Duisburg. Kurden fordern Ende der Isolation des PKK-Gründers. Landespolitiker unterstützen sie und fordern die Bundesregierung zum Handeln auf.
Sein Puls und sein Gewicht werden gemessen, die Ergebnisse handschriftlich in einem Schreibblock dokumentiert. Mehr als fünf Kilogramm hat Mustafa Tuzak schon verloren. Der 49-Jährige befindet sich in Duisburg-Marxloh in einem unbefristeten Hungerstreik. Dieser Freitag ist der 13. Tag in Folge.
Tuzak ist einer von europaweit hunderten kurdischen Aktivisten, die in den vergangenen Wochen in den Hungerstreik getreten sind, um ein Ende der Isolationshaft Abdullah Öcalans zu erzwingen, des Gründers der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die PKK gilt in der Türkei und in Deutschland als Terrororganisation, sie kämpft seit vier Jahrzehnten für mehr Rechte für die kurdische Minderheit.
Öcalan sitzt seit 20 Jahren in Einzelhaft
Öcalan sitzt seit zwanzig Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer in Einzelhaft. Seine Anhänger kritisieren die Isolationsbedingungen, unter denen er festgehalten wird. Jetzt greifen viele von ihnen zu einem verzweifelten Mittel: dem Hungerstreik.
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Den Anfang hatte vor 80 Tagen Leyla Güven gemacht, eine gewählte Abgeordnete der pro-kurdischen HDP. Gestern wurde sie aus einem Gefängnis im türkischen Diyarbakir entlassen, geschwächt, aber willens, ihren Hungerstreik fortzusetzen.
In Straßburg befinden sich 14 kurdische Aktivisten seit 40 Tagen im Hungerstreik. In türkischen Haftanstalten sollen sich hunderte Gefangene der Aktion angeschlossen haben.
Protestwelle erreicht NRW
Mittlerweile hat die Protestwelle auch Nordrhein-Westfalen erreicht. Neben Mustafa Tuzak in Duisburg sind auch mehrere Menschen im alevitischen Kulturzentrum Dakme in Dortmund in den Hungerstreik getreten.
Es geht ihnen auch um eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. 2015 hatte die türkische Regierung die einige Jahre zuvor begonnenen Friedensverhandlungen mit der PKK abgebrochen.
Tuzak ist fest entschlossen. „Ich streike für mein Volk und für alle Unterdrückten. Wenn es sein muss, dann opfere ich auch mein Leben“, sagt er. „Jahrzehnte lang wurde das kurdische Volk unterdrückt und ermordet. Ich fordere Frieden und Gerechtigkeit“, sagt Tuzak.
Er spricht leise, freundlich und aus Erfahrung. Seit 25 Jahren lebt der Aktivist in Deutschland. Eine Heimkehr in die Türkei scheint für ihn ausgeschlossen. „Man würde mich gleich verhaften“, sagt er.
Es ist nicht das erste Mal, dass der 49-Jährige den Hungerstreik als politische Protestform gewählt hat. Dieses Mal ist er aber unbefristet. „Wird die Isolation Öcalans nicht aufgehoben, werde ich sterben“, sagt Tuzak und richtet seinen Blick auf die Wand, wo Fotos einiger kurdischer Märtyrer hängen. Frau und Kinder hat er nicht.
Die Mitglieder des kurdischen Vereins in Marxloh überwachen rund um die Uhr seinen körperlichen Zustand und unterstützen ihn auch moralisch.
„Es kann zu großen Unruhen kommen“
„Wir hoffen, dass sie nicht bis zum Äußersten gehen müssen und appellieren daher an die Bundesregierung ihren Einfluss auf Erdogan geltend zu machen. Andernfalls – wenn es Tote gibt – kann es zu großen Unruhen bei den Kurden in Europa kommen“, sind sich die Gemeindemitglieder in Marxloh sicher.
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Eine Einschätzung, die auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz teilt. Es sei damit zu rechnen, „dass es jederzeit sowohl zu gezielten demonstrativen Aktionen als auch zu spontanen und emotionalen Reaktionen“ kommen könne, so eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. Daran ändere auch die Haftentlassung der HDP-Abgeordneten Leyla Güven grundsätzlich nichts.
Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz warnt vor einer Zuspitzung der Situation: „Die deutsche und die europäische Politik müssen die Forderungen der Hungerstreikenden ernst nehmen und auf ihre Agenda setzen. Es besteht ansonsten eine Eskalationsgefahr auch in NRW.“ Dass Menschen wie Leyla Güven oder Mustafa Tuzak „in den Hungerstreik treten müssen, um ihren politischen Forderungen Gehör zu verschaffen, ist bitter“, so Aymaz.
Yetim: Berechtigte Forderung
Der SPD-Landtagsabgeordnete Ibrahim Yetim freut sich zwar über die Freilassung der HDP-Abgeordneten. Das ganze Verfahren zeige aber „die Unterdrückung der Opposition in der Türkei unter Erdogan“. Die Forderung nach einem Ende der Isolationshaft für Öcalan sei „völlig berechtigt und entspricht unserem Menschenbild“, betont Yetim. Er fordert die Bundesregierung auf, „endlich deutlich zu artikulieren, dass die Wahrung von Meinungsfreiheit, Menschenrechten und Opposition für eine Zusammenarbeit unabdingbar sind“.