Duisburg. Auch in Duisburg haben Ärzte es immer öfter mit zu dicken und auffälligen Kindern zu tun. Weshalb ein Kinderarzt verpflichtende Vorsorge fordert.

Seit über 15 Jahren ist Dr. Markus Schäfer Kinderarzt in Duisburg. Er weiß, welche Krankheiten ihm und den Kollegen heute Kopfzerbrechen bereiten und welche medizinischen Probleme von früher heute fast ganz aus den Praxen verschwunden sind. „Positiv ist auf jeden Fall die Entwicklung der Impfraten bei Kleinkindern. In Duisburg und auch im gesamten Rest von NRW sind gut 95 Prozent der Kinder geimpft.“ Aber: „Leider lässt die Impffreudigkeit im Jugendalter deutlich nach. Hier muss noch viel nachgebessert werden, damit Jugendliche ihre Impfungen regelmäßig auffrischen, um den guten Schutz auch aufrechtzuerhalten.“

Nachbessern müsste man seiner Meinung nach auch noch einmal bei den U-Untersuchungsterminen. Zwar attestiert Schäfer eine Beteiligung von gut 90 Prozent. „Leider ist aber zu befürchten, dass sich unter den zehn Prozent der Kinder, die nicht zur Vorsorge erscheinen, genau die befinden, die es gerade nötig hätten“, so Schäfer.

Die relativ gute Zahl mag auch an dem gesetzlich vorgeschriebenen Meldesystem liegen, das an diese Untersuchungen gekoppelt ist. Denn: Keine der Untersuchungen ist verpflichtend. Wenn Eltern sie aber nicht wahrnehmen, bekommen sie Besuch vom Jugendamt. Schäfer würde hier gerne noch einen Schritt weiter gehen und wünscht sich verpflichtende Untersuchungen.

Deutlich mehr Kinder in Duisburg sind fettleibig

Geändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch das Krankheitsbild. Während Schäfer früher viele Kinder mit schweren Kehlkopfentzündungen oder bestimmten Formen von Hirnhautentzündungen behandeln musste, sind diese Krankheitsbilder heute nahezu verschwunden – „dank des guten Impfstatus der kleinen Patienten“. Verhältnismäßig neue Krankheitsbilder machen dem Kinderarzt aus Rheinhausen hingegen Kopfschmerzen.

Zahlen und Fakten zur Ärzteversorgung in Duisburg

43 Kinder- und Jugendmediziner

praktizieren zurzeit in Duisburg. Das bedeutet allerdings nicht, dass es auch 43 Praxen im Stadtgebiet gibt. Oftmals arbeiten mehrere Ärzte in einer Gemeinschaftspraxis unter einem Dach.

19 Kinderärzte

praktizieren im Vergleich dazu in Mülheim,  in Dinslaken gibt es sieben Kinderärzte, in Oberhausen 24, in Düsseldorf 61, Krefeld kommt auf 24 und Moers auf 9.

Null Chancen

haben derzeit Kinderärzte, sich in Duisburg niederzulassen. „Momentan sind nordrheinweit alle Planungsbereiche für die Kinderärzte, die im Rahmen der Bedarfsplanung zur allgemeinen fachärztlichen Versorgung zählen, gesperrt“, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.Der Schlüssel, der diesen Zahlen zugrunde liegt, ist allerdings ein rein statistischer Wert. Obwohl die Versorgung hiernach überall gut ist, heißt das nicht automatisch, dass auch in allen Stadtteilen niedergelassene Jugendmediziner aufzufinden sind. Gerade in Duisburg ist das laut Dr. Markus Schäfer, Obmann des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte, nicht der Fall.

19.000

Auf so viele Einwohner soll nach Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung ein Kinderarzt kommen. Rein rechnerisch gesehen hat demnach Duisburg 17 Kinderärzte mehr, als der Plan vorsieht. Aber leider sieht es im Alltag oft so aus, dass die Kinderarztpraxen sehr voll sind.

1/4

„Der Anteil der Kinder mit Adipositas, also Fettleibigkeit, hat deutlich zugenommen. Früher gab es so etwas sehr viel seltener“, erklärt er. Übergewicht an sich ist zunächst einmal noch keine Krankheit. Doch nach rund 20 Jahren treten Begleiterscheinungen wie Bluthochdruck oder Diabetes auf, die den Körper dann dauerhaft belasten und auch schädigen. Meist waren die Menschen dann schon 50 oder 60 Jahre alt. „Wenn heute ein Kind schon mit fünf Jahren starkes Übergewicht hat, dann wird es entsprechend früher erkranken. Oft schon mit 20 oder 25. Das ist ein enormes Gesundheitsrisiko“, so Schäfer

Immer mehr Kinder sind verhaltensauffällig

In genauso alarmierendem Maße haben die Verhaltensauffälligkeiten zugenommen. Viele Kinder haben heute Sprachentwicklungsverzögerungen oder Entwicklungsauffälligkeiten. Sie sind entweder motorisch weit hinter ihren Altersgenossen zurückgeblieben oder fallen auf, weil sie extrem unruhig und zappelig sind. „Die Kinder haben sich durch den medialen Alltag extrem verändert und weisen diese Symptome auf, die es früher nur sehr selten gegeben hat“, so Schäfer.

Verhaltensauffälligkeiten und soziales Umfeld werden in diesem Zusammenhang oft gemeinsam genannt. In sozialen Brennpunkten haben Kinderärzte viel häufiger mit diesem Krankheitsbild zu tun als in anderen Stadtteilen. „Eine schwierige Situation für die dortigen niedergelassenen Ärzte. Die Krankenkasse deckelt die Anzahl der bewilligten Rezepte für Ergotherapie. Wenn ein Arzt mehr Rezepte verschreiben muss, dann bekommt er oftmals Probleme.“ Als Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte sieht Markus Schäfer hier großes Verbesserungspotenzial auf Seiten der Krankenkassen.

