Duisburg. . Kai Edel ist drei Wochen lang im Durchschnitt 340 Kilometer am Tag gefahren. Der Fahrradkurier wurde damit Zweiter beim Transkontinental-Rennen.
Das sind Zahlen, die auch erfahrenen Profis Respekt abnötigen: Ein Radrennen über 7252 Kilometer vom Nordkap, Europas nördlichstem Punkt, bis nach Tarifa an der kontinentalen Südspitze. Im Weg gut 48 000 Höhenmeter in Alpen, Pyrenäen und auf der höchsten befahrbaren Straße in Europa, die in 3398 Meter Meereshöhe den Pico Veleta in der andalusischen Sierra Nevada überquert. Das sind die wichtigsten Fakten zu „Northcape -Tarifa“. In der Mittsommernacht zum 21. Juni ist Kai Edel gemeinsam mit 33 Solofahrern und drei Zweierteams in Norwegen aufgebrochen und als Zweiter nach 21 Tagen und 14 Stunden am 11. Juli an der spanischen Südspitze angekommen. Die durchschnittliche Tagesleistung: 340 Kilometer.
Die dicke Staubschicht auf dem Cannondale-Renner vermittelt noch eine Ahnung von den Strapazen, die hinter dem 42-Jährigen liegen. Muss man wahnsinnig sein, um überhaupt bei solch einer Nummer zu starten? „Nee, aber es hilft“, sagt der 42-jährige. Wenn er nicht gerade Kontinente durchquert radelt er auf Duisburgs Straßen als Fahrradkurier für die „Pony-Riders“.
„Das ist ein Abenteuer. Ich durchquere atemberaubende Landschaften, aber ich weiß nicht, was passiert“, sagt er über den Reiz, den ein „not supported Race“ auf ihn ausübt. Das heißt: Die Fahrer haben kein Team dabei, das sie verpflegt und massiert, keinen Schlafplatz im Begleitfahrzeug. Den vorgeschriebenen Weg weist das Navigationsgerät, ein „Tracker“ am Rad stellt sicher, dass niemand von der Route abweicht oder unterwegs auf Bus und Bahn umsteigt.
Der Duisburger ist kein Neuling bei solchen Mega-Touren. Das „Transam-Bikerace“ von Kalifornien an der US-West- nach Virginia an der Ostküste über 6800 km hat er 2016 bestritten, das „Indian-Pacific“ von Perth nach Sydney (5500 km) im vergangenen Jahr. Zuvor war er am Start bei diversen Brevets wie Paris-Brest-Paris, den französischen Klassiker unter den Langstreckenfahrten über rund 1200 km.
Der Klub der Spezialisten ist international, aber überschaubar, am Start stehen regelmäßig alte Bekannte. Zu ihnen zählt auch Andi Buchs – der Schweizer, seit zehn Jahren selbst auf Ultra-Strecken unterwegs, organisierte auch die Europa-Durchquerung.
Als Kurier sitzt Kai Edel zwar auch beruflich auf dem Rad, spezielles Langstreckentraining ersetzt das nicht. „Zur Vorbereitung bin ich deshalb bereits Mitte Mai in Hamburg mit dem Rad gestartet“, berichtet er. 3000 Kilometer bis zum Treffen im Fahrerlager in Tromsö – von dort ging’s dann zum Start.
Die Strecke – eine Wundertüte. „Es ging über Nebenstrecken, oft war auch Schotterpassagen dabei“, berichtet er. Nicht ideal für den Carbon-Renner mit den 25mm breiten Renn-Reifen. „Vielleicht war ich in der Planung ein wenig blauäugig. Aber auf einer so langen Strecke kann man eben nicht alles planen.“
Entscheidend über Ankunft oder Aufgabe: Die Verteilung von Ruhe- und Fahrzeit. Für rund vier Stunden Schlaf pro Nacht hat sich Kai Edel entschieden. „Durch die Nacht fahren, das rächt sich am nächsten Tag.“ Radeln bis ungefähr Mitternacht, dann ins Hotel, Essen, Kleidung waschen. Um 4.30 Uhr klingelte der Wecker, dann eine Stunde bis zum Start. Nur kurze Essenspausen unterbrachen die Fahrt. „Das Sortiment von Tankstellen kann ich nicht mehr sehen.“ Wenn die Erschöpfung zu groß wurde, half ein erholsamer Kurzschlaf. „Schon zehn Minuten machen viel aus.“
Im Schotter auf fast 3400 Metern fiel die Entscheidung
Wichtig auch das Durchschnittstempo. „Wer am Anfang zu schnell fährt, dem fehlt am Ende die Kraft“, sagt Edel. Flott ging’s zwar nach dem Start Richtung Süden bis zur Fähre von Helsinki nach Estland, doch Dauerregen bei Temperaturen unter zehn Grad ging an die Substanz. In Deutschland dann die ersten Probleme: Die Sehnen im überlasteten Knie schwollen an. Drei Tage lang entzündungshemmende Medikamente, weniger Kilometer und eine veränderte Sattelhöhe zur Entlastung des Gelenks, dann war die Krise überstanden.
Am Galibier in den französischen Alpen fiel der Finne Samuli Mäkinen zurück, danach wurde das Rennen für den führenden Kai Edel zu einem Zweikampf mit Landsmann Steffen Streich. Nur eine gute Stunde, etwa 30 Kilometer, trennte beide über Tage. „Er hat mich vor sich her getrieben.“ Im Schotter der fast 3400 Meter hohen Piste auf den Pico Veleta rund 300 Kilometer vor dem Ziel die Entscheidung: „Ich musste mein Rad stellenweise tragen, war nach der Abfahrt total kaputt und musste erstmal ausschlafen.“ Locker ist der 42-Jährige dann ins Ziel gerollt, zwölf Stunden trennten ihn am Ende vom Sieger.
Und was kommt jetzt? „Mal sehen“, sagt Kai Edel. Von Kanada bis Mexiko durch die Rocky-Mountains wäre ein Reiz, oder Südamerika. „Da war ich noch nicht.“ Aber erstmal legt der Ultra-Radler eine Woche die müden Beine hoch. Dann geht’s wieder aufs Rad – zur Kurierschicht bei den Pony-Riders.
>>>Duisburg als Hochburg der Ultra-Radler
Duisburg ist eine echte Hochburg erfolgreicher Ultra-Radler. Ihr prominentester Vertreter ist Pierre Bischoff. Der 33-Jährige gewann vor zwei Jahren überraschend das Race Across America (RAAM), wurde im vergangengen Jahr Zweiter beim „Trans-Sibirian Extreme“ über 9200 Kilometer von Moskau nach Wladiwostok, bei dem er in diesem Jahr erneut startet. Den Traum von einem Start beim RAAM, es gilt als Monument der Ultra-Langstrecke, will sich auch Thorsten Domeyer erfüllen. Der 51-jährige aus Wanheimerort radelte im Juni nonstop in 50 Stunden von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen und qualifizierte sich damit für den Ritt durch die USA in 2019 oder 2020. Während bei den genannten Rennen Teams in Begleitfahrzeugen die Fahrer versorgen, wird bei North Cape - Tarifa, bei dem Kai Edel startete, ohne Unterstützung gefahren. Die Teilnehmer sind komplett auf sich allein gestellt.