Das Theaterensemble der Werkstatt für Menschen mit Behinderung entwickeltdas Stück „Hose runter.“ für die Akzente 2017 zum Thema „Umbrüche“
„Ich schäme mich, dass ich einen Ausweis habe. Da steht drin, dass ich zu 90 Prozent behindert bin, dabei fühl ich mich gar nicht so“, sagt Tom. Den Beweis dafür liefert der Mitarbeiter der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) gerade. Zusammen mit den anderen zwölf Mitgliedern der Theatergruppe Freischaufler feilt er im „Raum der Möglichkeiten“ auf dem Werkstattgelände an dem neuen Stück „Hose runter.“, das am 17. März im Grammatikoff Premiere feiert.
Bei den Proben fühlt sich Tom wie ein Schauspieler, und das ist er auch. Spielfreudig, einsatzstark und ohne Angst vor der eigenen Courage. In der Musikbranche würde man ihn wohl als „echte Rampensau“ bezeichnen.
Das ist natürlich eine Rolle, in der sich nicht jeder so wohl fühlt wie er. „Nicht auf den Boden schauen“, mahnt so manches Mal Regisseurin Susanne Heck ihr Ensemble. Die direkte Ansprache des Publikums mit festem Blick will gelernt sein. Doch das klappt immer besser. Die Truppe trägt auch die Ängstlicheren auf der Bühne.
Theater hat Vorrang vor der Arbeit in der Werkstatt
2013 hat sich die Gruppe gefunden. Zehn Menschen aus der Werkstatt, zwei Betreuerinnen und die professionelle Schauspielerin Bettina Muckenhaupt gehören dazu. Über sie fand auch Regisseurin Susanne Heck zu dem Ensemble, mit dem sie bereits vier Stücke erarbeitet hat. „Die Arbeit ist sehr bereichernd“, sagt sie. „Die Entwicklung, die die einzelnen Mitglieder machen, die Fortschritte zu sehen, und ihren Mut.“ „Das ist auch eine wichtige und ernst zu nehmende Arbeit“, ergänzt WfbM-Geschäftsführerin Roselyne Rogg. „In unserem Unternehmen gibt es deshalb die klare Ansage: Theater hat Vorrang vor der Arbeit in der Werkstatt.“
Seit vergangenen Sommer entwickelt die Truppe gemeinsam das Stück „Hose runter.“, mit dem die Freischaufler im Rahmen der Akzente auftreten. Es ist das dritte Mal, dass ein Stück des Ensembles ins Programm des Kultur-Festivals aufgenommen wurde. Das Thema 2017 „Umbrüche“ ist auch den Freischauflern nicht fremd. Und so haben sie zuerst in assoziativer, improvisierender Arbeit, dann in konkreter Ausgestaltung Umbrüche in ihren eigenen Leben zusammengetragen, positive wie negative.
Collage entwickelt sich zum Lebenszyklus
„Wir sind zunächst vom Persönlichen ausgegangen. Dabei ging es um Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, um Grenzüberschreitungen, Liebe, Freundschaft, Verlust und Freiheit“, schildert die Regisseurin den Findungsprozess. Entstanden sei daraus eine Collage, die sich zu einem Lebenszyklus entwickelt hat, in den Erlebnisse jedes Einzelnen Eingang gefunden haben.
„Klein sein ist schön. Schöner.“ Was für den Einen Kinderglück bedeutet, ist für den Anderen eine schlechte Erinnerung. Anlass für einen Umbruch, wie für Tom: „Zu Hause war gar nicht schön. Dann bin ich zu Hause ausgezogen. Meine Freiheit, mein eigenes Revier.“
Dada-Elemente als Verbindungsstücke
Verbunden hat Susanne Heck die Textpassagen aus den Interviews mit ihren Darstellern mit Lautmalereien und Gedichten aus dem Dadaismus, einer künstlerischen Bewegung des Um-, Aus- und Tabubruchs, die 1916 begründet wurde.
„Aber keine Angst“, beruhigt Susanne Heck und lacht. „Wir wollen die Herzen und die Köpfe weiter machen mit den Texten und dem Stück. Und am Ende kriegen wir auch positiv die Kurve.“