Duisburg. . Der Regisseur hat lange gewartet, bis er sich an Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gemacht hat. Er fand nicht die nötige „Reibungsfläche“.
Dietrich W. Hilsdorf ist einer der renommiertesten deutschen Regisseure. An der Deutschen Oper am Rhein inszenierte er nach Puccinis „Tosca“ und „Il trittico“ 2014/15 mit „Ariadne auf Naxos“ seine 150. Regiearbeit und zugleich seine erste Strauss-Interpretation. In der Spielzeit 2015/16 folgt „Die lustigen Weiber von Windsor“. Mit seinem Bühnenbildner Dieter Richter und Kostümbildnerin Renate Schmitzer stellt er sich nun zum ersten Mal der Herausforderung, den gesamten „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner zu inszenieren. Die musikalische Leitung hat Rheinopern-Generalmusikdirektor Axel Kober. Der erste Teil des vierteiligen Zyklus, „Das Rheingold“, hatte im Juni in Düsseldorf Premiere und kommt im November nach Duisburg. Anne Horstmeier sprach mit dem Regisseur über das Mammutwerk.
Herr Hilsdorf, Sie haben lange gewartet, bis Sie sich an den kompletten „Ring“ gemacht haben. Warum?
Ich habe zweimal den „Ring“ angeboten bekommen, aber bei Wagner gibt es ein spezielles Problem. Bei meinen Inszenierungen suche ich immer eine Reibungsfläche mit dem Urtext – von Shakespeare, Schiller, Puschkin – denn die Komponisten machen immer einen Schritt zur Seite, da bleibt oft vom Stück nicht viel übrig. Einen solchen Urtext, an dem man sich reiben könnte, gibt es bei Wagner nicht, er hat den Text ja selbst geschrieben. Das schmort mir zu sehr im eigenen Saft.
Und was hat sie dazu gebracht, es jetzt anzugehen?
Die „Walküre“ in Essen – dieses Frauenbild ist so was von unerträglich, dass ich dachte: Jetzt will ich doch mal gerne diese ganze Geschichte erzählen, die im wesentlichen Wotans Geschichte ist, denn er hat alles geplant und angerichtet. Ich mache viel mit Axel Kober, und als die Rheinoper einen Regisseur für eine Neuinszenierung suchte, habe ich die Hand gehoben. Es war eine langsame Annäherung, und die dauert noch an.
Richard Wagner und seine Musik sind ihnen unsympathisch. Hat das die Arbeit einfacher oder schwieriger gemacht?
Auch Verdi war unerträglich. Ich bin manchmal auch unerträglich. Aber der kleine hässliche Sachse Wagner hat in seinem Werk auf Persönliches reagiert. Weil seine erste Frau ein halbes Jahr nach der Hochzeit fremd gegangen und mit ihrem Liebhaber abgehauen ist, hat Wagner sein Leben lang Stücke um gute und böse Frauen gemacht. Die gute Frau ist die, die ihm gut tut und ihn erlöst. Alles ist vorbestimmt, es ist furchtbar, alle wissen schon immer alles und haben das für mein Leben entschieden. Er hat über Mythen geschrieben und sich selbst zum Mythos gemacht. Der Feind des Mythos ist die Recherche. Dazu brauchten wir viel Geduld. Und sind auf Emile Zola gekommen.
Wieso den französischen Romancier?
Er bietet genau diese Reibungsfläche, die ich immer suche und bei Wagner nicht zu holen ist. Zola beschreibt das 19. Jahrhundert, zum Beispiel die Arbeit im Bergbau, und das bürgerliche Leben. Und wir haben uns an den Collagen von Max Ernst orientiert, seine Illustrationen für Romane genommen, da hat er Motive zerschnitten und neu zusammengesetzt. Wir wollen Dinge gegeneinander setzen. Zola und Max Ernst waren unsere Reibungsflächen.
Glauben Sie, dass Wagner darunter litt, ein kleiner Mann zu sein?
Er ist mit seiner Musik groß geworden. Wobei die Leitmotivtechnik banal ist. Und er behauptet, dass er die Tonart Es-Dur, in der das Rheingold beginnt, nach einer langen Wanderung im Zustand starker Erschöpfung gehört habe, wie eine Eingebung. So einen Mist erzählt nur Wagner. Ich habe mit dem „Ring“ von Patrice Chéreaud und George Bernard Shaws Aufsatz über den „Ring“ gelernt. In meiner Inszenierung tritt am Anfang Loge vor den Vorhang und zitiert den Juden Heinrich Heine. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, was soll es bedeuten, Es?“ Da weiß man sofort, wo es spielt, am Rhein, wo Nixen Männer töten – und es weist auf die 136 ersten Takte in Es-Dur.
