Duisburg. . In zweijähriger Arbeit hat das Kommunale Integrationszentrum mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege das Integrationskonzept überarbeitet.
- Integrationszentrum und Träger der Wohlfahrtspflege haben ein neues Integrationskonzept erarbeitet
- Bildung, Wohnen, Arbeit und Gesundheit sind für die Arbeitsgruppe wichtigste Handlungsfelder
- Rat wird im Mai entscheiden: Das Papier soll Grundlage für einen „Masterplan Integration“ sein
Zuwanderung prägt die öffentliche und politische Diskussion und stellt die Stadtgesellschaft vor große Herausforderungen. Als vor zwei Jahren besonders viele Menschen in Duisburg Zuflucht suchten, fiel die Entscheidung, das städtische Integrationskonzept zu aktualisieren. Unter der Regie des Kommunalen Integrationszentrums (KI) wurde die zehn Jahre alte Strategie mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege überarbeitet. Der Politik liegen eine 40-seitige Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen vor. Nur eine Diskussionsgrundlage, so Marijo Terzic, Leiter des KI: „Wir brauchen einen Masterplan Integration.“
Die Bedeutung des Themas unterstreicht der Oberbürgermeister im Vorwort: „Es wirft Fragen auf und ruft Verunsicherung hervor.“ Das Fundament für Sören Link: das Bekenntnis zu einer weltoffenen und vielfältigen Stadtgesellschaft. „Kulturelle Vielfalt und Internationalität sind keine bloße Attitüde. Nicht Herkunft von Menschen, die Gestaltung unserer Zukunft ist von Bedeutung.“
Fast 18 000 EU-Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien
Not tut eine neue Strategie, weil mit der Migration von annähernd 18 000 Menschen aus den EU-Staaten Bulgarien und Rumänien eine neue Ebene der Migration hinzugekommen ist. Das Thema Gesundheit hat die Arbeitsgruppe deshalb als viertes Handlungsfeld neben Bildung, Arbeit und Wohnen identifiziert. „Wer als Flüchtling aus Afghanistan kommt, der hat hier kein Problem mit der Krankenversicherung, EU-Bürger aber sehr oft.“
Duisburg habe zwar eigentlich genügend Wohnraum für die Zuwanderer, „die Geschäfte mit der Zuwanderung, die sich als regelrechter Markt entwickelt haben, sind allerdings ebenfalls ein neues Phänomen“, so der KI-Leiter.
Terzic wirbt dafür, zunächst die Fähigkeiten, dann erst die Defizite der Menschen in den Blick zu nehmen, warnt davor, alle über einen Kamm zu scheren: „Viele kommen als qualifizierte und gefragte Fachkräfte zu uns, aber sie sind nicht so sichtbar.“ Die Übrigen gelte es nach Kräften zu unterstützen, damit sie Fuß fassen. Terzic: „Wir sollen Zuwanderung nicht nur als Belastung diskutieren, sondern uns von gelungenen Beispielen für Integration ermutigen lassen.“
Grenzen der Belastbarkeit
Das bedeute nicht, die Augen vor den Problemen zu verschließen: etwa der geringen Qualifikation vieler Migranten, die neben mangelnder Sprachkenntnisse kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet. Hinzu kommt die Abhängigkeit von Fördermitteln: Der Stadt fehlt Geld für eine kommunale Strategie. Das bindet Kräfte, fördert Mehrfachstrukturen und ein Angebots-Dickicht. Wo ist die Grenze der Belastbarkeit der Systeme einer Stadt? Es sei nicht Aufgabe eines Integrationskonzeptes, diese zu formulieren, meint Terzic. „Nicht nur der Duisburger OB hat schon oft darauf hingewiesen, dass Bund und Land die Städte mit den Aufgaben nicht allein lassen dürfen.“ Auch das Recht auf Freizügigkeit in der EU könne Duisburg nicht ändern: „Solange es ein erhebliches Wohlstandsgefälle in Europa gibt, wird auch die Zuwanderung anhalten“, vermutet Marijo Terzic.
Im Entwurf für ein Integrationskonzept haben sich die Autoren zunächst auf die vier Handlungsfelder Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit beschränkt. „Dort wird der größte Handlungsbedarf gesehen“, begründen sie. Bereiche wie Sport, Kultur, Religion sowie Wirtschaft und Stadtentwicklung sollen im weiteren Prozess in das Konzept einfließen.
1. Bildung
Die Bemühungen um Bildung müssen „im Zentrum der Bestrebungen stehen“ erfordern aber in Duisburg „finanzielle Ressourcen, die über das Maß der gesetzlich verankerten Mittel hinausgehen“. Die Arbeitsgruppe verweist auf Projekte und Angebote der Kinder-, Familien- und Erwachsenenbildung, auf pädagogische Konzepte mit multiprofessionellen Teams in der schulischen Bildung. Zu viele hingen aber aber zu sehr ab von zeitlich begrenzten Projektmitteln und seien deshalb weder dauerhaft noch flächendeckend einzurichten. Erstrebenswert sei eine engere Verzahnung von Sprachförderung mit anderen Maßnahmen in der Nähe. Für Schulen mit einem besonders hohen Anteil an Kindern ohne Deutschkenntnisse müsse es auch besondere Modelle geben: mit gesonderten pädagogischen Konzepten, Raumprogrammen und Einrichtungen, personellen Ressourcen in multiprofessionellen Teams und zusätzlichen Sekretariatsstunden. „Duisburgs größte Herausforderung wird darin bestehen, das Niveau der Sprachkompetenz zu erhöhen. Die Bedeutsamkeit des guten Beherrschens der deutschen Sprache sollte im Fokus der Anstrengungen stehen“, empfiehlt das Konzept.
