Duisburg. . Thomas Frahm hat 15 Jahre in Sofia gelebt. Nun will er den Duisburgern bei den „Akzenten“ Bulgarien näher bringen. Immerhin leben Tausende hier.
Fast 10 000 Bulgaren leben in Duisburg – doch außer Negativschlagzeilen über verwahrloste Wohnungen und Müll auf Hochfelds und Marxlohs Straßen kennt kaum jemand etwas über das Land und die Kultur der Menschen. „Ich als Bulgare und doch Mensch“ heißt die Lesung von Thomas Frahm, die am 17. März im Café Rheinblick im Programm der Akzente über das Land in Südosteuropa aufklären soll.
Die Sprache hat er sich selbst beigebracht
Der gebürtige Homberger hat sich in eine Bulgarin verliebt und zog im Jahr 2000 nach Sofia. Zuvor schon als Verleger aktiv, hat er sich nicht nur selbst die bulgarische Sprache beigebracht, sondern von dort als Journalist gearbeitet und auch bulgarische Literatur übersetzt. „In den ersten Jahren hatte kaum eine Zeitung einen Reporter vor Ort.“ Als in Ostbulgarien ein thrakisches Grab entdeckt wurde, bot er zunächst dem Deutschlandfunk etwas an. Als dann auch der „Spiegel“ über die Entdeckung berichtete, wurden noch mehr Medien auf Thomas Frahm aufmerksam. „Vorher konnte ich nur 50 Wörter, um mich mit den Schwiegereltern zu verständigen. Aber nun musste ich Geld verdienen.“
Mit einem Wörterbuch übersetzte er bulgarische Meldungen für den deutschen Markt. Anfangs brauchte er acht Stunden. Später schrieb er Essays und Artikel für alle großen deutschen Tageszeitungen. Parallel legte er eine Regionalbuchreihe über Bulgarien auf. „Von der Mentalität her sind uns die Menschen eigentlich recht ähnlich.“ Und auch die Sprache habe durchaus weiche Seiten. „Es gibt viele Konsonanten, Prall- und Krachlaute, dann wieder klangvolle, weiche Aspekte zum Dahinschmelzen“, sagt der Lyriker. Mit seinen eigenen Texten möchte er gegen die Klischees anschreiben, die es immer noch über Bulgaren gibt. Ein harmloses Beispiel: Die Spezialität Baniza wurde oft als Blätterteig-Teilchen bezeichnet. „Dabei sind es dünne Teigblätter, aber kein Blätterteig.“ Auch im politischen Sinn ist viel aufzuklären. Etwa: „In Sofia gibt es keine Arbeitslosigkeit. Das Problem ist, dass dahinter soviel Bulgarien kommt.“ In der Provinz liege die Arbeitslosigkeit bei rund 30 Prozent. Viele Örtchen seien dennoch gut in Schuss, weil die Familien einige Mitglieder zum Geldverdienen ins Ausland schicke. Sie verdingen sich dann etwa als Pflegekräfte. „Die nimmt man in der Regel in Deutschland gar nicht wahr“, weiß Thomas Frahm.
Die Menschen, die in Hochfeld und Marxloh wohnen, seien Elendsflüchtlinge, die vorher in Favelas wohnten, in denen es keine Müllentsorgung gab. „Da ist eine Generation herangewachsen, die weiß gar nicht, dass man seinen Müll nicht auf die Straße schmeißt.“ Diese Personen zu erreichen, sei aufwändig und es sei schwer, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Frahm ist es gelungen. Für einen Import-Export-Händler übersetzte er die Inhaltsstoffe ausländischer Spezialitäten. „Ich bin jedes Mal mit Dank und Geschenken überschüttet worden.“
Der Autor liest am Freitag (Beginn 20 Uhr) aus seinem Buch „Die beiden Hälften der Walnuss. Ein Deutscher in Bulgarien“. Der Abend soll unterhaltsam sein und informieren. „Ich will niemanden bestrafen, der zu einer Lesung geht.“ Der Bulgare, mit dessen Wörterbuch sich Thomas Frahm die Sprache beigebracht hat, hatte neulich übrigens seinen Roman in der Hand – auf bulgarisch.
Inzwischen in Ruhrort zu Hause
Inzwischen wohnt Thomas Frahm wieder in Duisburg, im Hafenstadtteil Ruhrort. Der gefällt ihm besonders gut wegen der Weite. „Neulich hat jemand zu mir gesagt: ,So einer wie du, der hat hier noch gefehlt.’“ Frahm engagiert sich etwa für das Kreativquartier und das Lokal Harmonie. Über die deutsch-bulgarische Gesellschaft hat er viele Vorträge in Hamburg, Berlin oder München gehalten. „Ich will leben und nicht residieren“, erklärt er, warum die Wahl dennoch auf Ruhrort gefallen ist.
Aktuell bezieht Thomas Frahm Hartz IV. Weil es in Duisburg keine Gelegenheit gibt, seine Bulgarisch-Kenntnisse anerkennen zu lassen, kann er nicht offiziell als Übersetzer arbeiten. Doch der 55-Jährige will nicht klagen, verlegt weiterhin Bücher im Chora-Verlag und schreibt. Getreu seines Mottos: „Ich scheitere mich voran.“