Es hat nach der Premiere von „Rheingold“ in Düsseldorf Buhs gegeben, hat Sie das überrascht?
Ich kenne das Geräusch sehr gut, aber mit dieser Breitseite habe ich nicht gerechnet. Ich dachte, es wird kompatibel. Ein leichtes, gutes, richtiges Vorspiel. Es hat mich überrascht, dass das nicht so angekommen ist. Viele haben mir aber gesagt, es sei das schönste „Rheingold“ ihres Lebens gewesen. Ich wollte erst bei „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ die Daumenschrauben anlegen, im „Rheingold“ noch nicht. Aber es läuft gut, wir sind glücklich und die Kasse auch. Düsseldorf war schnell ausverkauft, und es wurde bereits auf die Duisburger Vorstellungen verwiesen.
Wird etwas in Duisburg anders als in Düsseldorf?
Es gibt eine neue Besetzung, die wahrlich keine B-Besetzung ist, zum Beispiel singt Raymond Very den Loge. Und das Orchester ist besser.
Großer Beifall und viele Buhs für Hilsdorf
Im „Rheingold“ wird die Katastrophe angerührt, die dann in der „Götterdämmerung“ gipfelt. Der kurzweiligste Abend des Vierteilers hat das Düsseldorfer Premierenpublikum gespalten – es gab großen Beifall und viele Buhs für Dietrich W. Hilsdorf.
Auch bei den Kritikern fand der Abend ein geteiltes Echo. In dieser Zeitung schrieb Lars Ludwig von der Gönna: „Doch Hilsdorf, auf dessen Konto im „Rheingold“ durchaus Längen und Löcher gehen, hat zugleich schönste Zaubermomente, lässt auch den abgeklärtesten Wagnerianer Figuren neu sehen.“ Und weiter: „Es gibt Leerlauf, aber zum Ende hin auch viel Packendes. Etwas mehr Mut und Klarheit könnte dieser Ring aushalten.“
Einige sind begeistert, andere verhalten
Fazit von Peter Jungblut im Bayerischen Rundfunk: „Ein vielversprechender Ring-Auftakt in Düsseldorf: Umstritten und nachdenklich.“ Er hatte zuvor gelobt, dass Hilsdorf sowohl Wagners Antisemitismus thematisiert als auch die bürgerlichen Abgründe ausleuchtet und Kapitalismuskritik übt. „Politisch also eine fordernde, brisante, teils provokante Inszenierung mit überraschend wenig Ironie.“
Ulrike Gondorf vom Deutschlandfunk Kultur war ganz eindeutig begeistert: „Der Eröffnungscoup ist dem Regisseur Dietrich Hilsdorf gelungen.“ Er schere sich „erfrischend überhaupt nicht um all die Erwartungen, die mit diesem Mount Everest des Musiktheaters verbunden sind. Deutsch? Politisch? Raunend mythologisch? Kritisch und theorielastig? Hilsdorfs Antwort ist so verblüffend wie vielschichtig: Theater.“
Und weiter sieht sie in der Inszenierung „eine Übersetzung, eine Aufführung, die weder eine Realität schaffen will noch assoziativ-interpretierende Bilder, sondern Spielsituationen, in denen all die Fragen nach Macht und Ohnmacht, Ausbeutung, Abhängigkeit, Manipulation und Betrug punktgenau verhandelt werden können.“ Hilsdorf drücke sich nicht „um die unvermeidlich kapitalismuskritische Aussage“, aber argumentiere theatralisch. „Und so kann auch, vom Drahtzieher Loge mit zynischer Brillanz ins Werk gesetzt, Komödie gespielt werden, das alte Stück von den betrogenen Betrügern.“
Der vierte Ring in der Deutschen Oper am Rhein
Zum vierten Mal in der Geschichte der Deutschen Oper am Rhein wird der komplette „Ring des Nibelungen“ inszeniert. Die Opern-Tetralogie von Richard Wagner mit „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ dauert insgesamt etwa 14 Stunden – je nachdem, welches Tempo der Dirigent vorgibt.
Das „Rheingold“ ist mit zweieinhalb Stunden der kürzeste Abend. Er ist ab 4. November für sechs Vorstellungen im Stadttheater zu sehen, mit der „Götterdämmerung“ schließt sich 2019 der „Ring“, der dann als längste Oper der Welt und kompletter Zyklus vom 23. Mai bis 2. Juni 2019 auf die Duisburger Bühne kommt.