Duisburg. Jakob Kemper fand heraus: Bundestagsabgeordnete behandeln Bürger mit ausländisch klingendem Namen schlechter als Menschen mit deutschem Namen.
Abgeordnete des Deutschen Bundestages diskriminieren systematisch Bürger mit Migrationshintergrund. Das hat der Politik-Absolvent Jakob Kemper (23) mit seiner Abschluss-Arbeit herausgefunden.
Er setzte fiktive Schreiben auf, die er an alle 709 Berliner Abgeordneten schickte - die Hälfte mit dem Absender-Namen Paul Schmidt, die andere Hälfte als Murat Yilmaz. Das Ergebnis: Ein Murat Yilmaz bekommt weniger und kürzere Antworten als Paul Schmidt.
„Die Unterschiede sind relativ eindeutig“, berichtet Kemper, der 2013 in Essen sein Abi machte und ein Jahr später in Duisburg ein Bachelor-Politikstudium aufnahm. Jetzt absolviert er sein Master-Studium „Methoden der Sozialforschung“ in Bochum.
Szenario: Krankenpfleger erkundigt sich zur Bundestagswahl
Folgendes Szenario dachte er sich für seine Bachelor-Arbeit aus: Ein deutscher Krankenpfleger – mal Paul Schmidt und mal jemand mit türkischen Wurzeln, Murat Yilmaz – lebt derzeit in den Niederlanden, plant aber seine Rückkehr nach Deutschland.
„Der Krankenpfleger richtete an alle Abgeordneten die Frage, ob er an der nächsten Bundestagswahl teilnehmen kann, wenn er wieder in Deutschland wohnt und im Wahlkreis des Abgeordneten wohnt, und was er dafür tun muss“, erzählt Kemper. „Das ist eine relativ leicht zu beantwortende Frage.“
Die Bundestagsfraktion, die am deutlichsten unterschied, ob Paul Schmidt oder Murat Yilmaz schreibt, machte – wenig überraschend – die AfD: 47 Prozent der Abgeordneten antworteten Paul Schmidt, aber nur 26 Prozent schrieben Murat Yilmaz zurück.
Deutliche Unterschiede bei der AfD
Bei der CDU/CSU antworteten 73 Prozent dem Briefeschreiber mit deutsch klingendem Namen, nur 65 Prozent dem Absender mit türkisch klingendem Namen. Bei der SPD lag das Verhältnis bei 70 zu 68, bei der FDP 55 zu 53.
Einzig bei den Grünen war es umgekehrt: Murat Yilmaz erhielt mehr Antworten (58 Prozent der Abgeordneten schickten eine Antwort) als Paul Schmidt (53 Prozent). „Interessant ist auch, dass ganz offenbar gar nicht jedes Schreiben beantwortet wird, obwohl die Abgeordneten dafür extra Mitarbeiter beschäftigen“, stellt Kemper mit einigem Erstaunen fest.
Seine Feldstudie wurde wissenschaftlich betreut von Politik-Professor Achim Goerres an der Universität Duisburg-Essen: „Kemper weist Zusammenhänge nach“, urteilt der Experte, „die nicht durch Zufall entstanden sein können.“ Die Befunde müssten einen „äußerst bedenklich“ stimmen.
Phänomen ist der Fachwelt bekannt
Das Phänomen, auf das Kemper bei seiner Arbeit gestoßen ist, wird in der Fachwelt als „taste based discrimination“ beschrieben – Amtsträger diskriminierten dabei Bürger, die ganz offensichtlich nicht dem eigenen Milieu entstammten.
Dieses Symptom ist weithin bekannt bei Vermietern, die ihre Wohnungen lieben solchen Bürgern überließen, die offenkundig den Eigentümern ähnlich erscheinen, was Herkunft, Bildung und Geschmäcker betrifft.
Kemper hatte die Schreiben an die Politiker zufallsweise mal per E-Mail und mal per Post verschickt. Noch etwas fiel dem jungen Politikforscher auf: Die Rückschreiben an Paul Schmidt waren in der Regel ausführlicher als die Antworten an Murat Yilmaz.
Ergebnisse wurden bereits in Berlin diskutiert
„Es scheint“, mutmaßt Kemper, „als ob sich die Abgeordneten bei deutschen Bürgern mehr Mühe mit ihren Schreiben geben als bei jenen für Bürger mit Migrationshintergrund.“
Kempers Arbeit löste Ende letzten Jahres einiges Aufsehen aus – einige Medien berichteten bereits über seine Ergebnisse. „Und ich habe mitbekommen“, sagt Kemper, „dass meine Arbeit in der Bundestagsfraktion der Linken intensiv diskutiert worden ist.“
Auch das Ergebnis dieser Fraktion war eindeutig: 53 Prozent der Abgeordneten antworteten dem Bürger mit deutsch klingendem Namen, aber nur 44 Prozent dem Bürger namens Murat Yilmaz.