Duisburg. Seit zehn Monaten sitzt ein kleiner Junge aus Duisburg im Libanon fest, weil er nicht die richtigen Papiere hat. Jetzt gibt es wieder Hoffnung.

Eine 27-jährige Duisburgerin fliegt im Dezember 2016 zu einer Trauerfeier in den Libanon. Die Mutter ihres Lebensgefährten war gestorben, er selbst bekam keinen Urlaub und blieb in Deutschland. Mit dabei: ihr kleiner Sohn Mohammed Issa, zum Zeitpunkt der Reise ein Jahr alt. Einige Wochen später, am 16. Januar, wollen die beiden wieder zurück nach Deutschland reisen. Bei der Passkontrolle gibt es Probleme. Ein Beamter der deutschen Botschaft teilt Bedriye Bana, die wie ihr Sohn die türkische Staatsangehörigkeit hat, am Flughafen in Beirut mit, dass es Schwierigkeiten mit den Ausweispapieren gibt. Die Ausreise wird allerdings nicht der 27-Jährigen, sondern ihrem kleinen Sohn verweigert. Er muss im Libanon bleiben, dem Heimatland seines Vaters. Datum der Rückreise: Völlig unklar.

Den Kontakt zu Mohammed hält die Familie im Moment nur über Videoanrufe.
Den Kontakt zu Mohammed hält die Familie im Moment nur über Videoanrufe. © Stephan Eickershoff

Seitdem sind mittlerweile fast zehn Monate vergangen. Zwei Anträge auf Wiedereinreise des Kindes lehnte die Botschaft bereits ab. Und noch immer ist das Kinderbett in Mohammeds Zimmer in der Wohnung an der Gertrudenstraße in Marxloh leer. Das Einzige, was seine Familie im Moment von dem kleinen Jungen hat, sind ein paar ruckelige Bilder über das Smartphone der Eltern. Mohammed lebt bei seiner Tante in Saida, einer Stadt am Mittelmeer, südlich der Hauptstadt Beirut. Dass sie ihren Sohn im Libanon zurücklassen musste, lässt seiner Mutter keine Ruhe. Sie hat Albträume, Angst vor der ungewissen Zukunft ihrer Familie.

Juristisches Hin und Her um den Aufenthalt

"Die Situation ist unglaublich schwer für mich. Als ich meinen Sohn im Libanon zurücklassen musste, ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Jetzt sehe ich ihn nur noch auf dem Bildschirm, kann nicht zu ihm", sagt die junge Frau, die derzeit in Deutschland nur geduldet ist. Sie selbst könnte mit ihrem Aufenthaltsstatus nach einem Flug in den Libanon nicht mehr zurück. Ihr Lebensgefährte, der Vater des Jungen, flog im Sommer für einige Wochen zu seinem Sohn. Weitere Besuche scheiterten bislang an den begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Familie. Die Verweigerung der Einreise des kleinen Jungen nach Deutschland ist der vorläufige Höhepunkt von etwas, das zumindest von außen aussieht wie ein juristisches Hin und Her.

Bedriye Bana kam im Alter von sechs Jahren nach Deutschland. Ihre Familie stammt ursprünglich aus Mardin, einer Stadt in der Südosttürkei, nur rund 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Seit Jahrzehnten kommt es in dem Gebiet immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Militär. Das führte vor allem in den 1980er und 1990er Jahren zu einer Auswanderungswelle in der Region. Christen und Kurden zog es nach Europa. Und auch Familie Bana wanderte nach Essen aus. Seitdem hofft die junge Frau auf die Bewilligung eines unbefristeten Aufenthalts in Deutschland.

Sohn sitzt seit zehn Monaten im Libanon fest

Stattdessen hangelt sie sich seit über 20 Jahren durch Duldungen und befristete Aufenthaltserlaubnisse. Zum Zeitpunkt ihrer Reise in den Libanon hatte sie noch eine Aufenthaltserlaubnis, das hat sich aber mittlerweile wieder geändert. Neben ihrem Sohn Mohammed bekam die junge Frau zwei Töchter. Zahraa (6) besucht in Duisburg die erste Schulklasse, Donya (5) geht in den Kindergarten. Auch sie sind in Deutschland nur geduldet. "Das ist kein Einzellfall. Diese Verfahren ziehen sich teilweise über viele Jahre, was natürlich unglaublich unbefriedigend für die Betroffenen ist. Deshalb fordern viele Parteien seit Jahren eine Überarbeitung der Asylgesetzgebung in Deutschland", sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg.

