Duisburg. . Sechs Stationen, zwei Tageskliniken, zwei Ambulanzen, eine Philosophie: Dr. Simon Cohen und Dr. Vitus Irrgang leiten die Psychiatrie

Mit der Inbetriebnahme der Helios Marienklinik in Hochfeld ist die gerontopsychiatrische Abteilung aus der St. Vinzenz-Klinik ebenfalls an die Grunewaldstraße unter ein gemeinsames Dach gezogen. Chefarzt Dr. Simon Cohen (53), der vor einem Jahr nach Duisburg kam, hat nun Verstärkung bekommen. Aus Bayern kommt Dr. Vitus Irrgang (67), der einen neuen Schwerpunkt für Essstörungen einrichtet. Im WAZ-Interview äußern sich die beiden Psychiater über die künftige Ausrichtung des Hauses.

Wie läuft’s im neuen Haus neun Monate nach dem Einzug?

Dr. Simon Cohen: Es gab kleine Anpassungsschwierigkeiten, aber jetzt können wir auch den Garten für unsere geschlossene Station nutzen, der erst noch Baustraße war.

Was hat sich geändert?

Wir haben in der Psychiatrie einen schützenden Auftrag – etwa für Menschen, die die Polizei uns bringt – und den kurativen Auftrag, Leute zu behandeln. Letzters ließ sich in den alten Häusern gut erledigen. Es gibt nun einen sehr patientenorientierten Neubau. Das ist gut. Wenn jemand eingesperrt ist, ist es ein Unterschied, ob er bestenfalls auf einen Hof sehen kann, oder wie jetzt von der geschützten Station in den Garten blickt. Psychiatrie heißt für mich: Wir schützen Menschen, aber ich sperre sie ungern ein. Es soll so angenehm wie möglich sein.

Wen behandeln sie in der Geronto-psychatrie?

Das sind Patienten, die in einem Altenheim nicht mehr führbar sind, weil sie für sich oder andere eine Gefahr sind. Auch sie können im Neubau jetzt raus in den Garten.

Wie lang bleiben ihre Patienten?

Im Durchschnitt 25 Tage lang. Einige nur wenige Tage wegen einer Krise, andere mit einer akuten Psychose auch deutlich länger, wenn sie zunächst auf einer geschützten Station sind, dann auf die offenen Station in die Tagesklinik wechseln.

Die Gerontopsychiatrie ist für ganz Duisburg zuständig. Bleibt das so?

Ja, aber nur zwei von sechs Stationen halten wir dafür vor. Eine weitere ist für Sucht, eine für Psychotherapie, eine für Psychosen in einem stabilen Zustand und eine ist eine geschlossene Akutstation.

Gleichzeitig sind Sie auch näher an die anderen Disziplinen gerückt.

Ja. Vor allem die Zusammenarbeit mit den Internisten und den Geriatern ist Gold wert. Die Zusammenarbeit der Ambulanzen hat sich mittlerweile eingespielt.

Nach einem Jahr in Duisburg: Nehmen Sie bestimmte Charakterzüge bei den Menschen wahr?

Ich komme aus Mannheim, war auch in St. Pauli tätig. Auch Hafenstädte. Da ist man oft dickköpfig, wenn man was erreichen will. Ich fühle mich hier sehr wohl. Gern direkt und klare Preise – das entspricht auch meiner eigenen Art.

Was ist Ihnen wichtig?

Den Menschen ernst zu nehmen, ihn als ganzes zu sehen, nicht als Falldiagnose. Das Wort Therapeut bedeutet im griechischen soviel wie Wagenlenker. Es reicht nicht zu sagen, jetzt schlucken wir eine Pille und sich zusammenzureißen. Ich muss Menschen begleiten.

Ein Bayer kommt ins Ruhrgebiet

Als neuer Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie bringt Dr. Vitus Irrgang seinen Schwerpunkt Essstörungen. Der Wechsel eines 67-jährigen Bayern, der in München am Max-Planck-Institut forschte und Chefarzt in Freyung war, ist nicht alltäglich in Duisburg.

Bayern oder 1860 München?

Irrgang: 1860 – mit Leib und Seele.Ich bin Fußballfan, und lerne hier gerade viel über die Ruhrgebietsvereine und muss unbedingt bald zum MSV, vom Dellviertel, wo ich wohne, ist es nicht weit.

Was treibt Sie her?

Ich war froh, endlich aus Bayern rauszukommen, wo ich fast mein gesamtes Berufsleben verbracht habe. Das ist hier spannend für mich,weil alles anders ist. Ich war dort eher in einem ländlichen Umfeld tätig. Die Anfrage von Helios war deshalb spannend, weil sie meine drei Bedingungen erfüllte: die Möglichkeit, meinen Schwerpunkt Essstörungen neu zu etablieren, eine Akutpsychosomatik, die ich dazu brauche und die Nähe zu den anderen Disziplinen. Entschieden habe ich mich letztlich für Duisburg, weil ich mich mit Dr. Cohen auf Anhieb bestens verstanden habe.

Und die Essstörungen?

Damit beschäftige ich mich seit 38 Jahren, seit meiner Zeit an der Uni München und am Max-Planck-Institut. Wenn sich hier die Psychosomatik aus der Psychiatrie herauslösen soll, dann müssen wir uns verstehen. Wir haben die gleiche Therapie-Philosophie und kommen beide aus der Psychologie. Wir wollen unseren chronisch kranken Patienten Wege aufzeigen, um mit Leid umzugehen, einen Sinn zu finden.

Was fasziniert Sie an der Behandlung von Essgestörten?

Das sind ja oft junge Frauen aus gutem Hause, deren Leben fremdbestimmt ist. Essen ist das Letzte, das sie selbst bestimmen können – das machen sie, indem sie nicht essen. Behandlung wird deshalb oft nicht als Hilfe, sondern als Einmischung verstanden. Mich fasziniert, dass es da um Beziehungen, um Emotionen geht. Sie sind zutiefst an Essen gekoppelt. Es die psychosomatische Krankheit, bei der Körper und Seele engstens verschränkt sind.