Duisburg. . Das Interesse an Johann Gottlob Leidenfrost und seinem tanzenden Wassertropfen ist neu erwacht. Die Gründe erläutert der Physiker Axel Lorke.
- Den tanzenden Wassertropfen auf der heißen Herdplatte hat Johann Gottlob Leidenfrost 1754 beschrieben
- Seit einigen Jahren ist das wissenschaftliche Interesse an der Entdeckung des Duisburger Professors neu erwacht
- Allein im Video-Kanal Youtube gibt es über 32 000 Veröffentlichungen zum „Leidenfrost-Phänomen“
Manch’ große wissenschaftliche Entdeckung beginnt mit einem Irrtum. So wirkte der Versuch von Johann Gottlob Leidenfrost, aus Feuer und Wasser Erde herzustellen, aus heutiger Sicht der Forschung „ziemlich bescheuert“, urteilen Prof. Dr. Axel Lorke und Dr. Nicolas Wöhrl, Physiker der Universität Duisburg-Essen. Was den Respekt vor dem Universalgelehrten der alten Universität Duisburg nicht schmälert. Der „Leidenfrost-Effekt“, mit dem der eifrige Professor 1754 den tanzenden Wassertropfen auf dem heißen Untergrund beschrieb, verhilft dem Duisburger Gelehrten nun zu frischer Popularität – nicht nur in wissenschaftlichen Zirkeln. Rund 32 000 Beiträge finden sich aktuell unter seinem Namen im Video-Kanal Youtube. Und ständig werden es mehr.
Ähnlich steil ist seit einigen Jahren die Entwicklung im „Web of Science“, einer Datenbank, die auch Zitate erfasst und weltweite Erwähnungen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen zählt. Gerade fünf jährlichen Publikationen zum Thema Leidenfrost gab’s im Durchschnitt von den 1960er Jahren bis vor zehn Jahren, seither steigen die Zahlen: 70 Artikel erschienen allein im vergangenen Jahr. „Leidenfrost ist der einzige Professor der alten Universität, der international bekannt ist“, sagt Axel Lorke. Klar, da gebe es Gerhard Mercator, dessen Karte ihm zu Weltruhm gereichte – doch entgegen verbreiteten Irrglaubens habe der Karthograph nie zum Lehrkörper der historischen Hochschule gezählt.
Ein Thema für die „Mythbusters“
Der neue Hype um den 1794 verblichenen Gelehrten hat Gründe. Entfacht habe ihn wohl der Physiker Heiner Linke, der 2006 zur Bewegung der Leidenfrostschen Tropfen veröffentlichte. Linke hatte darin beschrieben, wie sich der Tropfen auf einer geriffelten Oberfläche durch eine Veränderung der Temperatur in unterschiedliche Richtungen – auch bergauf – bewegen lässt. Es folgten Experimente, bei denen der Tropfen durch einen Parcours läuft – faszinierend anzusehen. Populärwissenschaftlich widmen sich auch die „Mythbusters“ auf ihre Art dem Leidenfrost-Effekt: Die beiden Knallköpfe tunken ein Würstchen zunächst in Wasser und dann in kochendes Blei – funktioniert ebenso wie die glühende Stahlkugel im Wasserglas.