Auch seine sechsjährige Schwester Zahraa leidet unter der Entfernung zu ihrem kleinen Bruder.
Auch seine sechsjährige Schwester Zahraa leidet unter der Entfernung zu ihrem kleinen Bruder. © Stephan Eickershoff

Kurz nach der Geburt ihres Sohnes hatte Bedriye Bana bei der Duisburger Ausländerbehörde dann auch für den Jungen eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Stattdessen gab es aber nur eine Fiktionsbescheinigung, so etwas wie einen vorläufigen Aufenthaltstitel bis zur Klärung des Falles. Die Stadt Duisburg begründet das auf Anfrage dieser Zeitung zum einen damit, dass die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels war. Zum anderen hätte die Mutter seit der Geburt keinen gültigen Nationalpass des Kindes vorgelegt. Den zweiten Punkt bestreitet die Duisburgerin.

Angst vor der politischen Lage im Libanon

Sie habe der Ausländerbehörde sehr wohl den Pass ihres Sohnes vorgelegt. Trotzdem bekam er nur eine Fiktionsbescheinigung. Und die hat einen Nebeneffekt, der dem kleinen Mohammed Issa am Flughafen in Beirut zum Verhängnis werden sollte. "Ist ein Mensch in Deutschland geboren, der aber noch nie eine Aufenthaltserlaubnis hatte, darf er in Deutschland bleiben. Er darf aber nach einer Ausreise nicht wieder einreisen", sagt Banas Anwalt Joachim Schürmann. Die Mutter hätte also, so die Begründung der Stadt Duisburg, vor ihrer Abreise nachfragen müssen, ob eine Ausreise mit ihrem Sohn überhaupt möglich ist. Das hat sie nicht getan. Das Ergebnis dieses Fehlers: Mohammed Issa sitzt seit mittlerweile zehn Monaten im Libanon fest. Und das sind nicht die einzigen Probleme der Familie.

Im März wurde der von der 27-Jährigen gestellte Antrag auf eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Die Behörden trauten ihr nicht zu, aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Und auch ihr Lebensgefährte kann die Familie nicht versorgen. Der jungen Frau droht die Abschiebung in die Türkei, mitsamt ihrer beiden Töchter. Dem jüngsten Sprössling der Familie geht es im Libanon überhaupt nicht gut.

Hoffnung liegt in neuer Vollzeitstelle

"Mohammed musste wegen gesundheitlicher Probleme zum Arzt. Außerdem hat er viele Albträume, schreckt nachts sehr häufig auf und ruft dann nach seiner Mutter", erzählt Bedriye Bana. Auch die politische Lage im Libanon bereitet der jungen Mutter schlaflose Nächte. "Das libanesische Militär kämpft an der Grenze mit dem IS. Außerdem hat er ja wie ich die türkische Staatsangehörigkeit. Entführungen von ausländischen Kindern gibt es im Libanon sehr häufig, deshalb traut sich auch meine Tante kaum mit ihm in die Öffentlichkeit." Ihre ganze Hoffnung legt die junge Frau jetzt in ihren Job.

Seit einem Monat hat die 27-Jährige eine Vollzeitstelle, wird in wenigen Tagen ihre erste Gehaltsabrechnung bekommen. "Durch ihren Job sieht die Situation nun in der Tat anders aus. Wir werden den Fall jetzt neu bewerten und dabei auch versuchen, eine Lösung für ihren kleinen Sohn zu finden", sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Und auch Banas Anwalt, Joachim Schürmann, sieht eine gute Chance, dass nun wieder Bewegung in den Fall kommen könnte. Auch wenn er die bisherige Vorgehensweise der Stadt Duisburg mehr als kritisch betrachtet. "Klar ist, dass Bedriye Bana einen Fehler gemacht hat. Aus rein humanitären Gründen hätte die Stadt aber einem Visum zustimmen müssen. Das hat sie nicht gemacht. Und das macht mich noch immer fassungslos." Bedriye Bana ist die Diskussionen rund um ihren Fall leid. Sie hat nur einen Wunsch: "Ich will einfach nur mein Kind zurück. Der Rest ist mir egal."