Duisburg. Warum hat Europa ein schlechtes Image? Wir haben vor der Europawahl mit dem EU-Abgeordneten Jens Geier, Vorsitzende der Europa-SPD, gesprochen.

. Europa hat ein schlechtes Image. Warum ist das so? Wie kann man das gute Projekt Europa vor den Verächtlichmachern in Stellung bringen? Wir sprachen darüber mit dem Europa-Abgeordneten Jens Geier. Er vertritt seit 2009 als Abgeordneter im Europäischen Parlament die Städte Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen, sowie die Kreise Kleve, Viersen und Wesel. Jens Geier ist stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss Industrie, Forschung und Energie. Seit Anfang 2017 ist er zudem der Vorsitzende der Europa-SPD, also der 27 SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament und in dieser Funktion ständiger Gast im Vorstand und im Präsidium der SPD.

Frage: Herr Geier, warum spricht derzeit alle Welt davon „Wir müssen für unser Europa kämpfen?“ Vor welcher Gefahr muss denn Europa bewahrt werden?
Jens Geier: Wir müssen Europa davor bewahren, dass der Egoismus von Regierungen einiger Mitgliedsstaaten das europäische Einigungswerk kaputt schlägt. Wir kommen mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten an einen Punkt, wo Weiterentwicklungen der EU ganz schwer werden und sogar der Rückschlag droht, weil in vielen Staaten jetzt erst einmal die nationale Karte gespielt wird. Und die EU-Institutionen höchstens noch als Blitzableiter taugen. Daran kann die EU zerbrechen - und davor müssen wir sie bewahren. Die EU von heute kann schon in zehn Jahren nicht mehr existieren.

Frage: Warum ist EU-Europa auch gut 70 Jahre nach seiner Gründung in so schlechter Verfassung? Warum hat die EU solch ein Image-Problem?
Geier: Die EU sind doch die 28 Mitgliedsstaaten! Und die haben sich einen Vertrag gegeben und Institutionen geschaffen, um den Vertrag umzusetzen. Und diese Regierungen haben zu lange nicht ausreichend darüber geredet, welche Vorteile solch eine europäische Zusammenarbeit hat. Die Vorteile liefen immer aufs nationale Spielrad, bei den Nachteilen oder wenn was schief ging, war immer Europa Schuld. Das merken die Leute. Man kann halt nicht sonntags reden „Die EU ist toll“, montags bis freitags erzählen, was alles schief geht und am nächsten Sonntag dann sagen: „So, jetzt geht mal wählen! Ist total wichtig!“ Wenn nicht alle politischen Ebenen anfangen, sich darum zu kümmern, und eben auch positiv über die europäische Union zu reden, dann bekommen diejenigen Zulauf, die sagen, „Was soll das eigentlich alles, kostet ja nur Geld, schränkt uns ein, bringt uns keine Vorteile“. Dann behalten die recht. Und im Moment sehen wir einen Trend, wo genau solche falschen Behauptung vor allem von rechtsextremistischen Parteien und Politikern und Politikerinnen dann Wirkung zeigen.

Jens Geier: „Gerade weil ich Gutes für mein Land will, will ich die europäische Zusammenarbeit.“
Jens Geier: „Gerade weil ich Gutes für mein Land will, will ich die europäische Zusammenarbeit.“ © Foto: Jörg Schimmel

Frage: Schließen sich Europa-Liebe und Patriotismus eigentlich aus? Geier: Überhaupt nicht. Gerade weil ich Gutes für mein Land will, will ich die europäische Zusammenarbeit. Weil wir viele Probleme nur gemeinsam gelöst kriegen und weil natürlich auch Deutschland extreme Vorteile aus der EU hat. Duisburg ist doch eine Stahl- und Hafen-Stadt. Beide Wirtschaftssektoren werden doch stark von europäischen Entscheidungen bestimmt. Und diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen legen wir in Europa fest. Wer Deutschland aus der Europäischen Union herausführen will, der meint es nicht nur nicht gut mit Europa, der meint es auch mit Deutschland nicht gut!

Frage: Immer wieder hört man, von „Rechten Patrioten“, Deutschland sei „fremdbestimmt“. Stimmt das?
Geier: Stimmt nicht. Jeder Staat schickt Abgeordnete ins EU-Parlament, jeder Staat hat einen Kommissar, jeder Staat hat Sitz und Stimme im Rat der Europäischen Union und diese Stimmen sind natürlich gewichtet. Also ist es sehr schwer Mehrheiten, gegen Deutschland zusammenzubringen. Und es gibt mehrere Beispiele dafür, wo die Bundesregierung sehr, sehr, SEHR rustikal einen deutschen Standpunkt in der EU durchgesetzt hat. Also: Diejenigen, die von „Fremdbestimmung Deutschlands“ reden, die haben keine Ahnung!

