Bis zu 60.000 Deutsche tragen das gefährliche Gen in sich. Alle zwei Monate trifft sich die Selbsthilfegruppe „Alpha 1-Niederrhein“ in Duisburg.

Arie Knipscheer ist ein lebenslustiger, aktiver und aufgeschlossener Endfünfziger. Agil, robust und ganz offensichtlich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber so sind sie eben, die Wikinger. Wikinger? Ist dieses kriegerische Nordvolk nicht längst im Strudel der Geschichte verschwunden? Nicht ganz. Es gibt natürlich Nachfahren. Und die haben heute ein ziemliches Problem. Dieses nennt sich medizinisch korrekt Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, umgangssprachlich „Wikingerkrankheit“ genannt (siehe Kasten). Und von der ist auch Arie Knipscheer betroffen.

„Ich habe meine Kurzatmigkeit früher immer auf das Rauchen geschoben“, erklärt Arie Knipscheer den Beginn seiner Symptome. Der 59-Jährige hat sein Leben lang Sport getrieben. In jungen Jahren Fußball und später Tischtennis. „Aufgefallen ist mir mein Gesundheitszustand erst, als ich mit dem Radfahren angefangen habe. Um mithalten zu können, habe ich sogar das Rauchen aufgegeben. Allerdings wurde die Kurzatmigkeit dadurch nicht besser.“

Ergebnis nach Bluttest

2001 ging er zu einem Lungenfacharzt. Nach den üblichen Erstdiagnosen wie Belastungs-Asthma oder chronischer COPD wurde bei Knipscheer nach einem Jahr ein Bluttest durchgeführt. Ergebnis: Er besitzt tatsächlich das Wikinger-Gen, das seine Lunge beständig weiter schädigt. Genauer gesagt ist der Organisator der Selbsthilfegruppe lediglich Träger der gefährlichen Erbanlage und hätte theoretisch nach damaligem Stand der Wissenschaft gar nicht erkranken dürfen. Ist er aber. Viel wahrscheinlicher ist ein Krankheitsausbruch, wenn der Betreffende ein defektes Gen sowohl vom Vater, als auch von der Mutter geerbt hat.

Dass die Diagnose bei Knipscheer bereits nach einem Jahr gestellt wurde, ist ungewöhnlich. Normalerweise dauert der Leidensweg der Patienten rund sechs bis sieben Jahre. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich neuesten Erkenntnissen zufolge bei A1AT um eine sogenannte Systemkrankheit zu handeln scheint. „Einige Mitglieder der Selbsthilfegruppe haben eher Probleme mit der Leber und gar nicht mit der Lunge, andere haben Blutsverwandte mit derselben genetischen Belastung, die aber topfit sind“, versucht Knipscheer Licht ins Dunkel des komplizierten und wenig erforschten Alpha 1 Gens zu bringen.

Jeder 20. Deutsche ist betroffen

Geschätzt trägt jeder 20. Deutsche den Gendefekt in sich, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Manche nur als Träger, andere als potenzielle Kranke. „Das Tückische ist, dass man bisher keine genauen Vorhersagen machen kann. Gut 60.000 Menschen deutschlandweit können einen schweren A1AT-Mangel (Alpha-1-Antitrypsin-Mangel) entwickeln, aber es wurde bisher nur ein Bruchteil entdeckt. So werden viele Menschen jahrelang falsch behandelt.“

Wie sieht diese Behandlung nun konkret aus? In Knipscheers Fall besteht sie aus einer regelmäßigen Infusion mit speziell behandeltem Blutplasma, das den Körper künstlich mit dem benötigten Eiweiß versorgt. Ferner ist er seit 2009 auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen. Heilen lässt sich die Krankheit durch diese Therapie nicht, die fortschreitende Zersetzung der Lunge kann lediglich verlangsamt, bestenfalls gestoppt werden.

1995 von Rudolf Geerts gegründet

Trotz dieses Handicaps engagiert sich der 59-Jährige gemeinsam mit Heinz Rickert stark für die Selbsthilfegruppe, die 1995 von Rudolf Geerts gegründet wurde. „Es geht uns um praktische Tipps und Hilfen im Alltag. Wie kann man trotz Sauerstoffbedürftigkeit einen Urlaub organisieren, welche Sauerstoffgeräte sind empfehlenswert und wie ist der neueste Stand der medizinischen Forschung?“ Jeder ist in der Runde herzlich willkommen oder kann sich im Vorfeld bei Arie Knipscheer oder Heinz Rickert informieren. Auch Nicht-Duisburger werden in dem Kreis gerne aufgenommen, denn die nächsten Gruppen sind in Köln oder Münster beheimatet und damit recht weit entfernt.

Unterkriegen lassen sich weder Knipscheer noch die anderen Mitglieder, die sich alle zwei Monate am letzten Samstag in den ungeraden Monaten um 10 Uhr im Café Museum“ im Kantpark treffen. Wenn es sein Gesundheitszustand zulässt, ist Knipscheer mit dem Pedelec unterwegs oder geht schwimmen. Sport ist extrem wichtig bei dieser Erkrankung, und schließlich ist er ein echter Wikinger.