Duisburg. . Wolfgang Gröting leitet die Schnittstelle zwischen Forschung und Firmen seit einem Jahr. Er setzt auf die Themen Healthcare und Stress.

Für die Industriekonzerne Siemens und Philips hat Wolfgang Gröting 20 Jahre lang an der Schnittstelle zwischen Forschung und Umsetzung gearbeitet. Auch am Fraunhofer inHaus-Zentrum in Neudorf, das er nun seit einem Jahr leitet, arbeitet er an dieser Schnittstelle. Im WAZ-Interview spricht der 47-Jährige über die Schwerpunkte und Themen, die er für die nächsten Jahren setzen wird.

Was hat Sie gereizt?

Der große Name Fraunhofer und die glänzende Historie dieses Haues. Und dass ich Bindeglied zwischen der Forschung und Unternehmen bin. Das ist nah an dem, was ich bisher gemacht habe. Ich habe die Freiheit, Themen, in denen ich großes Potenzial sehe, umzusetzen.

Welche sind das?

Wir wollen dem Haus eine neue Stoßrichtung geben, weg von der reinen Netzwerkplattform. Fraunhofer steht dafür, in einer bestimmten Technik zur Spitze zu zählen. Ich bin jetzt dabei, ein eigenes Team aufzubauen für die Themen rund um Connected Healthcare – Gesundheit und Pflege.

Warum ausgerechnet das?

Das Stichwort ist das Internet der Dinge, die Vernetzung aller Geräte miteinander. Die Sammlung von Daten, die damit verbunden ist, löst bei einigen Menschen Befürchtungen aus, das ist mir bewusst.

Das Fraunhofer inHaus-Zentrum am Forsthausweg in Neudorf.
Das Fraunhofer inHaus-Zentrum am Forsthausweg in Neudorf. © Morris Willner

Der Privatsphäre droht das Ende?

Wie wir sie bisher kennen, wird es sie nicht mehr geben. Die Privatsphäre ist ein hohes Gut, und das sollten wir uns bewahren. Allerdings sind 72 Prozent der Deutschen heute schon in sozialen Netzwerken unterwegs. Dass sie dennoch keine Daten preisgeben wollen, ist teilweise ein wenig widersprüchlich. Trendforscher sprechen hier von der Post-Privacy-Area, in der wir meines Erachtens schon teilweise angekommen sind. Ich glaube, die Vorteile der vernetzten Datenwelten überwiegen gegenüber den möglichen Risiken.

Welche Schwerpunkte setzen Sie für den Gesundheitsbereich?

Wir fokussieren uns auf Demenz und Stress. Assistenzsysteme etwa erlauben es uns schon heute, länger in den eigenen vier Wänden zu verweilen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt schneller als die der Pfleger -- genau da kann Technik helfen. Für Fraunhofer, das teilweise auch staatlich finanziert wird, ist es wichtig, hier einen Beitrag zu leisten.

Passt das zum Forschungsportfolio?

Einige Themen haben wir ja schon hier mit dem SmartHome, dem Krankenhaus der Zukunft, mit dem IMS haben wir die elektrotechnische Kompetenz nebenan. Wir fangen nicht bei Null an.

Die IT spielt auch bei Neubau und Modernisierung von Krankenhäusern eine große Rolle.

Ein papierloses Krankenhaus ist effizienter. Seit einigen Monaten kooperieren wir mit Helios und haben gemeinsam das Realraum Innovationslabor ins Leben gerufen. Ein Projekt, durch das Techniken, vor dem Test am Patienten, in einer gesicherten Umgebung ausprobiert werden können. Das ist ein spannendes Thema. Wir wollen aber auch auf das Leben daheim und auf Senioreneinrichtungen schauen.

Worum geht’s beim Thema Stress?

Unsere Vision ist es, eine Sensorik zu entwickeln, die Stress beim Menschen darstellen und bewerten kann: Sind Patienten gestresst, der Pfleger möglicherweise kurz vor dem Burnout? Das ist an den Vitalparametern schwierig zu erkennen – wenn ich renne, schwitze ich zwar, aber habe keinen Stress. Mit einigen Bachelor- und Masterarbeiten wollen wir uns dem Thema nähern.

