Duisburg. . Ein Experiment von sechs Physikern folgt Alexander Gerst auf die ISS. Astrophysiker Gerhard Wurm über Grenzen und Chancen der Weltraumforschung.

Wenn die Sojus-Rakete mit Alexander Gerst Mittwochmittag im russischen Bajkonur mit Kurs Raumstation ISS abhebt, dann werden auch in der Fakultät für Physik der Universität Duisburg-Essen die Daumen gedrückt. Ein Experiment von sechs jungen Physikern folgt dem deutschen Astronauten ins All. Die experimentelle Astrophysik ist das Forschungsgebiet von Prof. Dr. Gerhard Wurm. Mit dem Physiker (51) der an der UDE die Sterne im Blick hat, sprachen wir über den Hype um „Astro-Alex“, die Erwartungen an seinen Weltraum-Trip und die Rätsel, die durch Raumfahrt gelöst werden können.

Der Hype um den zweiten Raumflug von Alexander Gerst ist noch größer als beim ersten. Wie erklären Sie sich das?

Gerhard Wurm: Es hat sich gezeigt, dass er sehr medienwirksam ist, sympathisch, gut rüberkommt und Spaß an der Sache hat. Das hat mit seiner Person zu tun und damit, dass er auch als Copilot in verantwortlicher Rolle mitfliegt. Obwohl: In dem kleinen Team ist jeder wichtig.

Maximilian Kruss und Tobias Steinpilz mit dem Experiment, das Ende Juni zur ISS fliegt.
Maximilian Kruss und Tobias Steinpilz mit dem Experiment, das Ende Juni zur ISS fliegt. © Alexandra Roth

Steuern denn die Astronauten den Flug oder allein die Elektronik?

Ich weiß es nicht genau. Aber es gibt sicher ein Notfall-Szenario. Dafür hat man die Menschen ja schließlich an Bord.

Um die Wissenschaft geht’s in der Berichterstattung selten. Dafür mehr um Essen, Training und PR-Termine von „Astro-Alex“.

Stimmt. Darüber haben wir eben beim Mittagessen noch gesprochen. In den Medien geht es in der Tat oft um Banalitäten.

Bedauern Sie das?

Nun ja, die meisten Menschen interessiert es wahrscheinlich nicht, was da im Detail abläuft. Aber klar, als Wissenschaftler finde ich es immer bedauerlich, wenn man das nicht transportieren kann.

Die Vielzahl der Experimente erschwert das vielleicht. Allein Gerst betreut etwa 50.

Ich hoffe, unseres dann auch. Aber das stimmt, die müssen sich in viele Sachen einarbeiten. Von Life Science, wie man das heute nennt, bis in die Physik. Von umrühren bis Schalter drücken. Da muss man schon spezielle Wissenschaftssendungen machen, um das alles rüberzubringen. Aber selbst dann ist es wieder nur ein Aspekt von all den Dingen, die unter Schwerelosigkeit untersucht werden.

ESA Astronaut Alexander Gerst fliegt für ein halbes Jahr zur ISS.
ESA Astronaut Alexander Gerst fliegt für ein halbes Jahr zur ISS. © © BR, bildmanagement@br.de

Was finden Sie persönlich besonders spannend an dieser Mission?

Mir macht das ganze Thema Spaß. Tage und Wochen Schwerelosigkeit, die Erde von oben sehen, das ist schon toll. Wenn ich gefahrlos hochfliegen könnte, wäre ich auch gerne dabei. Vielleicht teile ich dieses Gefühl mit Menschen, die nicht Wissenschaftler sind: Das ist alles so groß da draußen und wir hier so klein.

Für diese Erkenntnis müssen wir nicht ins All fliegen.

Brauchen wir eine Raumstation? Sie soll ja Vorbereitung sein, um auf den Mond, auf den Mars zu gehen. Ich hoffe, dass ich einen dieser nächsten Schritte noch erlebe. Dabei: Wenn man irgendwann auf den Mars geht, ist das nicht unbedingt wissenschaftsgetrieben. Das ginge ja auch alles mit Sonden.

Wir würden also nur hinfliegen, weil wir es können?

Ja. Es ist die Idee – ich gehe dahin, wo noch niemand war.

Eine wissenschaftliche Begründung gibt es nicht?

Grundsätzlich können Menschen mehr ausrichten als eine Maschine, die man vielleicht nicht reparieren kann, wenn sie im All defekt ist. Vielleicht benötigen wir ja irgendwann einen zweiten Planeten, um ihn auszubeuten oder zu besiedeln. Da wäre dann Mars der nächste.

Helfen uns die Ergebnisse der Weltraumforschung auf der Erde?

Nicht zwangsläufig. Wenn man damit Geld verdienen kann, etwa durch Mineralabbau, dann würden sich die Flüge selbst tragen. Klar, wir lernen mehr über unser Sonnensystem. Aber wir können auch ohne sie weiterleben und glücklich sterben. Man wird deshalb immer über den Sinn diskutieren. Ich fände es aber total cool, wenn es weiterginge.

Welche Frage hätten Sie denn gern beantwortet?

Die extrasolare Planeten-Frage finde ich sehr interessant. Wir könnten noch erleben, dass man nach Hinweisen auf Leben auf anderen Planeten sucht und findet. Außerdem viele Details, etwa zur Planeten-Entstehung, die wir untersuchen.

Sitzen Sie heute alle gespannt vor dem Fernseher?

Heute nicht. Ich konnte einmal bei einem Space-Shuttle-Start dabei sein. Das war schon beeindruckend. Mitfiebern werden wir am 29. Juni, wenn die Rakete mit unserem Experiment in Florida startet. Es wird dann etwa einen Monat lang laufen, Experimente bekommen wir täglich. Aber es läuft weitgehend autonom.

Haben Sie Kontakt zu Gerst?

Nein, das organisiert alles die DLR. Wenn er im Januar zurückkommt, dann hoffe ich, dass es ein Treffen gibt.

Würden Sie gern selbst zum Mars fliegen.

Mal eben hin für zwei Wochen Urlaub, das wäre prima. Aber sechs Monate hinfliegen, ein Jahr da und dann zurück – das ist schon lang. Ich hab’ ein glückliches Leben auf der Erde.

>>>>Experiment im All als Werbung für die Physik

„Arise“ heißt das Experiment, mit dem sich die sechsköpfige Physiker-Gruppe der Universität Duisburg-Essen am Überflieger-Wettbewerb des Luft- und Raumfahrtzentrums DLR beteiligt und gewonnen hat.

Mit elektrisch geladenen Glaskügelchen in einer unscheinbaren Box simulieren sie Weltraumstaub-Partikel. Auf der ISS läuft das Experiment einen Monat lang in der Schwerelosigkeit. Glückt es, könnte das dazu beitragen, mehr über die Entstehung von Planeten zu verstehen.

Das ist gute Werbung für studentischen Nachwuchs in der Physik, glaubt Prof. Gerhard Wurm: „Dass wir so etwa machen können, spricht sich herum.“