Duisburg. . Einmal im Monat treffen sich in Duisburg-Buchholz fremde Paare und Singles, um zu schmusen. Klamotten bleiben an, auch sonst gelten strikte Regeln.
Nun liege ich hier, spüre Hände an Schulter und Rücken. Finger kraulen meinen Nacken. „Was mache ich eigentlich?“, schießt mir durch den Kopf. Zugegeben, vor dieser Recherche hatte ich Herzklopfen. Seit zwei Monaten gibt es Kuschelpartys in Duisburg. Bis zu 15 Personen treffen sich samstagabends in einer Buchholzer Massagepraxis, um miteinander zu kuscheln. Darüber zu berichten sei kein Problem, aber bitte nur, wenn ich mitmache.
„Feel Good“ steht auf der Klingel. Es öffnen Ramon Poursaidi und Ina Hinz. Beide waren jahrelang Besucher anderer Kuschelpartys, bevor sie sich entschlossen, eigene anzubieten. „Es gab mal eine Phase, da war ich lange Single, war auch ganz zufrieden, habe es aber vermisst, dass mich mal jemand in den Arm nimmt oder mir den Nacken krault“, erinnert sich der 44-Jährige und fügt hinzu: „Ich war noch nie der Typ, der in die Disco gegangen ist, um eine Frau abzuschleppen.“ Er fuhr also zur Kuschelparty nach Köln, eine der größten in der Region, an der bis zu 60 Personen teilnehmen. „Danach habe ich mich so satt gefühlt, das hat mir Ruhe gegeben. Ich wusste, in zwei Wochen kann ich das wieder haben, wenn ich das möchte“, sagt der Mann, der zuvor in der Baubranche tätig war.
Auf einer der Partys lernte er schließlich auch Ina kennen, seine heutige Lebensgefährtin. Irgendwann wurden die beiden vom Veranstalter gefragt, ob sie mal Vertretung machen möchten. Bevor nämlich losgeschmust wird, werden die Teilnehmer angeleitet und mit den Regeln vertraut gemacht.
Langsam schwinden die Zweifel
Ich bin niemand, der jedem sofort um den Hals fällt, aber Freunde oder Familie zu umarmen, ist für mich selbstverständlich.
Wir werden sechs Frauen und vier Männer sein, sagt Ina Hinz, die mit Ramon Poursaidi aufpasst, dass sich alle gut fühlen. Nacheinander kommen die Gäste, die anonym bleiben wollen, an. Es sind Frauen dabei, die eine liebevolle, fast mütterliche Ausstrahlung haben. Mädchen. Kerle, bei denen man auf der Straße nicht vermuten würde, dass sie auf Kuschelpartys gehen. Keine(r) ist so hässlich, dass er nicht jemanden abbekommen würde. Aber darum geht es hier nicht. „Ihr seid alles Edelsteine, mit Ecken und Kanten, andere rund“, leitet Ramon Poursaidi ein.
Erinnerungen an die Kindheit
Zu Beginn sollen wir es uns auf den Matratzen bequem machen, den Tag vergessen, ankommen. Ich liege in der Besucherritze. Noch immer eher skeptisch. Immerhin: Niemand ist mir unsympathisch, alle haben anscheinend geduscht und frische Socken an. Als nächstes sollen wir uns zu zweit zusammentun, uns begrüßen und berühren. Kirsten (Name geändert) hat lachende blaue Augen. Sie streicht mir über den Rücken, nimmt meine Hände, fährt mit ihren Fingern meine Arme entlang. Es ist nicht unangenehm.
Als sie mir durch die Haare geht, fühle ich in meine Kindheit zurückversetzt, so wie einem die Mama über den Kopf streicht. Bei ihr fällt es mir leicht, mich fallen zu lassen. Langsam verschwinden auch die Zweifel. Ihr gegenüber habe ich keine Berührungsängste. Ich massiere ihren Nacken, fahre ihren Rücken entlang. Sie genießt. „Niemand muss sich für seine Bedürfnisse entschuldigen. Wir stellen hier nichts in Frage“, hat Ramon Poursaidi zuvor gesagt.
Berührungen an Busen und Schambereich sind tabu
Jeder, der teilnimmt, sollte zu Beginn ein Gefühl „einladen“: Entspannung zum Beispiel, ein anderer will „loslassen“. Danach beginnt eine freie Phase, in der jeder sich seinen Kuschelpartner suchen kann. In der Mitte der Matratzen bildet sich ein Knäuel. Körper schmiegen sich aneinander. Ein Mann zieht mich an sich. Durch sein Shirt spüre ich seinen muskulösen Körper. Seine Hände sind fordernder als die von Kirsten. So nah war ich noch nie einem Mann, den ich nicht zuvor niedergeknutscht habe. Aber er hält sich an die Regeln: Die Hände bleiben auf den Klamotten, Busen und Schambereich sind tabu. Das gilt auch für mich.
Ein anderer wuschelt mir durch die Haare. „Wenn erotische Spannungen entstehen, dann gebt dem nicht nach. Ändert den Fokus“, lautet ein anderer Hinweis. Das gelingt – die meisten, die teilnehmen, sind erfahren. Sie genießen die Berührung. „Viele gehen viel entspannter nach Hause. Das hält noch tagelang an“, weiß Ramon Poursaidi. Einige kommen regelmäßig wieder. Andere probieren die Party nur einmal aus, weil ihnen dann erst bewusst wird, was ihnen im Alltag fehlt. Gedacht ist der Abend für Singles und Paare.
Nach drei Stunden ist die „Kuschelzeit“ vorbei. Wir sehen uns noch einmal in die Augen, bedanken uns, dann verlassen wir das Massagestudio „Feel Good“. Der Name ist Programm.
Ersten Kuschelpartys fanden in New York statt
Die ersten Kuschelpartys wurden 2004 in New York veranstaltet, der Stadt mit dem höchsten Single-Anteil in den USA. Die Idee stammt vom Sexualtherapeuten Reid Mihalko, der in sein Appartement in Manhattan einlud. Ein Jahr später fand die erste Kuschelparty in Berlin statt. 2016 wurden bereits in 52 Orten der Republik Kuschelpartys angeboten.
Die nächste Kuschelparty in Duisburg findet am 13. Mai um 18.30 Uhr in der Massagepraxis „Feel Good“ statt. Mitmachen können sowohl Paare als auch Singles. Die Teilnahme kostet 20 Euro, Getränke und kleine Snacks sind inklusive. Da die Teilnehmerzahl auf 15 Personen begrenzt ist, müssen sich Interessenten per E-Mail anmelden: essener-kuschelparty@web.de.