Duisburg. . Eine neue IAQ-Studie belegt: Sorgeberufe sind deutlich schlechter bezahlt als Jobs in anderen Branchen. Vor allem Frauen sind davon betroffen.

  • Wissenschaftlerin des Instituts für Arbeit und Qualifizierung hat neue Studie entwickelt
  • Index zeigt an, dass Sorgeberufe nicht angemessen bewertet und die Beschäftigten unterbezahlt sind
  • Ungleiche Bezahlung von typischen Frauenberufen wird in Tarifverträgen fortgeschrieben

Wer in der Kranken- oder Altenpflege beschäftigt ist und schon bisher das Gefühl hatte, er werde im Vergleich zu anderen Berufen schlecht bezahlt, den bestätigt nun eine Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen. Autorin Sarah Lillemeier hat mit einem neu entwickelten Index zur Bewertung von Arbeitsleistungen nachgewiesen, dass in den weiblich dominierten Sorgeberufen knapp 17 Euro pro Stunde weniger verdient werden, als etwa in der männlich dominierten IT-Branche. „Dabei sind Anforderungen und Belastungen durchaus vergleichbar“, sagt Lillemeier.

Bewertung typischer Frauenberufe

Der 18. März ist der sogenannte „Equal Pay Day“: Bis zu diesem Datum arbeiten Frauen im Vergleich zu den Männern auf das Jahr bezogen im Schnitt umsonst. Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern beträgt in Deutschland derzeit 21 Prozent. Wie kommt es zu dieser Kluft?

Entscheidend ist die Bewertung der Arbeit, die die typischen Frauenberufe, in der Erziehung und Pflege etwa, benachteiligt. „Klassische Arbeitsbewertungsverfahren blenden etwa die psycho-sozialen Aspekte oder die Verantwortung für das Wohlergehen anderer Menschen häufig aus, so dass die tatsächliche Leistung nicht ausreichend honoriert wird“, erklärt Sarah Lillemeier. Nicht selten sei die schlechte Bezahlung von „Frauenberufen“ historisch gewachsen, das Geschlechter-Stereotyp „Frauenarbeit ist leichte Arbeit“ habe schließlich zu systematischer Unterbewertung und in der Folge zu Unterbezahlung in den klassischen Frauenberufen geführt, erklärt die 33-Jährige in ihrer Studie.

Ungleichheit wird in Tarifverträgen fortgeschrieben

Die Ungleichheit werde schließlich fortgeschrieben in den Tarifverträgen: Trotz der jüngsten, in Arbeitskämpfen erstrittenen Verbesserungen in den Sozial- und Erziehungsberufen liege das Brutto-Monatseinkommen ausgebildeter Erzieherinnen (2793 Euro) und Krankenpflegerinnen (3036 Euro) auch weiterhin deutlich unter dem Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten, stellt die Studie fest.

Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) hat deshalb zusammen mit dem Düsseldorfer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) ein neues Messinstrument entwickelt: den Comparable Worth-Index. „Er zeigt eindeutig an, dass die Sorgeberufe nicht angemessen bewertet und die dort Beschäftigten deshalb unterbezahlt sind“, so Lillemeier. Neben Wissen und Können berücksichtigt der neue Index, anders als die klassischen Verfahren, zum Beispiel auch Verantwortung für Andere oder psycho-soziale und physische Arbeitsanforderungen und -belastungen.

Forderung: Generell geschlechtergerecht bewerten

„Professionelle Sorgearbeit muss weiter aufgewertet werden, wie sie die Reform der Pflegeausbildung auch vorsieht“, betont IAQ-Direktorin Prof. Dr. Ute Klammer, die das Forschungsprojekt „Comparable Worth: Blinde Flecken in der Ursachenanalyse des Gender Pay-Gap“ leitet. Als Sachverständige des Gleichstellungsberichts der Bundesregierung fordert sie, dass Tätigkeiten generell geschlechtergerecht bewertet werden.