Frage: Ist das Ergebnis des Brexit-Referendums von 2016 ein Ergebnis von Manipulation und Halbwahrheiten?
Geier: Mit Sicherheit. Die Vote-Leave-Bewegung hatte damals gegen britisches Recht verstoßen. Und das, was die harten Brexit-Befürworter damals versprochen hatten, tritt alles durch die Bank erkennbar nicht ein! Hätte auch gar nicht eintreten können: Alle Vorteile der EU behalten, nichts mehr zu bezahlen, sich im Streitfall auch dem EU-Gerichtshof nicht zu unterwerfen!? Ja, dann gäbe es ja auch für Deutschland keinen Grund, in der EU zu bleiben! Geht aber nicht: Entweder ist man im Club, mit allen Vorteilen, oder man ist draußen! Eine zweite Abstimmung für die Briten wäre heute - wo alles klarer ist - deshalb nur fair.

Frage: Sollte es in Europa verbindliche Volksabstimmungen wie in der Schweiz geben?
Geier: Ich bin da sehr skeptisch!

Frage: Werden Sie die Briten vermissen wenn Großbritannien, wenn aus der EU ausgetreten ist?
Geier: Sicherlich nicht alle hier im Parlament! (Lacht!) Aber die allermeisten schon !

Frage: Überall in Duisburg kann man große, millionenschwere EU-Infrastrukturprojekte sehen und man hört von kostspieligen Förderprojekten für den Duisburger Arbeitsmarkt – Europa ist in Duisburg positiv mit Händen zu greifen! Und trotzdem dümpelt auch in Duisburg die Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament zwischen 33 und 42 %. Warum ist das so ?
Geier: Also, das soll jetzt keine lahme Ausrede sein, aber die Wahlbeteiligung geht insgesamt überall zurück, nicht nur in Europa. Wir haben es als Europa-Politiker etwas schwerer, dem Menschen zu erklären, was Europa mit den Menschen macht. Die Bundespolitik und deren unmittelbarer Griff ins Portemonnaie sozusagen ist jedem klar, bei Europa ist das schwerer zu erkennen. Europa wurde bislang eher zu wenig erklärt. Nur wenn das europapolitische Grundrauschen - diese immer wiederkehrende Erklärungen (Wo steckt Europa überall drin“) groß und dauerhaft ist und deutlicher wird, dann merken die Leute auch : „Oh ja, stimmt ja, das hat was mit mir zu tun. Ach so, der Hafen ist so erfolgreich, weil der Handel läuft, weil es offene Grenzen gibt..“ Ich bin optimistisch, dass da jetzt viele aufwachen!“


Jens Geier: „Das Ziel der Europäischen Staaten von Europa ist das Ziel der SPD seit 1925, aber das werde ich vermutlich nicht mehr erleben. Im EU-Vertrag von Lissabon steht die immer tiefere Zusammenarbeit, aber selbst diese „tiefere Zusammenarbeit“ ist schwer bedroht.“
Jens Geier: „Das Ziel der Europäischen Staaten von Europa ist das Ziel der SPD seit 1925, aber das werde ich vermutlich nicht mehr erleben. Im EU-Vertrag von Lissabon steht die immer tiefere Zusammenarbeit, aber selbst diese „tiefere Zusammenarbeit“ ist schwer bedroht.“ © Foto: Jörg SchimmeL

Frage: Braucht Europa eine Hauptstadt?
Geier: Hat sie schon, ist Brüssel. Brüssel ist Sitz der Kommission, des Ministerrates und der Arbeitsort des europäischen Parlamentes, also Brüssel und nicht Straßburg ist die Hauptstadt von Europa.


Frage: Braucht Europa eine richtige Regierung?
Geier: Auf lange Sicht, ja , Europa braucht eine Regierung., die europäische Kommission hat jetzt schon Züge einer Regierung, natürlich, die durch die Volksvertretung kontrolliert wird, durch die Mitgliedstaaten auch kontrolliert wird, aber sie hat exekutive Funktionen.

Frage: Wäre das im Augenblick sogar kontraproduktiv von einer „EU-Regierung“ zu sprechen?
Geier: Ja, also das Wort Minister kommt ja nur in dem Wort EU-Finanzminister vor, aber im Prinzip ist die Hohe Beauftragte eine Ministerin, die nur nicht so heißen darf, weil sich dann die Regierung in ihrer Exklusivität beschnitten sieht.

Frage: Sollte es europäische Fernsehsender, Zeitungen und Radiostationen geben?
Geier: Ja, auf jeden Fall. Im Kern gibt es das. Wir erleben sozusagen dieses Beginnen einer europäischen Öffentlichkeit, aber das darf natürlich sehr gerne sehr viel mehr werden. Also, die Selbstverständlichkeit bei den Menschen, mal zu gucken, was ist denn eigentlich in Duisburgs Partnerstädten so los, gibt es ein Problem, das wir hier in Duisburg haben und wie lösen die das - diese Selbstverständlichkeit ist noch nicht da, das kommt aber ganz langsam. Es gewinnt an Fahrt!

Frage: Ist das Endziel für die EU die Vereinigten Staaten von Europa oder etwas anderes ?

Geier: Das Ziel der Europäischen Staaten von Europa ist das Ziel der SPD seit 1925, aber das werde ich vermutlich nicht mehr erleben. Im EU-Vertrag von Lissabon steht die immer tiefere Zusammenarbeit, aber selbst diese „tiefere Zusammenarbeit“, Rückblick auf die Frage Nr. 1 von diesem Interview - ist schwer bedroht. Wir kämpfen wir eine bessere EU.