Duisburg. . Am neuen Sonderforschungsbereich 1242 suchen 60 Wissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen nach neuen Materialeigenschaften.

Wer „Nichtgleichgewichtsdynamik kondensierter Materie in der Zeitdomäne“ erklären kann, ist entweder Naturwissenschaftler oder ein ausgesprochener Freund von Forscherprosa. Prof. Dr. Uwe Bovensiepen ist Physiker und die Frage, die ihn und 50 bis 60 weitere Kollegen beschäftigt, könnte man auch so formulieren: Was passiert mit den Metall-Atomen in einer Münze in dem Moment, wenn man mit einem Hammer draufschlägt.“

Die Suche nach der Antwort fördert die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) in den nächsten vier Jahren mit bis zu 10 Millionen Euro. Denn die Grundlagenforschung im Sonderforschungsbereich 1242 (SFB) an der Universität Duisburg-Essen (UDE) soll Erkenntnisse über vollständig neue Materialeigenschaften liefern, die helfen, Anwendungen in der Solartechnik und in elektrischen Geräten zu erschließen.

Bei der Begehung wird es ernst

„Die Arbeit am Antrag für einen SFB beginnt schon zwei Jahre vorher“, erklärt Uwe Bovensiepen, der als Sprecher des SFB 1242 fungiert. Entscheidend sei vor vornherein die Qualität des Programms. „Durch die geschickte Berufungspolitik haben wir hier genügend exzellente Wissenschaftler.“ Für die Evaluierung des Forschungsvorhabens durch die DFG reicht zwar in der ersten Runde des Wettbewerbs eine Skizzierung – doch die ist vorentscheidend. „Nur 40 Prozent kommen durch“, sagt Bovensiepen. Ein strenges Verfahren, „aber schließlich geht es hier um Steuergeld“, findet er.

Ein Jahr bleibt dann, bis zur zweiten Runde, in der ein detaillierter, rund 400 Seiten dicker Antrag vorliegen muss. Die Gutachter legen Wert auf das Wesentliche, weiß Bovensiepen. „Sie schneiden den Speck raus, wenn zu viel Verwaltung drin ist.“ Thematisch gebe es keine Vorgaben, erläutert Prof. Dr. Axel Lorke, ebenfalls Physiker und am SFB 1242 beteiligt. „Die DFG ist wissenschaftlich getrieben, nicht politisch. Das schätzen wir.“

Spannende Einblicke: Alexander Tarasevich erläutert einer Besuchergruppe die Forschung im Laserlabor der Universität Duisburg-Essen.
Spannende Einblicke: Alexander Tarasevich erläutert einer Besuchergruppe die Forschung im Laserlabor der Universität Duisburg-Essen. © Stephan Eickershoff

Ernst wird’s für die Bewerber dann bei der sogenannten „Begehung“ des beantragten Sonderforschungsbereichs. „Eine Art mündliche Prüfung“, erläutert Uwe Bovensiepen, „bei der jedes Projekt bewertet und mit einer Note versehen wird.“ Die Prüfer sind deutsche und internationale Fachleute, die mit der Materie vertraut sind. Gibt es da Interessenkonflikte? „Man versucht das zu vermeiden, soweit es geht“, sagt Axel Lorke. Nicht zu unterschätzen sei die Bedeutung eines fachfremden Prüfers, der stets beteiligt ist. „Natürlich versteht ein Geisteswissenschaftler nicht, worum es in den Naturwissenschaften geht, aber es sind erfahrene Kollegen mit einem guten Gespür für die Stimmungen.“

Dann beginnt das Warten auf die Entscheidung des Bewilligungsausschusses. Wie erfahren die Forscher, ob ihr Antrag erfolgreich war? „Man kann es sich aussuchen“, berichtet Uwe Bovensiepen, „ich wollte die Nachricht per E-Mail bekommen.“ Der Jubel, sagen die Professoren, war groß, die anschließende Feier gebührend. Einen Party-Posten, versichern sie, gebe es aber nicht im SFB-Etat. Steuergeld gibt’s nur fürs Forschen, nicht fürs Feiern.