Warum Kinderheilkunde Zeit braucht 

Seit 20 Jahren ist Dr. Peter Seiffert Chefarzt der Kinderklinik am Helios-Klinikum in Hamborn. Kerstin Heidland sprach mit ihm über die Kinderkrankheiten und den Krankenhausalltag.

Herr Dr. Seiffert, sind die Duisburger Kinder gesünder als noch vor 30 Jahren?

Sich die zu nehmen, wird für Kinderärzte immer schwieriger in Zeiten des Kostendrucks. Das weiß auch Dr. Peter Seiffert, Chefarzt der Kinderklinik am Helios-Klinikum in Hamborn.
Sich die zu nehmen, wird für Kinderärzte immer schwieriger in Zeiten des Kostendrucks. Das weiß auch Dr. Peter Seiffert, Chefarzt der Kinderklinik am Helios-Klinikum in Hamborn. © Helios

Dr. Peter Seiffert: „Sie könnten es sein. Statistisch gesehen muss ich hier mit Jein antworten. Kinder, die das vorhandene Gesundheitssystem nutzen, sind gesünder. Das Impfsystem ist ein Segen. Kinderlähmung ist heute kein Thema mehr und auch Diphterie und Keuchhusten sind nur noch Randerscheinungen. Und durch das engmaschige Vorsorgeuntersuchungssystem bemerken die niedergelassenen Kollegen häufig die Krankheiten schon frühzeitig, so dass gute Heilungschancen bestehen.

Wieso dann bloß ein „Jein“?

Dr. Seiffert: Wir werden heute mit vielen neuen Dingen konfrontiert. Smartphones, Videospiele, Fernsehen rund um die Uhr. Das finden die Kinder toll. Aber sie spielen weniger draußen und das führt zu Bewegungsmangel und Übergewicht. Daraus resultieren dann häufig andere chronische Erkrankungen, die wir auch in der Klinik behandeln müssen. Und: Kinder mit schweren Krankheiten haben heute relativ gute Überlebenschancen. Natürlich nur mit intensiver stationärer Betreuung. Diese Kinder kommen dann als Regelpatient zu uns.

Gibt es bestimmte Krankheiten, die besonders oft in Duisburg auftreten?

Dr. Seiffert: Nein. Krankheiten durch Umweltbelastungen sind hier nicht höher als anderswo. Die Hauptprobleme bei Allergien und Asthma liegen heutzutage in den Wohnungen. Die Innenraumbelastungen sind für Säuglinge und Kleinkinder oftmals zu hoch. Die Eltern gehen weniger mit ihren Kindern an die frische Luft als früher und so sind die Kinder dem Staub oder den anderen Allergenen ausgesetzt. Allerdings überall. Nicht nur in Duisburg.

Mit welchen Krankheiten kommen die Kinder heute ins Krankenhaus?

Dr. Seiffert: Ungefähr 50 Prozent der Kinder kommen in die Notaufnahme. Oft sind es häusliche Unfälle wie Verbrühungen oder Stürze. Kleinkinder haben oft Infektionen, Erkrankungen der Atemwege oder des Magen-Darm Trakts. Da besteht die Gefahr der Austrocknung.

Hat die Zahl der Knochenbrüche im Vergleich zu vor 30 Jahren zugenommen oder klettern Kinder heute nicht mehr auf Bäume?

Dr. Seiffert: Die Zahl ist meiner Einschätzung nach ungefähr gleich geblieben. Früher sind die Kinder wesentlich häufiger geklettert und haben sich deshalb prozentual auch häufiger verletzt. Heute könnte man mutmaßen, dass die Kinder, wenn sie denn mal klettern, sich etwas ungeschickter anstellen und deshalb runterfallen. Aber wahrscheinlich liegt der konstante Wert an den Trendsportarten. Inlineskaten oder Skateboarden sind beliebte Gründe für Knochenbrüche aller Art.

Was hat sich für die Kinder im Krankenhaus geändert?

Dr. Seiffert: Sehr viel. Der stationäre Aufenthalt ist heute viel kürzer als noch vor 20 Jahren. Dank der modernen Diagnostik kommen wir wesentlich schneller zu Diagnosen. Heute verfügen wir über Ultraschall, MRT und sehr gute Labordiagnostik. Das gab es vor 40 noch nicht. Außerdem ist der Aufenthalt für die kleinen Patienten heute wesentlich angenehmer. Wir haben fast nur noch Mutter-Kind-Zimmer, so dass die Mama immer dabei sei kann. Das macht vieles leichter. Außerdem bemühen wir uns, die Räumlichkeiten so kindgerecht wie nur möglich zu gestalten. Wir haben sogar ein richtiges Kinderzimmer mit einer Erzieherin und ganz viel tollem Spielzeug. Das wird aus Spendengeldern des Fördervereins KIK (Kinder im Krankenhaus, Anm. d. Red.) finanziert und da sind wir sehr stolz drauf.

Was könnte verbessert werden?

Dr. Seiffert: Ich würde mir wünschen, dass die zuständigen Stellen erkennen würden, dass Kinderheilkunde anders ist als Erwachsenenmedizin. Das gesamte Medizinsystem steht heutzutage unter einem enormen Finanz- und Personaldruck. Dramatisch ist das in der Kinderheilkunde. Für uns ist der Faktor Zeit ganz wichtig. Wir müssen erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Das geht nicht mal eben. Ich würde mich freuen, wenn Kinderheilkunde einen besonderen Status im Medizinsystem bekommen würde.