Nanopartikel scheiden sich ab
„Energie, die Bewegung auslöst, also Thermoelektrik, das ist natürlich für Physiker immer interessant“, erklärt Axel Lorke. Auch die Fotovoltaik nutze die Temperatur-Unterschiede zwischen Sonne und Erde. Auch bei der Herstellung von Nanopartikeln machen sich Duisburger Forscher den Leidenfrost-Effekt auf ihre Art zunutze, berichtet Nicolas Wöhrl: „Wenn wir bestimmte Chemikalien in einem Wassertropfen lösen, scheiden sich Nanopartikel auf der heißen Oberfläche ab.“ Dass diese Beobachtung wichtig werden könnte auf dem Weg zur Produktion von großen Mengen der kleinen Teilchen, sei derzeit nicht mehr als Fantasie, meint Lorke. „Aber vielleicht ist es ein Werkzeug mehr, das zu haben nie schaden kann.“
Ist es deshalb nicht an der Zeit, den so gefeierten Johann Gottlob Leidenfrost auf dem Duisburger Uni-Campus wahrnehmbarer zu würdigen und an seine Entdeckung dauerhaft zu erinnern? Man habe, berichten seine wissenschaftlichen Nachfahren, seinerzeit ernsthaft überlegt, das Nanoenergietechnik-Zentrums (Netz) an der Carl-Benz-Straße nach ihm zu benennen. „Aber der Kerl hat nun mal so einen blöden Namen“, bedauert Axel Lorke, „Leiden und Frost und Duisburg, das wäre schwierig.“
Tanzender Wassertropfen auf heißer Herdplatte
Der „Leidenfrost-Effekt“ beschreibt die verzögerte Veränderung eines Aggregatzustandes. Am bekanntesten ist der Wassertropfen, der auf einer heißen Herdplatte zu tanzen beginnt.
Durch die primäre Verdampfung, die ab einer gewissen Temperatur eintritt, lässt Dampf unter dem Tropfen diesen wie auf einem Luftkissen schweben und verzögert seine Verdunstung.
Ein Professor aus Sachsen-Anhalt mit vielen Interessen
Er war wohl ein fleißiger Gelehrter, unterwegs auf vielen Feldern der Wissenschaft. So beschreibt Gernot Born, ein Rektor der Universität Duisburg, in seinem mit Frank Kopatschek verfassten Buch „Die alte Universität Duisburg“ Johann Gottlob Leidenfrost (geb. 1715 in Rosperwenda/Sachsen-Anhalt; gest. 1794 in Duisburg).
Über den „Schaden der langen Ferien auf einer Universität“ empörte er sich gern und stellte fest: „Das menschliche Geschlecht ist nach seinen innerlichen Trieben zur Faulheit geneigt“. Die konnte dem Pfarrerssohn niemand vorwerfen: Evangelische Theologie und Medizin studierte er, promovierte 7141 über die Bewegung des menschlichen Körpers, ehe er nach einem Engagement als Feldarzt im Schlesischen Krieg 1743 dem Ruf an die medizinische Fakultät der Universität Duisburg folgte.
Dort lehrte er auch Chemie und Physik, führte die Hochschule mehrfach als Rektor und bemühte sich als unermüdlicher Autor, die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung nicht nur auf Latein für ein Fachpublikum unters Volk zu bringen. Zu Gesundheitsthemen etwa äußerte er sich regelmäßig in den „Duisburger Intelligenzblättern“.
Blaues und grünes Eis auf dem Rhein
„Das Wasser hatte es Leidenfrost offenbar angetan“, vermutet Gernot Born angesichts mehrerer Schriften, in denen sich der unermüdliche Gelehrte mit dem feuchten Element beschäftigte. Darunter ist „De Aquae Communis Nonnullibus Qualitatis Tractatus“ sicherlich das bedeutendste Werk, schildert es doch seine Beobachtung des „Leidenfrost-Phänomens“ (1756).
Die 150 Seiten hat der Herr Professor auf Latein verfasst – sein Buch deshalb wohl als wissenschaftliches Werk angesehen, schlussfolgern Born und Kopatschek. Populärwissenschaftlich hat er sich in deutscher Sprache nicht nur Themen wie den „Unterschieden des blauen und grünen Eises im Rhein“ genähert, sondern auch Suchtgefahren wie dem „Schaden des Caffeetrinkens“, den Vorteilen „aus dem Gebrauch der sauren Kuhmilch“ und dem immensen Segen für die Volksgesundheit „von den Präservativen gegen die rothe Ruhr“ (1760). Foto: Eickershoff