Duisburg. . Barbara Schmitz, Rainer Kaspers und Dirk R. Schuchardt kümmern sich als christliche und freie Trauerredner um die letzte Würdigung der Toten.
Viele Tage im November sind den Toten und der Trauer der Hinterbliebenen gewidmet. Doch wie findet man tröstende Worte, wenn es eigentlich nichts mehr und doch noch so viel zu sagen gibt? Barbara Schmitz, Rainer Kaspers und Dirk R. Schuchardt befassen sich als ehrenamtliche Beerdigungsleiter, Pfarrer und freie Trauerredner das ganze Jahr über mit dem Abschiednehmen. Im Gespräch tauschen sie sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Arbeit aus und erklären, warum Rituale für den Abschied so wichtig sind.
Was unterscheidet eine katholische von einer evangelischen und von einer freien Beerdigung?
Barbara Schmitz: In der katholischen Kirche gibt es im Gegensatz zur evangelischen eine Messe mit Eucharistiefeier, die aber immer weniger nachgefragt ist. Das liegt sicher am abnehmenden Bezug zu den Ritualen der Kirche. In dieser stehen Tod und Auferstehung im Mittelpunkt und auch das Leben des Verstorbenen wird beleuchtet.
Rainer Kaspers: In der evangelischen Trauerfeier steht der Verstorbene selbst und die Trauer der Hinterbliebenen im Mittelpunkt. Die Würdigung des Lebens und die Begleitung der Angehörigen in Gesprächen sowohl vor und nach der Beerdigung ist besonders wichtig. Mit der Trauerfeier sollte die Begleitung nicht vorbei sein. Etwa 20 bis 30 Prozent der Leute trifft man danach noch zum Gespräch.
Dirk R. Schuchardt: Auf kirchlichen Trauerfeiern wird immer der Bogen zu Gott gespannt. Das ist bei freien Zeremonien nicht so. Der Verstorbene, sein Leben, sein Charakter stehen im Mittelpunkt. Die freie Zeremonie steht nicht in Konkurrenz zur kirchlichen.
Welche Rituale spielen übergreifend eine Rolle?
Kaspers: Der Wunsch wird generell stärker, Musik einzubinden. Das geht von La Montanara bis zu Heavy Metal. Ich habe damit kein Problem. Aber das ist von Seelsorger zu Seelsorger anders.
Schuchardt: Gesungen wird selten. Im Mittelpunkt stehen eher weltliche Lieder – hier führt „Time to say Goodbye“ die Hitliste an und auch „Highway to hell“ wurde schon gespielt. Es gibt aber auch den Wunsch nach kirchlichen Liedern, „Von Guten Mächten“ wird häufig angefragt. Und auch auf freien Beerdigungen wird das „Vater unser“ gebetet. Zum Standard geworden ist mittlerweile das Foto des Verstorbenen neben Sarg oder Urne.
Wie haben sich die Rituale auf Beerdigungen verändert?
Schuchardt: Alles wird individueller. Es gibt zum Beispiel das Ritual der Lichtersonne. Aus gelber Pappe werden Sonnenstrahlen ausgeschnitten, auf die Angehörige ihre Gedanken und Gefühle schreiben. Am Ende der Trauerfeier werden die Strahlen rund um die Urne zur Sonne gelegt. Die ganze Gemeinde steht dann im Kreis um die Urne und nimmt den Verstorbenen ein letztes Mal in ihre Mitte. Solche Mitmach-Aktionen kommen gut an.
Kaspers: Oft gibt es Videopräsentationen und auch eigene Reden. Bestatter greifen den Trend auf, bauen Berglandschaften für den Wanderer auf, legen MSV-Schals für den Fußballfan oder Stahlstücke für den Arbeiter aus.
Wie hat sich die Trauerkultur aus Ihrer Sicht gewandelt?
Kaspers: Es kommt vor, dass Leute überhaupt keine Trauerfeier mehr halten – das sind wachsende Zahlen. Im Seniorenkreis gibt es Menschen, die waren aktiv in der Gemeinde und verschwinden plötzlich. Wenn man dann bei Verwandten nachfragt, hört man: Es hat gar keine Feier stattgefunden. Da wird nicht mehr respektiert, dass dieser Mensch gelebt hat. Bestatter sprechen von etwa einer Beerdigung pro Monat, bei der überhaupt nichts stattfindet, also komplett ohne Trauerredner oder Angehörige. Es gibt Beerdigungen, auf denen der Bestatter und ich die einzigen Gäste sind. Wo der Verstorbene zwar festgelegt hat, dass er sich eine evangelische Beerdigungsfeier wünscht, die Angehörigen aber nicht gekommen sind, weil sie keine Zeit hatten.
Schmitz: Viele werden dann anonym beerdigt und keiner bekommt das mit.