Neue Konzepte entwickeln, um neue Funktionen zu erhalten 

Hinter dem sperrigen Titel des Sonderforschungsbereichs 1242 verbirgt sich Grundlagenforschung. Sie macht durch Versuche und die Beschreibung von naturwissenschaftlichen Phänomenen neue Entwicklungen erst möglich. „Unsere Motivation ist, neue Konzepte zu entwickeln, um mögliche neue Funktionen zu erhalten“, sagt Prof. Dr. Uwe Bovensiepen.

Die Fotosynthese ist so ein Beispiel: Wer das Prinzip nutzen will, muss zunächst verstehen, wie die Pflanze Licht in Energie umwandelt. Den Physiker Axel Lorke, der auch am Nanoenergietechnik-Zentrum (Cenide) der UDE forscht, interessiert, wie sich Materialien unter bestimmten Bedingungen verhalten. Gold etwa, zerkleinert in wenige Mikrometer große Teilchen, schimmert nicht mehr gelb wie ein Barren, sondern rötlich.

Neue Eigenschaften finden

Auch im SFB 1242 geht’s um Materialien und ihre Veränderung. Womit wir wieder bei dem Moment wären, wo der Hammer auf die Münze prallt. Prof. Lorke wählt das Bild vom Stein, der ins Wasser fällt. „Uns interessieren nicht die Wellen, die entstehen, sondern die Millisekunde des Aufschlags.“ Da prallen dann Elektronen gegen Atome, Wärme entsteht, soviel ist klar. Aber wozu führt diese Wechselwirkung? Wie verhalten sich die Materialien in diesem extrem kurzen, „nicht stabilen“ Zustand. „Wir könnten neue Eigenschaften finden. Aber da gibt es noch ganz viel zu erforschen“, erklärt Uwe Bovensiepen.

Notwendig, um das alles zu ergründen, sei „gute theoretische Unterstützung“ und das Laserlabor. Ein für Laien verwirrendes Labyrinth von Linsen ist dort aufgebaut. Die Forscher beschießen Materialien mit Laserstrahlen und können so über die Reflexionen des Lichts auf die Veränderungen schließen.

Um den Zuschlag zu bekommen für einen Sonderforschungsbereich, darf sich das Ziel nicht allein auf Hoffnung gründen. Mögliche Anwendungsbereiche können die Physiker schon benennen. „Es geht um Alternativen für die Datenspeicherung“, sagt Axel Lorke. „Da sind die von uns untersuchten Prozesse extrem nützlich.“ Voranbringen können die Erkenntnisse etwa die Geschwindkeit bei der Verarbeitung wachsender Datenmengen. „Terahertz-Prozessoren gibt es noch nicht“, erläutert Uwe Bovensiepen, „deshalb müssen wir diese Prozesse verstehen.“

>>Die Konkurrenz ist groß

Die Genehmigung eines Sonderforschungsbereichs durch die DFG gilt als Anerkennung für wissenschaftliche Exzellenz. Die Programme laufen in der Regel vier Jahre, es gibt die Option auf zweimalige Verlängerung um jeweils weitere vier Jahre.

Die Dotierung ist abhängig vom Projekt. Beim SFB 1242 fließen über 50 Prozent in die Personalkosten, ein erheblicher Anteil außerdem in die apparative Ausstattung. Beteiligt sind 20 leitende Wissenschaftler, insgesamt rund 60 Mitarbeiter der UDE.

Die Konkurrenz um die Gelder der Deutschen Forschungsgesellschaft ist groß. In einem zweistufigen Verfahren qualifizieren sich nur 40 Prozent der Bewerber für die zweite Runde, jeder fünfte Antrag geht dann in der zweiten Runde doch leer aus.