Befindet sich ein solcher Sensor künftig am oder im Menschen?

Fraunhofer entwickelt auch Chips, die sich im Körper befinden können, etwa zur Messung des Glukosegehalts, des Drucks im Kopf oder Herz-Parametern. Ich will da aber noch nicht hin. Die Akzeptanz für einen Sensor am Körper ist höher, denke ich. Beim Thema Demenz geht es etwa darum, den Füllstand der Blase zu messen. Das von außen zu machen, ist zu bevorzugen, aber denkbar ist auch ein Sensor in der Blase. Die Akzeptanz für solche Eingriffe wird steigen – das Stents per Katheter im Herzen eingeführt werden, ist doch heute auch schon Standard.

Das inHaus-Zentrum, so heißt es, soll alle fünf Jahre das Thema wechseln. Stimmt das?

Meine Vorgabe ist das nicht. 2013 war mit der Eröffnung des Krankenhauses der Zukunft sicherlich ein großer Innovationsschub für unser Haus. Wir merken, dass Themen einen Hype-Zyklus haben. Jetzt haben wir natürlich auch mit dem Aufbau eines neuen Teams eine Phase der Neuausrichtung eingeleitet, das stimmt. Tendenziell werden die Zyklen aber kürzer, die Digitalisierung ist hier der Taktgeber.

Also bestimmen eher die äußeren Faktoren ihren Rhythmus?

Wenn die Technik da ist durch die nächste Mobilfunkgeneration, wird sich das gegenseitig befruchten – etwa beim Thema autonomes Fahren. Wenn der Anwender daran gewöhnt ist, wird vieles selbstverständlich. Dass ich im Auto kein Licht einschalte, ist selbstverständlich. Warum sollte ich dann im Haus noch Lichtschalter drücken? Auch Sprachsteuerung setzt sich immer mehr durch.

SmartHome wird umgestaltet

Nicht nur für die Stadt Duisburg ist Wolfgang Gröting gefragter Gesprächspartner zum Thema Smart City. Auch hier gibt es zahlreiche Überschneidungen – etwa die Ausstattung der Stadt mit digitalen Assistenzsystemen. „Der Fokus der Städte liegt aber zunächst auf der Digitalisierung ihrer Verwaltungen und Dienstleistungen“, stellt Wolfgang Gröting fest.

Was wird aus dem 2001 fertiggestellten „SmartHome“ am inHaus-Zentrum? „Es wird jetzt komplett umgestaltet“, kündigt Gröting an, „wir sind mit vielen Firmen im Gespräch über neue Systeme.“ Wie kann eine Single-Wohnung für eine Seniorin aussehen“ – das ist dabei eine Fragestellung.

Für das inHaus-Zentrum soll es künftig darum gehen, Themen nicht zunächst von der Technik her, sondern von der Anwendung her zu denken. „Im zweiten Schritt wollen wir dann fragen, wo ist die Technik dafür“, erklärt Gröting.

Das neue Team soll versuchen, das inHaus-Zentrum nach vorn zu bringen. „Die Tendenz stimmt“, sagt Gröting mit Blick auf Fachtagungen im Konferenzsaal des inHaus-Zentrums. So stellte unlängst etwa die sächsische Kemas Krankenhausmanagern und Textil-Logistikern ihr digitales Lager und Verteilsystem für Berufskleidung vor – eine Musteranlage ist im inHaus-Zentrum installiert. Neu belebt wird auch die erste Etage des Hauses am Forsthausweg in Neudorf. „Hier wollen wir mit Start ups zusammenarbeiten, die sich mit Gesundheitsthemen beschäftigen“, kündigt Wolfgang Gröting an.

Zur Person: Wolfgang Gröting

Wolfgang Gröting stammt aus Oeding bei Borken. Bei der Bundeswehr hat eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker absolviert, nach dem Fachabitur an der FH Krefeld Nachrichtentechnik studiert.

Bei Siemens am Standort Bocholt arbeitete er in der Entwicklungen von Telefonen, später von Schnittstellen und Smart-Home-Technik. 2007 wechselte er zu Philips nach Winterswijk, war dort in der zunächst in der Entwicklung von Leuchten, dann in verschiedenen Projekten tätig.