Schuchardt: Der Trend geht ohnehin zu anonymen Beisetzungen. Die Masse ist mittlerweile in der Urne, etwa Zweidrittel sind Urnenbestattungen. Der pompöse Sarg ist selten geworden. Die Motivation zur anonymen Beisetzung ist für mich aber nachvollziehbar, da viele Menschen weit auseinanderleben, die Zeit zur Grabpflege fehlt.
Kaspers: Für mich ist die Motivation nicht nachvollziehbar. Natürlich gibt es Familien, die zerstritten sind. Oft ist es aber auch so, dass die Leute sich nicht mehr die Zeit nehmen wollen. Das hat mit einem kulturellen Verlust zu tun, aber auch mit der Weigerung vieler Menschen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Denn eine Trauerfeier ist auch ein Ort, an dem man dem Tod mitten im Leben begegnet – das ist für viele unangenehm.
Was ist überhaupt so wichtig daran, Zeremonien und Rituale zu haben?
Schuchardt: Wenn man einen Menschen verliert, ist man orientierungslos. Eine Trauerfeier gibt Halt. Viele begeben sich dann erst wieder zurück in die christlichen Rituale. Weil man sie aus der Kindheit kennt, weil sie Rahmen und Orientierung geben. Diese Rituale sind Teil des Trauerprozesses., der eigentlich schon mit dem Aufbahren des Verstorbenen anfängt. Vor 100 Jahren wurde man zu Hause geboren und ist auch dort gestorben – das war völlig normal. Heute ist alles ausgelagert: Es nimmt sich keiner mehr Zeit, sich an der Leiche zu verabschieden. Dabei macht das den Tod begreifbar. Das sollten wir uns zurückholen.
Kaspers: In dem Moment, in dem ein Mensch stirbt, ist er nicht mehr er selber, dann besteht nur noch die Hülle. Wenn wir uns dieser Erfahrung berauben, geht uns etwas Elementares verloren. Schade, dass Bestatter dafür missbraucht werden, die Verstorben so schnell wie möglich aus der Wohnung zu entsorgen – ein großer Verlust.
Wie erleben Sie selbst eine Beerdigung?
Schmitz: Ich stehe so unter Strom bei Beerdigungen, dass ich dann persönliche Gefühle kaum an mich heranlasse. Es beschäftigt mich schon, jedoch muss ich am Grab für mich einen Schnitt machen, sonst kann ich meinen Alltag nicht mehr leben. Meine Aufgabe ist es, stark zu sein, um die Angehörigen durch die letzte Stunde zu begleiten.
Kaspers: Ohne meinen Glauben könnte ich den Job nicht machen. Wenn man aber daran glaubt, dass kein Leben tiefer fällt als in Gottes Hand, hat man viel gewonnen.
Schuchardt: Die Kunst ist, mitzufühlen, aber keinesfalls mitzuleiden. Einmal habe ich einen 23 Wochen alten Säugling beigesetzt – das streift man nicht einfach ab. Überhaupt bleibt die Tätigkeit als Trauerredner nicht ohne Einfluss auf mich selbst. Dadurch, dass ich erfahre, wie Menschen gestorben sind, lässt mich das jede Sekunde des eigenen Lebens wertvoller wahrnehmen. Weil ich im Bewusstsein lebe, dass morgen alles anders sein kann.
Hat sich die Art zu Trauern an sich verändert?
Rainer Kaspers: Aus meiner Erfahrung nicht, denn jeder trauert sehr persönlich. Aber die Trauerfeier ist ein erster Schritt der Trauerarbeit. Natürlich sind die Fälle schwieriger, in den Kinder oder junge Menschen sterben. Da kann es sein, dass Trauerarbeit über mehrere Jahre andauert, viel Seelsorge nötig ist. Ein Problem ist dabei, dass die Angebotsstruktur ein Stück weit wegbricht. Von staatlicher Seite wird zu wenig dafür gesorgt, dass die Arbeit der Seelsorger refinanziert wird für Leute, die nicht in der Kirche sind. Etwa, was den psychosozialen Dienst betrifft. Und in der Kirche werden auch nicht mehr Seelsorger eingestellt. So haben die Menschen zunehmend das Gefühl, mit ihrer Trauer allein gelassen zu werden. Die wenigen Ehrenamtler, die wir haben, können das kaum auffangen.
Wie würden Sie Ihre eigene Beerdigung gestalten?
Dirk R. Schuchardt: Da mache ich mir keine Gedanken drüber. Ich vertraue darauf, das meine Angehörigen es nach ihren Wünschen gestalten und für sich einen guten Abschied finden.
Rainer Kaspers: Auch ich überlasse es meiner Familie, wie sie die Trauerfeier gestalten. Wichtig ist mir nur, dass der kirchliche Kontext vorhanden ist.
Barbara Schmitz: Der christliche Rahmen ist auch für mich wichtig. Und am Ende sollten alle ein Glas Rotwein auf mich trinken. Mir ist es wichtig, dass man sich an die schönen, lustigen Momente erinnert. Schließlich sind Trauerfeiern nicht nur ein Ort, an dem geweint, sondern auch gelacht werden darf.