Duisburg-Neudorf. Die Hauptschule an der Gneisenaustraße in Duisburg nimmt zum nächsten Schuljahr keine neuen Jugendlichen mehr auf, richtet aber neue Klassen ein.
Totgesagte leben länger: Die Hauptschule wird landesweit abgewickelt – und auch die Einrichtung an der Gneisenaustraße nimmt zum nächsten Schuljahr keine neuen Jugendlichen mehr auf. Dennoch werden nach den Ferien vier zusätzliche Klassen in den Jahrgängen sieben, acht und neun eingerichtet. „Viele Kinder, die zunächst in einer Seiteneinsteiger-Klasse waren, sollen danach am Regelunterricht teilnehmen. In den Realschulen und Gymnasien fällt dann aber auf, dass sie dem Unterricht kaum folgen können“, erklärt Benjamin Schröter, kommissarischer Rektor der Hauptschule Gneisenaustraße. Rund 40 Jugendliche verlassen nun die Schule, etwa 50 kommen hinzu. „Die Kapazitäten sind vorhanden“, betont Schröter.
Grundlegende Tugenden beibringen
Das Gerede um die Hauptschule als „Resteschule“ macht die Lehrer wütend – und die Jugendlichen traurig. Seit den 1980er Jahren unterrichtet Birgit Schräer an einer Hauptschule. Seitdem hat sich viel geändert. „Das Niveau ist gesunken. Klassenarbeiten, die ich noch vor zehn Jahren gestellt habe, könnte ich heute so nicht mehr schreiben lassen.“ Stattdessen müsse sie vielen jungen Erwachsenen erst einmal grundlegende Tugenden beibringen. Pünktlichkeit, Ordnung, solche Sachen. „Wir arbeiten in sechs Stunden gegen das an, was zu Hause oft nicht mehr gewährleistet wird.“ Sie selbst hat ein Mädchengymnasium besucht und wurde Pädagogin, weil sie es anders machen wollte als ihre Lehrerinnen. „Die Lehrer waren zu meiner Zeit sehr distanziert. Viele alte Jungfern, es war schrecklich.“ An die Hauptschule kam sie eher durch Zufall. Seitdem musste sie oft umziehen, weil die Bildungseinrichtungen nach und nach geschlossen wurden. Erst war sie an der Duissernstraße, dann an der Gutenbergstraße. Später wechselte sie mit ihrer Klasse zur Gottfried-Könzgen-Schule, nun ist sie an der Gneisenaustraße. Anderen Kollegen ging es ähnlich.
Diese Woche verabschiedet Birgit Schräer ihre Klasse – es ist eine zehnte. Zum Glück haben einige Schüler eine Lehrstelle gefunden, andere besuchen ein Berufskolleg, um sich weiter zu qualifizieren. „Wir fangen in der achten Klasse mit der Berufsvorbereitung an“, beschreibt sie. Es gibt zahlreiche Praktika, in denen die Jugendlichen ausprobieren können, welcher Beruf zu ihnen passt. Berater kommen in die Schule, geben Tipps. Blerina (17) wird Altenpflegerin, Felix hat sich für eine Lehre im Hotel entschieden. Bei einem Praktikum hat es ihm „Plaza“ gut gefallen und die Familie hatte außerdem gute Kontakte zu dem Betrieb. „Man wird schon angesprochen, warum man auf der Hauptschule war“, erzählt Felix Blumberg. Der Zeit nach der Schule sieht der 16-Jährige mit gemischten Gefühlen entgegen. „Einerseits reicht es mit der Schule. Aber es ist auch schade, dass die Klasse getrennt wird und wir uns seltener sehen werden.“ Zur Feier des Tages haben er und die anderen ihre Aufgabenhefte zerrissen.
Chance, eine Lehrstelle zu bekommen
David Grafweg hat in den vergangenen Monaten an dem Programm „Sprungbrett“ von Thyssenkrupp teilgenommen. Lehrer haben dem Konzern Schüler empfohlen, die technisch begabt sind und vielleicht eine Ausbildung in der Firma packen könnten. An einigen Nachmittagen in der Woche ist der 16-Jährige in den Duisburger Norden gefahren und hat zusätzlich Mathe gebüffelt. „Manchmal haben wir dort schon Sachen gelernt, die wir erst später im Unterricht hatten“, erklärt David Grafweg. Wer an Sprungbrett teilnahm, hatte die Chance, sich auf eine Lehrstelle zu bewerben. „Wir haben auch die unterschiedlichen Bereiche von Thyssenkrupp kennen gelernt“, erzählt er. Demnächst beginnt er im Bereich Elektrotechnik. Guiglani Suman besucht eine Berufsschule, wo er sich ebenfalls auf den Fachbereich Elektrotechnik spezialisiert. Angelique Derksen wird ebenfalls Azubi in einem Hotel. Sie ist froh, dass die Schulzeit vorbei ist. „In den Ferien werd ich mich erstmal erholen.“
Sabbat-Jahr für die Lehrerin
Erholung steht auch bei Lehrerin Schräer auf dem Plan. Sie wird ein Sabbat-Jahr einlegen. Den Job als Lehrerin würde sie heute noch immer empfehlen, allerdings nur jenen, die mit Engagement bei der Sache sind. „Das ist kein Job, der um 17 Uhr endet. Viele Eltern rufen einen abends an.“ Außerdem müsse man mit der Zeit gehen. Von den Schülern hat sie auf der Klassenfahrt zum Beispiel gelernt, wie man „snapchattet“.
Am Ende gibt Birgit Schräer ihren Schülern folgende Botschaft mit auf den Weg: „Lasst euch nicht einreden, dass ihr Bildungsproletariat seid. Ihr habt Talente.“