Duisburg. . Prof. Dr. Dieter Brillert vom UDE-Lehrstuhl für Strömungsmaschinen ist mit neun Partnern beteiligt an einem von der EU geförderten Projekt.
Wie sieht das Kraftwerk der Zukunft aus? Angesichts ehrgeiziger Klimaziele der Europäischen Union und der Energiewende in Deutschland ist das die Eine-Million-Euro-Frage. „Dezentralisierung, Speicherung und Flexibilisierung – das sind die großen Themen“, sagt Prof. Dr. Dieter Brillert, Professor am Lehrstuhl für Strömungsmaschinen der Universität Duisburg-Essen (UDE). Gemeinsam mit neun weiteren europäischen Partnern aus Industrie und Forschung ist er beteiligt am EU-geförderten Projekt „sCO2-Flex“.
Die Idee ist, eine vergleichsweise kleine 25-Megawatt-Anlage (konventionelle Großkraftwerke leisten um 1000 Megawatt) im überkritischen Bereich von Kohlendioxid zu betreiben. Der Begriff „überkritisch“ beschreibt einen vierten Aggregatzustand zwischen fest, flüssig und gasförmig. „Das lässt sich bei jedem Medium durch hohen Druck und eine entsprechende Temperatur einstellen“, erklärt Dieter Brillert. Wasser erreicht unter einem Druck von über 200 bar und 374 Grad Celsius diesen Übergangsbereich, bei Kohlendioxid sind es 31 Grad Celsius und 74 bar Druck. Die Konstrukteure von Turbinen nutzen die besonderen Strömungseigenschaften, die das Medium unter diesen Bedingungen hat. „CO2 hat den Vorteil, dass es im Gegensatz zu anderen Stoffen grundsätzlich nicht giftig ist“, so Brillert. Außerdem sei sein Einsatz im Vergleich zu Wasser effizienter, das erhöht den Wirkungsgrad der Anlagen.
Durch Experimente verstehen lernen
Die Herausforderung bei Kohlendioxid: Es gibt einem Bereich im überkritischen Zustand, da ändern sich die Eigenschaften stark. „Innerhalb weniger Grad ändert sich der Volumenstrom um ein Vielfaches“, erläutert Brillert. „Deshalb versuchen wir nun durch Experimente zu verstehen, wie wir dieses Phänomen beherrschen können.“ Im Forschungszentrum eines tschechischen Projektpartners läuft bereits eine Testanlage, bei der Verdichter, Generator und Turbine auf einer einzigen Welle angebracht sind. Möglicherweise ein Vorbild für künftige, dezentrale Kleinkraftwerke, die zum Einsatz kommen, wenn Wind- und Sonnenstrom nicht ausreichend vorhanden sind. „Die Flexibilität ist umso größer, je kleiner das Bauteil ist – dann lässt sich die Anlage schneller hochfahren.“
Das Funktionsprinzip entspricht auch bei Kohlendioxid dem Dampfkraftwerk: Durch Verbrennung von Kohle oder Gas wird es im Verdichter unter einen Druck von bis zu 200 bar gesetzt, die folgende Entspannung des Mediums treibt den Generator an, der Strom produziert. Davon wird wiederum ein geringer Teil genutzt, um den Verdichter anzutreiben.
Forschung auch für Sicherheitssysteme
Doch nicht nur für die Stromerzeugung, sondern auch für Sicherheitssysteme in Kraftwerken ist die Forschung relevant. In „sCO2--HeRo“, einem weiteren EU-geförderten Projekt, wird ein Kreislauf mit superkritischem C02 entwickelt, der auch dann noch die Wärme aus dem Reaktor abführt, wenn die Stromzufuhr ausfällt. „Es geht darum, Unfällen wie in Fukushima vorzubeugen“, erklärt Brillert, der auch an den entsprechenden Modellversuchen im Essener Zentrum der Gesellschaft für Simulatorschulung (GfS) beteiligt ist.
Triebfeder des EU-Projektes ist hingegen die Effizienz-Forschung mit Blick auf die deutliche Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen bis 2030. „Auch die USA investieren rund 200 Millionen Dollar in drei Projekte“, berichtet Brillert, „wir denken schon lange über andere Medien wie Kohlendioxid nach, doch jetzt gewinnt das Thema an Dynamik.“
Bestehende Kraftwerke lassen sich nicht umrüsten
Das System mit überkritischem Kohlendioxid ist für Kohle- ebenso wie für Solar- und Biomassekraftwerke. Die Vorteile: Die Anlagen lassen sich schnell hoch- und runterfahren, und ihre Last kann flexibel angepasst werden. Nachteil: Bestehende Kraftwerke lassen sich nicht nachrüsten.
Der Kraftwerksbau werde international unterschiedlich verlaufen, glaubt Prof. Dr. Dieter Brillert. Während in Deutschland vermutlich kleine, dezentrale Anlagen mittelfristig die primäre Versorgung durch Windstrom und regenerative Energien ergänzen werden, setzen viele andere Staaten weiterhin auf fossile Brennstoffe und den Neubau von Kernkraftwerken. „Viele schauen aber auch auf Deutschland – wenn die Energiewende hier gelingt, werden sie das kopieren“, glaubt der studierte Maschinenbauer, der vor vier Jahren von Siemens an den UDE-Lehrstuhl für Strömungsmaschinen wechselte.