Duisburg. . Weltpremiere: Thyssenkrupp hat in Bruckhausen mit Produktion von Methan aus Hüttengas begonnen. Meilenstein für klimafreundliche Stahlproduktion.

Zur Weltpremiere fehlte nur der rote Teppich vor dem Besucherzelt vor dem Technikum an der Alsumer Straße im Hüttenwerk Bruckhausen. In der Versuchsanlage Carbon2Chem hat Thyssenkrupp am Donnerstag damit begonnen, den synthetischen Kraftstoff Methan herzustellen aus Gasen der Stahlproduktion – auch das darin enthaltene CO2 wird dabei chemisch umgewandelt.

„Eine Sensation“, nannte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), die erfolgreiche Premiere: „Aus Gas, das unser Klima zerstört, wird ein Kraftstoff.“ Thyssenkrupp erschließt damit eine Technologie, die enormes Potenzial verspricht und geht einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Stahlproduktion. Großtechnisch umgesetzt, könnte Carbon2Chem rund 20 Millionen Tonnen der jährlichen CO2-Emissionen der deutschen Stahlbranche wirtschaftlich verwertbar machen. „Unsere Vision von einer nahezu CO2-freien Stahlproduktion nimmt Gestalt an“, erläuterte Guido Kerkhoff, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp. Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität haben mit Blick auf die deutschen Einsparziele bis 2050 besondere Bedeutung, so die Ministerin: „Unter den bisherigen Bedingungen wäre es das Ende der Stahlindustrie.“

Seit zwei Jahren wird der Praxisbetrieb geprobt

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung (Mitte) lauschte gebannt den Ausführungen.
Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung (Mitte) lauschte gebannt den Ausführungen. © Daniel Elke

Im Technikum am Bruckhauser Stahlwerk wird seit zwei Jahren der Praxisbetrieb unter Industriebedingungen geprobt. Das Bundesforschungsministerium fördert den Großversuch bis 2020 mit 60 Millionen Euro, der Konzern investiert eine ähnliche Summe, um die Verwertung der Hüttengase im industriellen Maßstab voranzutreiben.

Auf bis zu einer Milliarde Euro könnte sich die Investition für eine Großanlage belaufen, die auf einer etwa einen Quadratkilometer großen Fläche hinter dem Technikum entstehen und Mitte des kommenden Jahrzehnts in Betrieb gehen könnte. Dr Markus Oles, bei Thyssenkrupp verantwortlich für Strategie und nachhaltige Projekte, bestätigte diese Planung. „Vor unserem geistigen Auge ist die Anlage schon fertig“, sagt Prof. Dr. Robert Schlögl. Der Direktor des Mülheimer Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion war schon an den vierjährigen Vorbereitungen für das Projekt maßgeblich beteiligt.

Treibstoff für Elektrofahrzeuge

Der Chemiker sieht vor allem im Oxymethylenäther (OME), der aus dem Hüttengas gewonnen wird, großes Potenzial. „Damit könnte in Elektro-Fahrzeugen ein Generator angetrieben werden, der die Batterie lädt“, erläutert Schlögl. Das sei in jedem Fall wirtschaftlicher als die Stromversorgung über Ladestationen. Der Wissenschaftler verweist auf China, wo OME bereits in tausenden von Fahrzeugen eingesetzt werden. „Dort wird der Treibstoff allerings aus Kohle gewonnen.“ Sicher kein Zufall, dass auch eine chinesische Delegation zu Gast bei der Präsentation war.

Carbon2Chem nennt Vorstandschef Kerkhoff „eine Durchbruchtechnologie“, möglich gemacht durch die Zusammenarbeit von insgesamt 17 Partnern aus verschiedenen Konzernsparten sowie der Grundlagen- und Anwendungsforschung. Die Entwicklung von Technologie für Klimaschutz und Energiewende soll für Thyssenkrupp ein Gewinnbringer der Zukunft sein, erklärte Konzernvorstand Donatus Kaufmann: „Auf weltweit mehr als 50 Stahlwerke ist die hier entwickelte Lösung eins zu eins übertragbar.“ Gleiches gilt für Zementfabriken, bei denen ungleich mehr CO2 anfällt, als bei der Stahlproduktion. Zur Beseitigung der enorm klimaschädlichen Lachgasemissionen in der Düngemittelproduktionen habe Thyssenkrupp bereits mehr als 30 Anlagen verkauft, berichtete Kaufmann. „Der Export von Technologie ist der größte Hebel für Deutschland, um zum weltweiten Klimaschutz beizutragen“, lobte Forschungsministerin Anja Karliczek.

>>>PROZESSE UND PRODUKTE

Hüttengas, das in Hochöfen und Stahlwerken anfällt, enthält Kohlenstoff in Gestalt von Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Der zur Produktion von Synthesegas benötigte Wasserstoff wird per Elektrolyse aus erneuerbaren Stromquellen hergestellt.

Die chemischen Endprodukte sind Methanol als Treibstoff und Ammoniak als Kunstdünger-Basis. Synthesegas, das in der chemischen Industrie aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird, kann dort auch für die Kunststoff-Produktion verwendet werden.