Duisburg. . Die Redaktion sprach mit Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin, über das Kopftuch im Allgemeinen und im speziellen Konfliktfall in Hamborn.
Das Kopftuch und der Islam, wie hängt das zusammen? Nach der leidenschaftlichen Debatte im Dezember um die Mutter, die beim Verein BSF Hamborn 07 Top fit mit ihren Töchtern keinen Eintritt fand, weil sie ein Kopftuch trug (wir berichteten), sprachen wir mit Lamya Kaddor, Religionspädagogin, Publizistin, Islamwissenschaftlerin und Forschungsleiterin an der Universität Duisburg-Essen:
NRZ: Was hat das Kopftuch mit Religion zu tun?
Lamya Kaddor: Man kann aus unterschiedlichen Passagen des Korans eine bestimmte Kleiderordnung interpretieren. Und dazu gehört auch eine Bedeckung des weiblichen Hauptes und der Brust. Ein wörtliches Kopftuchgebot kann man aus dem Koran nicht ableiten. Sinngemäß lässt sich aus der Sure 33 Vers 59 eine bestimmte Kleiderordnung für Mann und Frau interpretieren. Gläubige Frauen sollen einen Teil ihres Überwurfes über sich ziehen. Ziel ist es dass sie am Ende als ehrbare Frau erkannt werden und geschützt sind.
Kann man also auch ohne Kopftuch eine gute Muslima sein?
Aber ganz selbstverständlich kann man auch ohne Kopftuch eine gute Muslima sein! Aber man kann eben eine genauso gute Muslima mit Kopftuch sein. Das ist letztendlich eine Frage der individuellen Auslegung und Lebensgestaltung des Individuums.
Ist es für eine gläubige Muslima möglich und zumutbar anlassbezogen das Kopftuch zu tragen?
Na ja, das ist halt immer eine Frage der Abwägung für die betroffene Person selbst. Gewohnheit ist zum Beispiel ein wichtiger Faktor: Wenn sie jahrelang ein Kopftuch getragen haben, und sich die Trägerin überhaupt nicht vorstellen kann ohne das Kopftuch auf die Straße zu gehen, weil sie sich dann gewissermaßen nackt fühlt - dann ist das schwierig. Ein wichtiger Faktor. Selbst wenn die Ratio in bestimmtem Kontext gegen das Kopftuch sprechen würde, Arbeitnehmerverhältnisse oder wie auch immer, fällt es diesen Frauen schwer, sich von bestimmten Gewohnheiten plötzlich zu lösen nur weil sie dann akzeptiert werden würden. Die Frauen befinden sich häufig in einer klassischen Dilemma-Situation: Einerseits verstehen sie, warum es in bestimmten Situationen einfacher für sie wäre, wenn sie das Kopftuch ablegen würden; andererseits glauben sie, dass sie dadurch ihre Religion verraten würden, nur weil sie etwa in ein Fitness-Studio wollen und dafür das Kopftuch ablegen und damit einen Wert ablegen, den sie 10 oder 15 Jahre lang hoch gehalten haben. Das hat für sie - nicht für mich - etwas mit Verrat zu tun.
Religiös, theologisch gesehen, gibt es da sehr viel mehr Spielraum. In der Theologie gibt es ganze Abhandlungen darüber, dass man in einem nicht-muslimischen Umfeld, zum Beispiel beim Arbeitgeber, wo es möglicherweise zu heftigen Konflikten kommen würde, durchaus erlaubt und toleriert ist, dort ihr Kopftuch abzulegen. Selbstverständlich ist das möglich. Ich kenne Frauen, die das machen, die gehen ohne Kopfbedeckung zur Arbeit und privat ziehen sie sie wieder auf. Ich will nicht sagen, dass sie sich damit gut fühlen. Aber sie gehen den Kompromiss ein und sagen, meine Arbeit steht höher als mein Prinzip, oder vielleicht als meine Furcht, angefeindet zu werden, weil sie ein Kopftuch tragen.
Mit Blick auf den konkreten Fall, das Fitness-Studio in Hamborn: Würden Sie dem Verein einen Vorwurf machen mit seinem Verhalten gegenüber der jungen Frau?
Natürlich hat jeder Verein das Recht für sich festzulegen, welche Regularien er trifft, wie er was bestimmen will. Ich finde aber schon, dass jeder deutsche Verein an das Grundgesetz angelehnt sein sollte. Religionsfreiheit ist ein hohes Gut in der Gesellschaft, auch wenn immer weniger Menschen religiös sind.
Und diese Religionsfreiheit sahen Sie in diesem Fall berührt?
In dem Moment zeigte sich schon eine gewisse Unbeweglichkeit des Vereines. Es gibt inzwischen Kopfbedeckungen in allen sportlichen und textilen Varianten, ohne Nadeln am Kopf zu tragen, sicher für alle Sportarten und den Sportunterricht. Selbst in dieser Hinsicht hätte man durchaus einen Kompromiss suchen können. Das Verhalten des Vereines spricht daher doch eher für eine kritische Haltung Muslimen gegenüber. Man verhält sich starr und sucht nicht nach einem Kompromiss. Ich wünschte mir da mehr Beweglichkeit seitens dieses Vereines Wir leben in einer diversen und heterogenen Gesellschaft, die an Diversität immer mehr zunehmen wird. Wir müssen uns auf die Herausforderung des steten gesellschaftlichen Wandels einstellen. Und ich sage ja nicht, dass nur eine Seite Kompromisse eingehen muss . .. .
Sondern?
Weder die eine Seite noch die andere Seite kann da auf einer Position verharren. Nur so kann ein Zusammenleben gelingen.