosen App aus. Sobald Vertrauen da ist, sollen Gruppentreffen folgen. „Wir sprechen über Hindernisse im Alltag und geben uns Ratschläge.“ Im Herbst möchte sie zurück in den Berufsalltag. Auch professionelle Hilfe sucht sich Christina, aber für einen Therapieplatz steht sie noch auf der Warteliste. Denn in manchen Situationen hemmt sie weiterhin dieser Schatten. Wie ein Gegenspieler, der jeden kleinen Fortschritt zu sabotieren versucht.

Öffentlichkeit soll von sozialer Phobie erfahren

„Es ist ein stetiger Kampf, aber man darf nicht aufgeben.“ Auch wenn sie die Krankheit heute weniger belastet und an Lebensqualität dazugewonnen hat – vollständig überwinden wird sie die Krankheit nie, glaubt Christina. „Schritt für Schritt lerne ich aber, damit zu leben.“ Ihre Geschichte erzählt sie dieser Zeitung, weil sie anderen Mut machen möchte. „Man ist nicht alleine und darf den Kampf nicht aufgeben.“ Dann steht sie auf und geht Richtung Bahnhof, um die nächste Straßenbahn zu nehmen. Den Schatten lässt Christina an diesem Tag hinter sich.