Warum gibt es so etwas wie den CW-Index eigentlich erst jetzt? „Die Idee, Arbeit geschlechtsneutral zu bewerten, gibt es seit den 1980er Jahren“, weiß Sarah Lillemeier. Forscher auf der ganzen Welt – vor allem im angelsächsischen Raum – haben sich intensiv damit beschäftigt und Verfahren zur geschlechtsneutralen Bewertung entwickelt. Das Gesetz „Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit“ gebe es ja auch bei uns. „Man hatte die Bewertungsverfahren zwar entwickelt, sie aber nicht angewendet.“ Bislang habe es jedoch noch kein Messinstrument gegeben, mit dem gleichwertige Tätigkeiten statistisch identifiziert werden konnten. „Deshalb haben wir den CW-Index entwickelt.“

„Mehr Geld in die Hand nehmen“

Ein Instrument zur geschlechtsneutralen Bewertung einer Arbeitsleistung ist die eine Sache, seine Anwendung eine andere. Auch über die Chancen und Perspektiven für eine Neubewertung der Sorgeberufe spricht Sarah Lillemeier, Autorin der IAQ-Studie.

Wird sich der CW-Index als Bewertungsinstrument etablieren – etwa in Tarifverhandlungen?

Das ist schwierig, denn wir sprechen da über lange gewachsene Strukturen und dicke Bretter, die zu bohren sind. Arbeitsbewertungsverfahren werden seltener neu verhandelt. Im Gegensatz zu den Entgelttabellen, die jedes Jahr Teil der Verhandlungsrunden sind, fasst man diese nicht so gern an. Und: Zur Verhandlung eines Tarifvertrags gehören immer zwei Parteien. Auf Gewerkschaftsseite besteht häufiger Interesse an der Etablierung geschlechtsneutraler Arbeitsbewertungsverfahren – auf Arbeitgeberseite ist das weniger ausgeprägt.

Wovon ist denn die Lohnstruktur abhängig?

Die Lohnstruktur ist grundsätzlich von vielen Faktoren abhängig. Wichtig ist: Sie ist vor allem historisch gewachsen. Die etablierte Arbeitsbewertung – wie sie in Tarifverträgen oder betrieblichen Vereinbarungen festgelegt ist – spielt dabei eine wichtige Rolle.

Kann denn ein Arbeitnehmer unter Berufung auf den CW-Index klagen?

Einklagbar ist die gleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit bei einem Arbeitgeber oder im Geltungsbereich eines Tarifvertrags. Wenn das nicht so ist, bleibt die zu geringe Bewertung und Bezahlung von Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden eine gesellschaftliche und gleichstellungspolitische Frage.

Kliniken wären ein Beispiel: Sie beschäftigen die Pflegekräfte und IT-Fachleute, die Sie in ihrer Studie vergleichen.

Stimmt. Man müsste reinschauen auf der betrieblichen Ebene, wie es aussieht. Aber man hätte da beide Berufsgruppen bei einem Arbeitgeber. Problematisch könnte sein, wenn es zwei Tarifverträge gibt. Denn durch Outsourcing können die rechtlichen Bestimmungen teilweise ausgehebelt werden.

Bleibt nur die gesellschaftliche Diskussion...

Ja. Die Sorgeberufe sind hoch relevant für den Fortbestand der Gesellschaft und für ihre Qualität. Es gibt schon jetzt Fachkräftemangel, der aber bisher noch nicht umfassend dazu führt, dass die Löhne steigen. Offenbar versagt der Markt bisher bei diesen Berufen.

Woran liegt das?

Gerade die Finanzierung im Sozialsektor, der Kostendruck und die voranschreitende Ökonomisierung von Sorgetätigkeiten tragen auch zu den geringen Verdienstniveaus der Sorgeberufe bei. Außerdem ist die Wertschöpfung schwieriger zu messen. Was bringt es, ein Kind zu erziehen, einen alten Menschen zu pflegen? Das ist kein Blech, das man reinschiebt und hinten kommt ein Auto raus. Deshalb muss man gegensteuern, eigentlich politisch eingreifen. Angesichts der Zahl der Beschäftigten muss Geld in die Hand genommen werden, um die Sozialberufe aufzuwerten und ihren Anforderungen und Belastungen entsprechend zu bezahlen.

Studie steht zum Download bereit

Die komplette Studie „Sorgeberufe sachgerecht bewerten und fair bezahlen“ von Sarah Lillemeier kann im Internet unter http://bit.ly/2oY16hu abgerufen werden.

Weitere Informationen zu den Aufgaben und Studienergebnissen des Instituts für Arbeit und Qualifikation der UDE gibt es im Internet unter www.iaq.uni-due.de.