2. Arbeit
Mit bald 40 Prozent der Arbeitssuchenden weist die Duisburger Statistik einen negativen Spitzenwert im Revier aus. Gleichwohl, so das Konzept, komme der Erwerbstätigkeit eine Schlüsselrolle zu: „Kaum ein Bereich ermöglicht so viele soziale Kontakte außerhalb des privaten Umfelds.“ Jedoch sei ohne Sprachkenntnisse und Qualifikation die Integration in den Arbeitsmarkt „kaum möglich“. Grundsätzlich sei bei Menschen mit Migrationshintergrund ein geringeres berufliches Bildungsniveau festzustellen. Auffällig dabei: Frauen nehmen seltener eine Berufsausbildung auf, obwohl sie über die besseren Schulabschlüsse verfügen.
Auch ein breites Netz von Unterstützungsangeboten zur beruflichen Integration von Jobcenter, Agentur für Arbeit und Bildungsträgern kann dieses Dilemma nicht grundsätzlich auflösen. Immerhin: Projekt für Migranten aus Rumänien und Bulgarien wie „Unser Haus Europa“ und das NIDA (Netzwerk Integration durch Ausbildung) verringern wenigstens bei einem Teil der Menschen die Distanz zum Arbeitsmarkt durch Spracherwerb und Qualifikation. „Vorhandene Netzwerke sollten besser kommunizieren. Das würde ihre Arbeit effektiver machen und Parallelstrukturen vorbeugen“, empfiehlt die Arbeitsgruppe. Außerdem: ein „runder Tisch“, um bürokratische Hürden bei der Vermittelung abzubauen, mehr Beratung zur beruflichen Bildung für junge Migranten und niedrigschwellige Arbeitsmöglichkeiten und Praktika, um Unternehmen kennenzulernen.
3. Wohnen
Der Wohnort sei „prägend für die Einbindung in soziale Beziehungsnetze“, konstatiert das Integrationskonzept. In Duisburg gebe es „erhebliche Ungleichgewichte“ im Wohnen. Die Autoren verweisen auf Ortsteile wie Baerl und Alt-Walsum mit einem Migrationsanteil von unter 15 Prozent und Quartieren in Marxloh und Bruckhausen mit Werten um 85 Prozent. „Dabei ist eigentlich nichts dagegen zu sagen, dass es sogenannte ‘Ankommensstadtteile“ wie Marxloh oder Hochfeld gibt“, sagt KI-Leiter Marijo Terzic. „Wichtig ist, dass die Menschen die Möglichkeit haben, später auch in anderen Quartieren heimisch zu werden.“ Diesen Anspruch sehen die Autoren des Integrationskonzepts gefährdet: Zu beobachten sei in Duisburg zwar keine ethnische, wohl aber eine soziale Segregation: „die ungleiche räumliche Verteilung unterschiedlicher sozialer Gruppen“. Sie sei festzumachen an der Konzentration der Empfänger von Leistungen zum Lebensunterhalt in bestimmten Quartieren.
Was könnte das ändern: Einerseits müsse die Stadt weiter in benachtteiligte Quartiere investieren – Migranten und Asylsuchende blieben auf preiswerten Wohnraum angewiesen. Terzic: „Auch wenn es die Kritiker auf den Plan ruft, die sagen: Das bringt nichts.“ Gleichzeitig gelte es, Vorurteile auf Vermieterseite abzubauen, um eine größere Durchlässigkeit des Wohnungsmarktes zu erreichen. „Migranten-Selbstorganisationen sollten mit Haus- und Grundbesitzervereinen zusammenarbeiten.“ Gegen unseriöre Vermieter und unzumutbare Wohnsituationen müssten die Ordnungsbehörden „mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen“.
4. Gesundheit
Spezifische Probleme mit der Gesundheit betreffen nicht nur neu Zugewanderte, sondern auch sogenannte „Bestandsmigranten“, konstatieren die Autoren: unzureichende Prävention, geringe Kenntnisse des Gesundheitssystems, Vernachlässigung der sexuellen Gesundheit, die mangelnde Bereitschaft, sich an ärztliche Vorgaben zu halten. Hinzu kommt ein erhöhtes Übergewichtsrisiko bei Kindern aus sozial schwachen Familien. Sucht wird zu einem wachsenden Problem, auch psychische Belastungen nehmen zu – Selbsthilfe ist bei Migranten weniger nachgefragt.
Die EU-Zuwanderung verschärft die Lage: Schuleingangsuntersuchungen von Kindern aus Rumänien und Bulgarien dokumentieren einen „in starkem Maße bedenklichen Gesundheitsstatus“. Rund 90 Prozent der Kinder hatten einen ungeklärten Versicherungs- und Impfstatus. Besonders problematisch ist die gesundheitliche Versorgung zugewanderter Sexarbeiterinnen in den Bordellbetrieben. Wenigstens für Geflüchtete finde „eine gute medizinische Grundversorgung“ statt.
Neue Handlungsstrategien, so die Autoren, erfordere vor allem die Zuwanderung aus Südosteuropa. „Sie brauchen dringend Hilfen bei der Herstellung eines EU-weiten Krankenversicherungsschutzes.“ Insgesondere für Notfälle, Kinder und die Entbindung von Schwangeren müsse der Bund, wie vom Deutschen Städtetag gefordert, einen Sonderfonds auflegen.