Wanheimerort. . Selbsthilfegruppe hilft Pflegeeltern und Betreuer, die sich um Kinder mit FASD kümmern: Ihre Mütter tranken in der Schwangerschaft Alkohol.

Wenn Heinrich und Maria Höller Fotos bunter Kleidung zeigen, lächeln sie. Es ist Kleidung mit Geschichte. Tochter Sandy hat die Kleidung selbst entworfen und genäht. Alle sind stolz, auch die nicht so Shopping-begeisterten Herren in der Familie, etwa Bruder Maurice. Wie alle jungen Leute haben Sandy und Maurice ihre eigenen Interessen und Träume. Die 19-jährige Sandy ist die ruhigere, zeichnet liebend gern. Der 23-jährige Maurice ist gerade in seine erste Freundin verliebt, arbeitet in einer Essener Behindertenwerkstatt und mag Metall- und Technik­arbeiten. Wenn’s mal schwierig wird, hält die Familie zusammen.

„Das Gehirn des Kindes wird irreversibel geschädigt.“

Für Vater Heinrich und Mutter Maria ist es ein schöner, oft besonderer Familienalltag, denn Sandy und Maurice haben eine Fetale Alkoholsspektrumsstörung, kurz FASD. „FASD ist der Oberbegriff für ein Spektrum an Störungen, die durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft entstehen“, erklärt Heinrich Höller. Die Störungen können sozial-emotionale, kognitive und körperliche Entwicklungsbereiche betreffen: „Das Gehirn des Kindes wird irreversibel geschädigt.“

10.000 Kinder werden jährlich mit FASD geboren

Um auf die Gefahren aufmerksam zu machen und Hilfe anzubieten, hat Familie Höller mit dem VKM (Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte) Duisburg eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen – „Faszinierend Anders Sein“ heißt sie und trifft sich regelmäßig in Wanheimerort. Die Gruppe ist als Mitglied im bundesweiten Verein FASD Deutschland und im Verein PAN Pflege- und Adoptivfamilien NRW bestens vernetzt. Adoptiv- und Pflegeeltern, leibliche Eltern und Interessierte gehören zur Gruppe. Dr. Andrea Schindler ist selbst Pflegemutter: „10.000 Kinder werden jährlich mit FASD geboren, plus hoher Dunkelziffer. Im Alter ‘verwächst’ sich das Aussehen, im Schwimmbad fallen mir die Kinder aber oft auf.“ Minderwuchs, Kleinköpfigkeit, vorgewölbte Stirn und feinmotorische Probleme können zum Erscheinungsbild gehören. „FASD-Kinder sind sehr lieb, sie überrumpeln Leute oft, weil sie Menschen vorurteilsfrei und distanzlos begegnen. Sie sprechen gut, werden vielfach überschätzt“, so Schindler.

Im Schulalltag wird’s schwierig: Prioritäten setzen, Konflikte lösen, Hausaufgaben machen – all das ist nahezu unmöglich oder erfordert übermäßig viel Zeit. Pflegemutter Silke Perrang kennt das gut: „Nico sprach mit zwei Jahren fünf Wörter.“ Eine auffällige Entwicklung, die Therapien erfordert. Den Marathon aus Frühförderung, Ergotherapie und medikamentöser Behandlung mit Ritalin haben am Tisch der Selbsthilfegruppe alle durch. „Reittherapie hat uns sehr geholfen“, so Familie Höller.

„8 von 10 Frauen trinken Alkohol während der Schwangerschaft.“

Drei ihrer Kinder sind leibliche Kinder, Maurice und Sandy sind Pflegekinder, „sie sind aber wie unsere eigenen“. Maurice kam mit fast fünf Jahren zu ihnen. Sandy hat kürzlich den Realschulabschluss geschafft, möchte als Schneiderin bei einem Inklusions-Mobelabel arbeiten. Ein Schulabschluss bleibt die Ausnahme. FASDler haben Probleme, einen Arbeitsplatz zu finden und einen Freundeskreis aufzubauen.

Vielen Schwangeren sei das Risiko unbewusst: „8 von 10 Frauen trinken Alkohol während der Schwangerschaft. Es ist und bleibt Zellgift“, so Heinrich Höller. Schon der Sekt an Silvester könne das Ungeborene beeinträchtigen. Präventionsarbeit sei wichtig: „Jeder Biologielehrer kann FASD zur Aufklärung in den Unterricht einbauen, Schüler dazu recherchieren lassen.“

Selbsthilfegruppe trifft sich einmal im Monat

Aufmerksamkeit und Verständnis schaffen, den Fokus auf Stärken statt Schwächen legen. Dafür engagiert sich die Selbsthilfegruppe.

Jeden ersten Donnerstag im Monat, außer in den Schulferien, trifft sich die Gruppe von 19 bis 21 Uhr bei Familie Höller, Im Baumhof 6, in Wanheimerort. Infos: 0203/777096 oder maria@hoellernet.de.